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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 3
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Beitz, Egid: Ein neuer Stephan Lochner?
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Biermann, Georg: Ein Äpfelstillleben von Lovis Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0168

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für den das Objekt an fid) in der vollen und prallen Evidenz feiner Erfcßeinung, ganz
unabhängig von allen verftandesmäßigen Erwägungen — üatfadße göttlicher 3eugung ift.
Oller aber fo voll ift der inneren Geflehte und des großen, nie gekannten Dranges
zur Manifcftation feiner eigenen Künftlerkraft wie der Riefe Lovis Corinth, der packt
die Catfachen des natürlichen Seins auch im Stilleben auf feine Ärt, muß, ob es fid)
wie hier nur um Apfel handelt, die verfdjwenderifche Fülle feines Cemperamentes und
feiner Gottesgläubigkeit and) dem toten Objekt gegenüber mit der ganzen Vollkraft
feiner Farben erweifen, die heute innerhalb der modernen deutfeßen Malerei an melo-
difcher Klangfchönheit ihresgleichen nicht haben. Diefes Bild, mehr hingemauert als
gemalt, ift leiste Abbreviatur eines Bekenners, deffen ganzes Leben Bejahung und
menfchliches Bekenntnis vor Gott gewefen ift. So wie Corinth, wenn er mit zitternder
Fjand heute den Pinfel ergreift, tief in das ÜLIefen der Dinge hineinfühlt und Cotes zu
ewigem Leben erweckt, gibt es als Parallelen im 3eitgenöfpfd)en nichts, als Vergleichs-
möglichkeiten ähnlich ßöcßftens die Rembrandt- und Goyajcßickfale. Aber Jene, an die
fid) Erinnerung klammert, find nicht die Kinder unferer Seit und unferes Empßndens.
Darum ftel)t uns der alte Lovis, deffen Klerk als Cotalität heute nod) fo wenige be-
greifen, menfchlid) fo viel näher. Aber daß er einmal als der Künftler diefer Generation
erkannt und gefeiert werden wird, darüber füllten fid) aud) alle die klar werden, die
heute vor dem ungehemmten Lebensdrang diefes aufrechten, oftpreußifchen genialen
Bejaßers hin und wieder ein geheimes Grauen empfinden. Nur wer das Stilleben fo
fouverän wie Corinth in fid) empfindet und dem Befd)auer zurückgibt, folite das Recht
haben, aus der fogenannten „toten Natur“ ein Stüde Iebendigften Bckenntniffes zu
geftalten. Die Änderen aber, denen der große Klurf nid)t gegeben ift (wie etwa, um
ein Beifpiel aus der letzten deutfcheri Vergangenheit zu erwähnen, dem fehr zu Unrecht
iiberfcßätflen Sd)ud), Mitglied jener Generation um 1870/80, der abmalte, aber niemals
zu geftalten vermochte), füllten jene enge Pforte lieber meiden, durch die der Schöpfer
gehen darf, um das Reich der Coten zu ewigem Leben zurückzurufen.
Fjeute aber, wo das Verlangen der geiftigen Menfchen mel)r denn je auf Gegenfeitigkeit
im Künftlerifd)en gerichtet ift, folite man angefießts eines Cüerkes wie des hier veröffentlichten
Stillebens von Lovis Corinth —letztes Bekenntnis diefes herrlichen Geftalters — nicht mehr
das fd)öpfcrifd)e Genie des Deutfcben leugnen. Mögen noch fo viele und fo wahrhaft
große Beifpiele franzöfifeßer Kunft aus den letzten Jahrzehnten wie Manet, Courbet,
Renoir u. a. vor unferen Äugen ftehen, der Einzige, den wir als Dokument unferes
fd)öpferifd)en Cüillens den Koryphäen von drüben entgegenzuhalten haben, ift unter
den Lebenden (da Paula Moderfoßn als Gegenpol eines Cezanne leider als Cote aus-
fcßaltet) Lovis Corinth- Mögen die Änderen auch ein Bruchteil mehr an ererbter Kultur
befijsen — und es wäre kleinlich, diefe angefießts eines Derain oder Matiffe abftreiten
zu wollen — das was über den Raffen fließt und über die Grenzen Europas hinaus
international die Ächtung vor dem fd)öpferifd)en Genie auf die Knie zwingt, ift in
Corintl) gegeben. Diefen Meifter gerade angefid)ts der übrigen europäifd)en Kielt
propagieren, heißt, mit der letzten, uns verbliebenen fd)öpferifd)en Kraft eine Catfacße
feflftellen, die fießer nießt geringer ift als diejenige eines Manet oder Courbet.
Kler aber, wie Corinth, ein folcßes Stilleben wie das hier reproduzierte meifterlicße
Klerk feßafft, bei dem jeder Pinfelftricß dreimal meßr Leben bedeutet als es je das tote
Modell befeffen, ift einer der großen Künder diefer 3ßit> die, um lebendig zu bleiben
und den fd)öpferifd)en Genius der Raffe zu behaupten, einzig und allein den füllen,
vom Gotte entflammten Schöpfer nötig flat, der dureß die uns Allen gerneinfamen lapi-
daren Catfachen überzeugt.

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