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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 6
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With, Karl: Einige mittelalterliche Plastiken Japans
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0288

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Verbindung fteßt. Bildliche Darftellungen find erft als Folge der Berührung und der
Vermifcßung mit dem Buddhismus —- dem Ryobu Sßinto — üblich geworden. Dabei
vermehrten auch vom buddhiftifchen Pantheon herübergenommene Gottbilder und Vor-
ftellungen das fcßon überzahlreiche lokale Pantheon des Shintoismus. Dennoch find
derartige bildliche Verkörperungen feiten. Sie folgen dabei einem befonderen Stil. Sie
find im allgemeinen nach der einen Seite hin gefchloffener, fummarifcher im plaftifcßen
Aufbau, einfacher in der ftofflichen Behandlung, nach der anderen Seite hin aber
nuancierter im individuellen Ausdruck, menfchlicher und nüchterner in ihrer pßyfifcßen
Catfächlichkeit. Das hängt zweifellos mit ihrer Bedeutung und Abftammung zufammen.
Denn es find keine Fiktionen, wie im Buddhismus; fie ftehen nicht in fymbolifcßem Bezuq
auf ein geiftiges, außerweltliches Prinzip, fondern find entwickelt aus dem Naturkult
und der Ahnenverehrung, bedeuten alfo vergottete Cote oder perfonifizierte Ceilkräfte
der Natur oder find Verkörperungen von ftaatsmythologifchen Vorftellungen. Das heißt
alfo, daß fie einer diesfeitigen Wirklichkeit entfprecßen. Und fomit liegt ihnen von
vornherein ein 3ug konkreter diesfeitiger Menfcßlicßkeit zugrunde, weswegen fie auch
erft in den 3eiten der lebten allgemeinen Entwicklungsftufe religiöfer Einteilung zu
größerer Bedeutung gelangt find. Das fcßeint mir ein ebenfo wichtiger Grund zu fein,
als der, daß erft der Buddhismus die Anregungen zur Verbildlichung gegeben habe.
Jedenfalls hat [i<h in diefen fhintoiftifchen Figuren das rein japanifche Empfinden un-
befd)werter und freier ausdrücken können als im Rahmen der oft übernommenen
Formen und Vorftellungen des Buddhismus. So liegt auch eine gewiffe Ähnlichkeit
mit den kleinen Conftatuetten aus dem Co des FJoryuji vor, in denen zum erftenmal
ein ausgefprochen japanifches Lokalkolorit anklingt. Die kleine Figur aus der Samm-
lung Vonwiller ift auch hier wieder ein typifcher Vertreter, wenn man von den mehr
porträtartigen Darftellungen abfieht. Eine fibende Geftalt, ganz in einen Mantel ein-
gehüllt; die Bände in die weiten Schlibe des kimonoartigen Gewandes gefcßoben und
der Kopf mit einem Cuch bedeckt. Diefe Anordnung gibt dabei Veranlaffung, die
ganze Figur einheitlich zufammenzufaffen und im Aufbau zu fchließen, ohne daß
irgendwelche Abftraktion vorliegt, fo daß das Bild bei aller Gefchloffenßeit nichts von
feiner zwanglofen menfchlichen Ballung verliert. Die einzelnen plaftifchen Ceile find
dabei in einer weichen, einförmigen und f<hlid)ten Flächigkeit gegeben, die zugleich
eine gute Unterlage für die farbige Behandlung abgibt. Ein außerordentlich klarer
Rhythmus beherrfcht in wenigen Linien und Flächen den ganzen Aufbau, der als folcher
repräfentativ auf die frontale Vorderanßcht hin konzentriert ift. Ein Motiv, das in der
frühen Plaftik durchgängig angewandt ift, jedoch hier nicht zu einer Arcßitektonifierung
führt, fondern im Sinne malerifcher Reduktion fid) auswirkt. Das Bild als folches ift
eine raffinierte Vereinfachung, ohne daß in folcher Bezeichnung ein tUiderfprucß liegt.
Ein Bild menfchlicher Schlichtheit und vornehmer Stille, höflich und gefittet. Von einer
Sparfamkeit, die nicht Armut ift, fondern Schlichtheit; und zwar eine Schlichtheit, in
der etwas Naturhaftes liegt, wie in den ftrohgedeckten, bauernhausähnlichen üempel-
bauten des Shintoismus, die nicht durch Pracht und Feierlichkeit fprechen, fondern durch
den Ernft ihrer erdhaften Symbolik.
Diefe drei kleinen Bildwerke ergeben einen flüchtigen Ausfchnitt aus dem Bereich
fpätzeitlicher Religiofität und Plaftik in Japan, für die jene Einteilung grundlegend
war, die wir die Vermenfchlichung nannten. Und diefe wiederum entfpricht in be-
fonderem Maße der japanifcßen Veranlagung, die nicht das Große, Geheimnisvolle einer
überweltlichen oder geiftig-theoretifchen Irrationalität fud)t, fondern aus einem gefunden
Selbfterhaltungstrieb heraus die Sicherung und Anerkennung des Menfchlichen im Dies-
feits und Jenfeits. Japan hat fo in der künftlerifchcn Interpretation religiöfer Momente
feiner finnenfrohen, beweglichen und genügfamen Bürgerlichkeit dadurch Ausdruck
gegeben, daß es den großen Glaubensinhalt der Erlöfung und Ruße auf die kleine
Form vermenfcßlicßter Gottnäße gebracht hat.

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