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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 44-52 (Juni 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0238

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bens abreißt, und unſerm erſchrockenem Blicke dafür die kalte
Nothwendigkeit aufdringt, ſchritt, ſeit dem 23. März 1820, mit
ſeiner zermalmenden Schickſalskeule, heute zum drittenmale
über unſere Bühne. Es iſt nicht mehr an der Zeit von der
Verirrung zu ſprechen, welche den trefflichen Dichter leitete
einen ſo unkünſtleriſchen Stoff der dramatiſchen Kunſt zu un-
terlegen und der blinden Naturkraft, durch ein übermächtiges
geſpenſtiſches Einwirken, den Sieg über die ſittliche Freiheit
einzuräumen, aber immer wird dieſe Tragödie dem talent-
vollen Schauſpieler mehr Gelegenheit geben, ſeine Virtuoſi-
tät zu beweiſen, immer wird ſie den Zuſchauer mächtiger er-
greifen, als jene kläglichen Familiengeſchichten, die mich
ſchon ſo oft zur Verzweiflung brachten, mit ihrem abge-
ſchmackten Jammer, und noch ab geſchmackteren Spaß.
Herr L. Löwe vom Kaſſeer Hoftheater ſpielte als Gaſt
den Jaromir und gab uns beſonders im dritten Akt einen
ſeltenen, ja ſehr ſeltenen Benuß. Im Vortrag der faſt ge-
ſangartigen Verſe, verlieh er ſeiner überdies ſchon äußerſt lieb-
lichen Stimme, eine ſo mannichfaltige einſchmeichelnde Mo-
dulation, daß mir beſonders die ſtets widernatürliche Szene,
wie ein unſchuldiges, feingebildetes, vornehmes Mädchen mit
einem Räuber entfliehen mag, durch die rührende Gewalt
ſeiner Sprache zum erſten Male Wahrſcheinlichkeit erhielt.
Mit nicht minderer Wahrheit gab er den ergreifenden Kampf
ſeiner tobenden Gefühle auf Leben und Tod, und wenn Meh-
rere, hinſichtlich ſeines Geberdenſpiels, einen größern Reich-
thum wünſchten, ſo bin ich der Meinung des Künſtlers, daß
nur die großen Bewegungen des Herzens ſich durch Geſtiku-
lation kund geben ſollen, die einzelnen Pulsſchläge der Em-
pfindungen, aber durch die Abwechslung und Betonung der
Rede auszudrücken hinlänglich iſt.
Frln. Müller (Bertha), Leiſtete Vorzügliches. Hr.
Blumauer (Graf Borotin) ſehr viel Gutes; überall ein
vom Verſtande geleitetes, ruhiges Spiel. Die übrigen Nol-

len wurden mit Fleiß und gutem Willen gegeben, nur der

fünfte Akt trug das Gepräge der Ermattung und eines fehler-
haften ſzeniſchen Ganges.

Sonntag, den 9. 3 uni 1822.
Das Leben ein Traum. Romantiſches Schau-

ſpiel in 5 Abtheilungen, nach Calderon von

We ſt-

(Siche Nro. 28. d. v. J. mit Hinweiſung auf frühere aus-
führlichere Beurtheilungen.)

Herr L. Löwe gab den Noderich zur zweiten Gaſlrolle. Glück-
Lich trennte er die Stellen der ernſthaften Betrachtung von de-
nen der Leidenſchaft. Ausgezeichnet ſchön war die glänzende
Darſtellung ſeines erſten Erſcheinens im königlichen Pallaſt.
Mit weiſer Mäßigung zügelte er den Sinnenrauſch der Frei-
beit, und die dahinſtürmende Wildheit roher Kraft. Den
Monolog: „Dies iſt Wahrhelt“ erkannte ich mit Vergnü-
gen, als ein Meiſterſtlick der Redekunſt. Schade, daß die

. .SIFISCICII — ö ö
Verleger: Karl Groos, N. Alad. Buchh. in Heidelberg.

KA Ut manu.

Redakteur: Friedr. Karl Freiherr von Erlach.

Druckerei u

Hitze des Tages zu ſehr auf den Menſchen wirkend, die Kunſt

der Mitſpielenden niederdrückte, und ſo die Darſtellung des

Ganzen weder den Gaſt befriedigen, noch den Zuſchauer er-

Erlach.

freuen konnte.

Der dramatiſche Darſteeller,

Herr Ludwig Lowe aus Kaſſel,

auf der Bühne zu Mannheim.

Haſt jenen Zaub'rer du geſehn,
Nicht grauen Barts, nein frühlingsſchön,
Der kundig heiliger Magie
Uns durch die Macht der Sympathie
In der Natur geweihtem Kreiſe
Gebild' erſchuf nach Künſtler⸗Weiſe? —

Zuerſt zeigt' er in Kraft und Zier
Den Heldenjüngling Jaromir,
Wie er als ein geraubtes Kind
Erzogen ward von Sünd' zu Sünd'/
Bis, unbewußt, er Schmach zu rachen,
Beging des Vatermords Verbrechen.

Alsdann trat vor uns Roderich,
Der von des Vaters Träumen ſich,
Geknüpft an ehrrner Feſſel Band,
Des Menſchenrechts beraubet fand,
Und mit des Himmels gnäd'gem Neigen
Auf durfte zu dem Throne ſteigen:

Hierauf erſchien Antonio,
Mit Namen auch Correggib.
So fromm und demuthsvoll und klar/
Ein Künſtlerherz wohl ſelten war!
Das lehrt', wie für der Schöͤnheit Erbe
Man gern den Tod der Liebe ferbe.

Ihn löste ab ein Lebeusbild,
Wie's im gemeinen Seyn noch gilt,
Das ſeinen Werth, fein uaͤusgeprägr/
Allein noch auf der Zunge trägt —
Ein Weſen, glaublos wie ein Ketzer,
Man nennet ſonſt es auch den Schwätz er.

Hier laß mich enden, denn die Pracht
Und Anmuth, die mich angelacht
Aus ſeiner buntbewegten Welt
Mir ganz den Sinn gefangen hält.
Mez And'rer weiter ſie betrachten —
Ich muß den Zaub'rer lieben, achten!

Michael Wohlgemuth.
 
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