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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 5
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Biermann, Georg: Neue Arbeiten von André Derain
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0245

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zuftrömen, die wieder an Boucher, Fragonard u. a. angeknüpft hat. Äber innerhalb
diefer nie unterbrochenen Überlieferung ftetyen Meifter wie Degas und nicht zulefct
auch der große Gott der neueren franzöfijcßen Malerei — Cezanne.
Von diefem hat er kompoßtionell fidjer das meifte gelernt. Aber Derain füllte das
ererbte Schema des imaginären, nach inneren Rhythmen gegliederten Aufbaus mit einem
neuen 3auber feiner durchaus perfönlid)en Palette, die an Klangtiefe oftmals das Klerk
feines Vorgängers in Schatten ftellt. In diefem Sinne will er uns beinahe als Synthefe
aus Pouffin und Cezanne erfcheinen, hoffnungsvoller Künder einer neuen künftlerifcßen
Jugend, die aus der Enge eines überlieferten bürgerlichen Bezirks in den Bannkreis
univerfalen Kleltempfindens ftrebt. Klie jeder große Künftler, fo hat auch Derain feine
Perioden des Auf und Ab gehabt und wie alle feine 3eitgenoffen hat er hin und
wieder der Modeftrömung geopfert. Aber die letzten Refultate überzeugen dennoch
reftlos und fie liegen durchaus auf der gleichen Linie wie die Bilder aus den glück-
lichen Jahren von 1910—14, die damals fchon den Kleltruf diefes Meifters mit Recht
begründet haben. Daß man gerade diefem Maler in Frankreich hier und dort den
Vorwurf verftandesmäßigen Schaffens gemacht oder ihm die allzu gute Kenntnis der
Mufeen als Manko aufrechnet, muß uns Deutfcße nicht wenig überrafchen. Für den,
der franzößfche Kultur zu verfteßen glaubt, ift Derain in der Malerei etwas wie Debuffy
in der Mufik, vielleicht fogar ein Ravel der Palette und wie diefe Fortfetjer eines ftreng
überlieferten Klanggefühles Vollender einer Tradition, die feit taufend Jahren feiner
Raffe eingeboren ift.
Kommen zu uns, den „Barbaren“, aus Frankreich folche Klänge herüber, dann horchen
wir nicht nur gerne auf, fondern geben uns ihnen lieber noch reftlos gefangen, wandern
mit diefem 3auberer der Farbe verzückt auf feinen Klegen, einerlei ob fie an die
normannifche Küfte führen oder in den ftillen verfchwiegenen Fjain, den Sonnenglut
durchzittert; fühlen wie ein Klunder jene finnliche Fülle, die uns verfd)loffen ift und
doch wie ferne Sehnfucht in uns wohnt und find glücklich ob der Catfache, daß ein
folcher Künftler in Europa neben den Unfrigen wandelt, die ähnlich etwa wie ein Lovis
Corinth aus der ürkraft ihres Inftinktes dem Gott der Schöpfung opfern und uns die
Kielt von der Seite zeigen, wo fie am fchönften ift.
Daß felbft die „nature morte“—von dem lebendigen Menfchen, der atmenden Land-
fchaft ganz zu fdjweigen — in Derain den idealen Geftalter gefunden, der auch ln
diefem Sinne über Cezanne hinausgegangen ift, beweifen gerade einige feiner lebten
Arbeiten. Stilleben nach Form und Farbe wie etwa jene „Catßedrale engloutie“ des
alten Debuffy, die heute in Europa niemand fo meifterhaft fpielt wie der inzwifchen
zu Kleltruf gelangte köftliche Klalter Giefeking.

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