Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Wolfradt, Willi: Ein Doppelbildnis von Otto Dix
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0198

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Flächen gefpannt find. Das Lid)t l)at alles Klifchige, Auflöfende, Abrupte aufgegeben,
gleitet kühl verdeutlichend und ebenmäßig über dichte, klare, leidet ftereometrifierte
Körperrundungen hin. Die materielle Befdhaffenheit der Bilder tendiert zum Blanken,
Feften, Gebundenen; der Aufbau und die gefamte Auffaffung zu Ausführlichkeit und
Gewißheit.
Crotjdem tyat man Genefis und geiftige Struktur diefes Stils mit dem rafd) gängig
gewordenen Begriffe des „Ingrismus“ gar nicht erfaßt. Die Dinge liegen felbft auf
franzöfifdjem Boden doch weit komplizierter. Denn auch h^r fprechen Einflüffe wie
primitiviftifd)e Sehnfud)t und Geift der Mafchine mit und verweben fiel) heimlich der
klaffiziftifchen Cendenz. (Darum ift es denn auch zu kurz gedacht, den ftiliftifc±>en
ümfdhwung als bloßes 3urückfallen in Cradition und Naturtreue zu erkennen, wie zu-
mal die allzu rafdhen Abtrünnlinge des Expreffionismus wollen. Außerdem ift ja diefe
lineariftifch-objektiviftifche Klärung ein morphologifd)er Prozeß von bereits langer Vor-
bereitung, dem fich auch das kubiftifche Intermezzo ganz logifd) einordnet.) 3unäd)ft
mögen fich die Neubeleber des linearen Ausdrucks gefinnungsmäßig von den extremen
Veriften etwa der italienifchen „Valori plastici“-Gruppe, z. B. C. Carrä und G. de
Chirico, durchaus unterfcheiden, mag ihre melodifche Abklärung gewiß Anderes be-
deuten als die konftruktive Korrektheit hart-fachlicher Angaben. Doch ergibt fich Ge-
meinfames fchon vom Begriff der Klarheit aus; die einmal mehr formale, im andern
Fall mehr gegenftändliche Klarheit ift beiderfeits doch ein Klille zu Ausführlichkeit und
Deutlichkeit. Die Prägnanz rührt h>er an die Antike, dort an die Mafd)ine, — und
das find zwei in mancher Fjinficht unvereinbare Kielten. Aber in beiden Kielten domi-
niert die fachliche Klahrheit.
Jedes Klärungsftreben enthält (trotz einer etwa idealiftifdhen Gefinnung) in fich den
Anfprud) auf Objektivität. Die Betonung der reinen Konturlinie geht bereits auf eine
gewiffe Kontinuität und Ausführlichkeit. Andererfeits ift die Mafchine ihrem Kiefen
nach ein Inbegriff klarer Sachlichkeit; fie ift das Rationale, Kalkulierte, Pragmatifche
fd)led)thin, genau und perfekt in der Leiftung, eindeutig im 3weck, dementfprechend
dezidiert in der äußeren Erfdjeinung. Die fefte, glatte Befchaffenheit der 3yünder,
Stangen ufw., die Reftlofigkeit und Gefchloffenheit ihres Ineinandergefüges fymbolifieren
augenfällig das Mafchinenideal der Sachlichkeit. Darin berührt fich das Mafchinelle
mit dem Verismus. Schließlich darf geradezu von einer Klaffizität des Mafchinellen
gefprod)en werden, infofern fid) in der Mafchine alle einzelnen Qualitäten einer zweck-
lichen Ordnung fügen und ein reines Beifpiel von Vollkommenheit ergeben. Mafchine
ift ftets Harmonie, denn die in fich disharmonifche Mafct)ine wäre ja nicht mehr
als Alteifen. Sie fteljt wie die im klaffifchen Sinn fchöne Form unter kanonifchem Gefets.
So berühren fich alfo Verismus, klaffiziftifcher Linienftil und mafchinelle Form im
Kreife. Archipenko ein Beifpiel für die Verwandtfchaft vor allem der beiden letzt-
genannten Faktoren. Die deutfchen Künftler, die in diefer Richtung vorgehen, geben
diefen Verbindungen meift eine mehr romantifch-dialektifche Verfion. Ein Schrimpf
repräfentiert das Nazarenertum diefes Stadiums. Andere werden Ironiker des
veriftifchen Linearismus. Dem durchflicht fich in nochmals komplizierender Kleife der
Primitivismus unferer Generation; wie man denn überhaupt das Streben zur ein-
fachen Linie, zur dinglichen Klarheit, zur prallen Gegenftändlichkeit, zur fchlid)ten
Frömmigkeit als primitiviftifche Regungen wird auffaffen dürfen, tlnd fo erfcheint
auch die Richtigkeit und Fjärte des Mafchinellen als Primitivum, zu dem man fich aus
der myftifchen Reflexion und der Qaotik des Gefühlslebens flüchtet. Kennzeichnend
gerade für die deutfche Anwendung diefes kompofiten Stils nun ein gefellfchafts-
kritifcher, fatirifcher Einfchlag. Der Verismus begibt fich feiner Naivität und feiner
konftruktiven Rationaliftik, um polemifches Mittel zu werden. Die Schärfe der CImriffe
wird fchneidende Sachlichkeit der Feftftellung, entlarvende Kühle. Bilderbogenwirkungen
werden angeftrebt, vielleicht \)a\b aus einem Drang nach eindeutigem, fragendem

174
 
Annotationen