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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 6
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With, Karl: Einige mittelalterliche Plastiken Japans
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0284

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Phantaftifcpe. Die letzte — im einzelnen jedod) mannigfaltigfte und am meiften dif-
ferenzierte — Stufe ftellt fid) dar als folcpe der Vermenfchlicpung; d. 1). das Göttlidje
wird dem Menfcplicpen angeglicpen und nahegerückt. Än Stelle der geiftigen Konzen-
tration, der fittlicpen Läuterung der Selbftauslöfcpung oder der Intuition der Erfcpauung
tritt ein perfönlicperes Verhältnis zur Gottheit oder eine vorausfetjungslofe Glaubens-
gewißheit an die Gottbereitfcpap und das Gnadentum der himmlifd)en ßilfe. Das ift
auch die Stufe, in der der Begriff des Fjeilsbringers, des Boddhifattva, feine größte
Bedeutung gewinnt und auch in China verweiblid)t wird; eine Erfcpeinung, die typifd)
ift für die Einteilung diefer lebten Stufe und ebenfo in Indien oder im Katholizismus
wiederkehrt. Grundlegend wird nun entweder eine perfönliche, individuelle Beziehung
des menfd)lichen lUefens zum Übermenfcblicpen oder eine freundfchaftliche, primitive
Sebung der Gottnähe, wobei das Göttliche alfo vermenfchlicht wird. Die Sekten der
Shingonlehre und die des Sukhavatibuddhismus find dafür die wicptigften Belege. Im
erfteren Falle ift es das perfönliche (Hißen um Gott, um das Fjeil, um das Geheimnis
der Macht; alfo eine okkultiftippe Einteilung, wobei die Eingeweihten noch 3üge des
alten Shamanentypus der Naturreligionen tragen. Aber auch als die Myftik perfönlicher
Fjeilserfahrung kann fich diefe individualifierte Einteilung äußern, der das Gefühl der
Vereinzelung zugrunde liegt, und dem das Erlebnis der Vereinigung entgegengefeßt
wird. Im anderen Falle ift es die menfchlich einfache Gläubigkeit an ein Fjeilsprinzip,
die pch voller Vertrauen und ohne weitere innere Verpßid)tung der Gnade der „ßilfe
von außen“ anheimftellt. Das ift — neben dem Geßeimwiffen — aud) in anderen
Religionen die lebte Stufe religiöfer Entwicklung, als ein zweifellofes Seiten der Ver-
einzelung und der inneren Ermüdung; der, wenn man fo will, glücklichen Bequemlich-
keit gelaffenen Glaubens, ünd aud) in anderen Religionen pndet pcp die Erfcpeinung,
daß gleichzeitig eine Sonderftrömung verftärkter innerlicher, myftifch-exklupver Reli-
giofität vorkommt, wie in Oftafien der 3en£>uddhismus.
Diefer individuelleren religiöfen Einteilung entfpricpt ein Stil, der von vornherein
feiner plaftifchen Erfdjeinung nacp vermenfcplicpter, detaillierter ift. Nad) der einen
Seite l)in formelhafter, nad) der anderen Seite hin phypfd) konkreter, reicher an Er-
fd)einungsmotiven und feelifchen Äusdrucksmomenten. Und es entfpricht dem japanifd)en
Volkscharakter, daß er erft im Verlaufe diefer vermenfd)lid)ten Äuffaffung aktiven An-
teil an der Erfd)einung des Buddhismus genommen hat und erft auf dem Boden diefer
Äuffaffung zur felbftändigen künftlerifd)en Formulierung gelangt ift. Dann allerdings
in einem reichen Maße.
Der Jogwanftil des 9. Jahrhunderts, der künftlerifd) diefe lebte Periode einleitet, fteht
allerdings nod) ftark unter dem Einpute Chinas. Er ift der eigentliche Ausdruck der
efoterifcpen Geheimlehre der Shingon fhu. Mit der Fujiwaraplaftik febt dann die
japanifcpe Entwicklungslinie voll ein und verläup in reicher Variation bis etwa ins
15. Jahrhundert. Diefer 3eit gehören aud) die abgebildeten Stücke an, die uns im
einzelnen manche 3üge und Grundmotive japanifcper Äuffaffung ablefen und erkennen
laßen; die aber alle erft verftändlid) werden, wenn man fid) über die Grundlagen der
religiöfen Einteilung und Entvvicklungsftufe klar geworden ift, weswegen id) auch etwas
weiter ausholen mußte, bis id) zu unferem an pd) fo kleinen und fcpeinbar unbedeutenden
'Cßema komme. Es fei vorausgefcßickt, daß es pd) keineswegs um importante Stücke
handelt, wohl aber um typifepe Vertreter, die im kleinen die Äuffaffung großer 3eiL
ftrömungen erkennen laffen. Die kurze Einzelcparakteriftik ift deshalb aud) zugleid)
als allgemeines 3eitfymbol gültig.
Der Kopf (Äbb. 1) gehört der früheren 3^it diefes lebten Entwicklungsabfcpnittes an,
und zwar etwa der älteren Fujiwarazeit, alfo dern 10.—11. Jahrhundert; der Corfo
(Abb. 3 und 4) aber der Spätzeit, etwa dem Ende der Kamakuraperiode, dem 14. Jahr-
hundert alfo. Der Kopf trägt noep gewiffe 3üge der voraufgegangenen Jogwau-
auffatung; vor allem in der betonten Einzelbehandlung der Gefid)tsteile, die in ihrer

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