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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 6
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Fischer, Otto: Chinesische Buddha- und Bodhisatvaköpfe
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0272

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Es ift zwar die Meinung ausgefprodjen worden, daß diefe Figur mit den Nifcßen-
geftalten der 523—533 datierbaren Fjöljle Lao-djün-tung bei Lung-men aufs engfte
zufammengeljöre, doch widerfpricljt dem die ganz abweichende plaftifdje Ciefenfdjichtung
der fixenden Körper in Lao-cßün-tung — eine freiplaftifdje Parallele hierzu ift vielmehr
die bronzene Sljakatrinität im Fjoryuji-Kondo von 623, die am Anfang der japanifdjen
Bildnerei fleht — und das andere Liniengefühl, das ßier eckig ausfahrend und kapriziös,
bei unferer Figur aber in weichen und lappigen Rundungen fid) auslebt. Id) glaube
vielmehr, daß man die Boftoner Kuan-yin in die erfte Fjälfte des 5. Jahrhunderts zurück-
datieren und damit an den Beginn der eigentürrilid) d)inefifd)en Entwicklung buddl)iftifd)er
Skulptur — foweit fie wenigftens ßeute bekannt ift — ftellen darf. Die älteren Fels-
tempel von Yün-kang (feit etwa 415 n. Cßr.) zeigen nod) ganz die Nachbildung der
über Curkeftan nad) China gelangten indifdjen Buddßageftalten. Es ift eine Darftellung
rundlicher Körperlid)keit, bei der das Gewand vollkommen dem Leibe angefd)miegt
und untergeordnet ift. Eine künftlerifdje Durchdringung der Form fucht man hier nod)
vergeblich- ünfere Boftoner Statue bildet tyerzu den entfdjiedenften Gegenfatj. Fjier
ift der Leib aller Wirklichkeit und Möglichkeit entrückt und zum üräger des geiftigen
Ausdrucks umgeformt. Er erfdjeint platt gepreßt und in die F)öl)e gezogen, die unter-
gefcßlagenen Beine treten in flachftem Relief kaum ein wenig vor die Vorderfläche des
Rumpfes, aber in diefer reliefhaften Flächenordnung kommt nun das fteile vergeiftigte
Ragen der Geftalt und das plaftifd) kraftvolle Fjervortreten des krönenden Fjaupts und
der redenden Fjände wunderbar zur Geltung, und das Körperhafte ift aufgelöft in eine
ftill redende Ordnung fleh antwortender, fleh kreuzender und in reichftem, fließendem
Spiel niedergleitender und wallender Gewand- und Faltenlinien, welche die begleitende
Melodie zu der ragenden Erhabenheit des Grundmotivs fpielen. Diefe Verachtung der
Körperlichkeit, diefe flächenhafte Geftaltung und diefes fchwebende Spiel paralleler und
antwortender Kurven ift echt chinefifches Erbgut, wir kennen es von den Gräbern der
Fjan und von den Bildern des Ku K’ai~d)i, und fo haben wir hier die erfte djinefifche
Umformung des buddl)iftifci)en Gottmenfd)enbildes vor uns.
Der Kopf diefer Geftalt ift plaftifd) vollrund gedacht. Er befitfl eine beinahe kubifdje
Grundform von exaktefter Schärfe der begrenzenden Flächen, die Senkrechten und die
ülageredjten ßnd mit größter Klarheit gegeneinandergefetjt und die Rundungen er-
fcheinen nur als die unentbehrlichen Übergänge von einer zur andern Grundfläche, da
wo eine fd)arfe Kante zu fetjen unmöglich ift. Eigentümlich ift die 3weiteilung der
Fjaare über der breiten Stirn, bel)errfd)end die geraden Brauenbögen und die fdjarf-
linige fchmale Nafe. Die in flad)er Senkung liegenden halboffenen Augen fpred)en
kaum, dagegen gibt das kleine herausgefpitfle Kinn und das zierlich gefd)ürzte Münddjen
im Gegenfat} zu den ftillen umgebenden Flächen dem ganzen Angeficht etwas preziös
Gefpanntes, das weder die erhabene Ruhe des Erleuchteten noch etwa den beredten
Eifer des Predigers rein zum Ausdruck bringt. Die geiftige Konzentration der ganzen
Geftalt auf Gebärde und Antlitz ift dafür um fo fd)öner gelungen.
Der Bodhifatvakopf, der früher bei Fjugo Meyl in München war, zeigt eine fpätere
Fortbildung des hier zugrunde gelegten Cypus. Er dürfte etwa der zweiten Fjälfte des
5. Jahrhunderts angehören. So wie die Mäander- und Lotosmotive der Krone l)ier
gegen die Strahlenordnung der Perlen dort ein weicheres plaftifdjes Gefühl und ein
Empfinden für das organifche Leben verraten, fo kommt l)ier bei feftgeljaltener, nur
etwas meljr ins Breite gehender Grundform durchaus neue Bewegung und Fülle in
alle Oberflächen und begrenzenden Kanten. Das Gefleht verliert die ftarre Symmetrie,
es rundet und wölbt fid) die Stirn, unregelmäßig feßwingen fleh die Brauenbögen, die
Lidränder, die gefdjürzten Lippen, die Falte des Kinns. iXIeidjer beginnen die fetten,
rundlichen Formen zu quellen und durch die Gegenfätje der gefdjwungenen Flächen
gewinnt das Gefleht an augenblicklichem Ausdruck, Leben, ja Befeeiung. Selbft die
Nüfteru fdjeinen zu fd)mecken, der nach innen geridjtete Blick, die lädjelnden Lippen

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