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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 35-43 (Mai 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

. ———
N 42.

— —————

Samstag,

Furchtbares Erdobeben zu Karakas,
am 26. Märs 1812.
Von dem Verfaſſer von „Wahl u. Führung.“

Große erſchuͤtternde Ereigniſſe, welche der gan-
zen Exiſtenz des Menſchen Gefahr drohen, haben
ſtets eine ſehr verſchiedene Einwirkung auf die Stim-
mung der Gemuͤther hervorgebracht. Einige wer-
den dann wie von einem Verzweiflungswahne er-
griffen, und wollen in der lezten Stunde, die ihnen
noch verliehen iſt, wo moͤglich alle Genuͤſſe erſchoͤpfen,
ehe der Abgrund der Zernichtung ſie verſchlingt,
welchen ſie zu ihren Fuͤſſen gebffnet glauben. An-
dere wenden, bei dem Schwanken irdiſcher Verhaͤlt-
niſſe, den Blick nach dem Gottlichen, und ſuchen oben
den Halt, welchen ihnen unten die bewegliche Wo-
ge nicht gewaͤhrt.

Kaum aber giebt es irgend ein Ereigniß, das mehr

die Seele des Menſchen mit allen Schreckniſſen er-
fuͤllte, als wenn der, Boden unter ihm keine feſte
Staͤtte mehr gewaͤhrt, und die Wohnungen des Gluͤ⸗
ckes, ploͤtzlich niederſtuͤrzend, zu den Grabhuͤgeln von
tauſend darunter zertruͤmmerten Leichen werden.
Tief ergreifend iſt, was in dieſer Hinſicht Ale-
rander von Hum boldt, nach der Mittheilung
eines ſpaniſchen Berichterſtatters, von dem Erdbe-
ben erzaͤhlt, welches in dem Jahre 1812 die ſchöne
Stadt Karakas faſt gaͤnzlich zerſtoͤrte:
„Es war am gruͤnen Donnerſtage, einem ſehr
heißen Tage; der Himmel war ruhig und wolkenlos;
das Volk war großentheils in den Kirchen verſam-
melt. An dieſem Tage verſpuͤrte man, ſieben Mi-
nuten nach vier Uhr Abends, die erſte Erſchuͤtterung.
Sie war ſtark genug, um die Kirchenglocken in Be-
wegung zu ſetzen. Sie dauerte 5 bis 6 Sekunden.



den 25. Mal,

AIIF IFIÆ

ISI SS ————

1822.

Unmittelbar darauf folgte eine zweite Erſchuͤtterung,
von 10 bis 12 Sekunden, waͤhrend welcher der Erd-
boden in beſtaͤndiger Wellenbewegung, wie eine
Fluͤſſigkeit, zu kochen ſchien. Schon glaubte man
die Gefahr voruͤber gegangen, als ſich ein heftiges
unterirdiſches Getoͤſe vernehmen ließ. Dem Rollen
des Donners aͤhnlich, war es doch ſtaͤrker und dauern-
der als dieſes in der Jahreszeit der Gewitter zwi-
ſchen den Wendekreiſen zu ſeyn pflegt. Dem Doͤn⸗
ner folgte funmittelbar eine ſenkrechte, etwa 3
bis 4 Sekunden anhaltende Bewegung, welche
von einer etwas laͤnger dauernden wellenformigen
begleitet ward. Die Stoͤße folgten in entgegengeſez-
ten Richtungen von Norden gen Suͤden, von Oſten
nach Weſten. Dieſen Bewegungen von unten nach
oben und dieſen ſich durchkreuzenden Schwingungen
vermochte nichts zu widerſtehen. Die Stadt Ka-
rakas ward gaͤnzlich zu Grunde gerichtet. Tau-
ſende ihrer Bewohner (zwiſchen neun und zehntau-
ſend) fanden unter den Truͤmmern der Kirchen und
Haͤuſer ihr Grab. Noch hatte die, Prozeſſion
ihren Umgang nicht eroͤffnet; aber das Hinſtroͤ—
men zu den Kirchen war ſo groß, daß gegen drei
bis vier tauſend Perſonen unter dem Einſturze ih-
rer Gewölbe erdruͤckt wurden. Die Kirchen der
Dreifaltigkeit und Alta Gracia, die mehr
als 150 Fuß Hoͤhe hatte und deren Schiff durch
12 bis 15 Fuß dicke Pfeiler getragen ward, lagen
in einem Truͤmmerhaͤufen verwandelt, der nicht
uͤber 5 bis 6 Fuß Hoͤhe hatte, und die Zermalmung
des Schuttes war fo betraͤchtlich, daß von den Pfei-
lern und Saͤulen faſt keine Spur mehr kennbar
blieb. Die Kaſerne verſchwand beinahe gaͤnzlich.
Ein Regiment Linientruppen ſtand darin unter den
Zaffen und ſollte ſich eben zur Prozeſſion begeben.
 
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