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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 4
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Wolfradt, Willi: Ein Doppelbildnis von Otto Dix
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Morneweg, Karl: Ein neues Grünewald-Dokument: Mathias Grünewald auf dem Reichenberg im Odenwald 1529
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0203

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die Küche wurde beffer ausgeßattet und im Schlöffe eine (Ihr mit Glocke aufgeßellt. — Seit langen
Jabren batten nur Amtmänner oder Keller (Rentmeifter) auf der Burg gewohnt. —
Im Vordergrund der ttlünfche des Burgherrn ftand ein Badezimmer. Das Obergefd)oß eines ge-
wölbten „ßeinernen Stocks“ wurde abgebrochen und am 20. Mai 1529 ein Neubau an deffen
Stelle Ott, dem 3immermann, verdingt. Schenk Valentin kam hierzu mit dem Reicbelsbeimer
Pfarrer Fjeinrid) Faulhaber und Nickel, dem Förfter, felbft auf den Reichenberg. — Die Bauleute
entwickelten fchon bald eine rege Cätigkeit auf der fonft fo ftillen Burg. Philipp, der Bader von
Lindenfels, gab Ewalt von Lauerbach, dem Maurer, Änweifung zu der Badftube und zum Se£en
des Badeofens. Der Bauherr kam öfter von Erbach herüber, um nachzufehen, heute auf dem
Clege nach Heidelberg, morgen nach Speier, übermorgen nach Ilmftadt, ein andermal auf feiner
Reife zum Reichstag oder zu anderen Gefcbäften. Hm 21. Huguft wurde in feiner Gegenwart der
Neubau aufgefchlagen. Dann kamen die Dachdecker von Miltenberg. Der Schreiner Gotzbans
(Hans Götj) von Reichelsheim fetjte die Fenfter ein, bekleidete, nachdem die Kleiber (Cüncher) ihre
Arbeit vollendet, die CCIände des 3immers mit Cäfelung und Bänken und benagelte, unter Anlei-
tung des Baders von Fürth, den Fußboden mit Filz. Der Keßler von Güeinbeim lieferte einen
29 Pfund fcbweren Keffel und der Bender (Küfer) von Nonrod die 3über und Kübel zum Bad. —
Am 8. September 1529 kam „Meifter Matbis, der Maler“, auf die Burg. Es muß dabin-
geftellt bleiben, ob er den neuen Raum künftlerifcb auszierte oder auf dem Reichenberg ein anderes,
vielleicht ein frommes Kunftwerk fchuf, das in der fd)önen gotifchen Burgkapelle im Vorhof oder
in der Kirche in Reichelsheim Aufhellung fand. —
In der Amtsrechnung1 der Kellerin Helene finden pd) über den Aufenthalt desKünftlers folgende
Einträge:
„Item xxvi imbs2 3 gebapt meifter matbis der moler, vom mitwoche noch natiuitatis marie an bis
vff montag noch axaltationis crucis, den tag nachts.“
„Item jcxxxvi fuppenn vnd vnderndrunck* haben gebapt meinfter matbes der moler, otb, 3immer-
mann, fein kned)t, ewalt zw laurbad), Tein kneebt, febmit zw reycbelsbeim, die decker, yr kned)t
vonn miltenbergk, gofcbans, vom mitwod) nativitatis marye an bis zum abfeheid, zeygen dauornen
auch ir imbs an.“
„Item xvi alb. v geben gotjbanfen, freytags noch andree für allerley, er dem moler zw reichen-
bergk geben hot.“
„Item j alb für 1 ein meinfter matbes moler zu eym fürtucb.“ —
Der Maler blieb bis zum 20. September abends. Am nächften Lag kam der Burgherr mit feiner
Sd)wefter auf den Reichenberg; auch der Pfarrer von Reichelsheim war zugegen. —
Von dem, was Meifter Matbis dort gefebaffen hat, ift nichts erhalten. Die prächtige Kapelle
liegt in Crümmern und auch von der Kirche in Reichelsheim ift nicht bekannt, daß fie je ein
folcbes Kunftwerk barg. Es dringt auch keine Kunde zu uns, wo das fd)öne Badezimmer gewefen
ift. Daniel Schneider weiß uns in feiner Erbacher H'ftorie, die 1736 erfchien, nichts davon zu be-
richten. Es muß alfo wohl fchon verfchwunden gewefen fein, als der Reichenberg 1723 Refidenz
des regierenden Grafen Georg ttlilbelm zu Erbach wurde, deffen Sohn, dem kunßpnnigen Grafen
Franz, man die herrlichen Sammlungen im Schlöffe zu Erbach verdankt.
Schenk Valentin hat fich feines fchönen Befitjes nicht lange erfreut, denn er ift fchon am 8. Mai
1531 in den beften Mannesjahren geftorben. Mit ihm iß die um die Mitte des 13. Jahrhunderts
von Eberhard III. begründete Linie des Haufes zu Micbelftadt ausgegangen. Seine vereinfamte
Schwefter Cüalpurgis ftarb 1548. — Das Badezimmer aber ift wohl den umfangreichen Umbauten
auf der oberen Burg in den 1550er Jahren zum Opfer gefallen, von denen nur noch der an die füd-
licbe Ringmauer angebaute fogenannte „Krumme Bau“ fowie Refte vom Erdgefcboß des Küchen-
baus erhalten find. Das ftattlicbe „Amthaus“ im Vorhof der Burg, in welchem pd) die bekannte
Anthes-Luciusfche Knaben- Erziebungsanßalt bepndet, ift erß im 18. Jahrhundert entßanden.

1 Ge[amtt)aus-Ärd)iv Erbad): Reichenberg, Rmt. Rechnungen, Nr. 24, Bl. 48a; 56b; 28b; 39b.
- Imbs = Imbiß. Es gab täglich 2 Imbs, d. h- 2 Hauptmahlzeiten.
3 .Suppen“ — Frühßück, „Undern“ und „ünderndrundc“ = Vefper.

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