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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 6
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Grosse, Ernst: Die Töpferkunst der Japaner
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0290

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welche die japauifetje Kunft in ihren keramifchen Geräten zu einer [o vollkommenen
Fjarmonie ver[d)molzen h>at wie die Natur in ihren Organismen, liegt ein 3auber, der
gerade den mit freier (üillkür gefehaffenen Gebilden der europäifehen Kunfttöpferei
nicht eigen ift. Der verftändnisvolle und beharrliche Gehorfam gegen die Gebote der
Praxis hat die japanifche Keramik vor den ftiliftifchen Verirrungen bewahrt, denen die
europäifche To oft verfallen ift: ihre praktifche Bindung hat ihr Faltung und Ulürde
gegeben wie einem Manne fein Ämt. Der Japaner fehäjst deshalb mit vollem Recht
ein brauchbares Produkt eines keramifchen Künftlers äfthetifd) höher als ein zweck-
lofes, — im Gegenfa&e zu den meiften Europäern.
Die Vereinigung von 3weckmäßigkeit und Schönheit wird von allen Gerätekünften
gleid)tnäßig crftrebt; der befondere Reiz jeder einzelnen aber liegt in der Fjarmonie
ihrer Formen mit ihrem eigentümlichen Materiale. Das Material hat für die dienenden,
die Gerätekünfte, eine andere Bedeutung als für die freien Künfte. Die Schönheit einer
Figur, die ein Bildner aus Gon geformt hat, kann ziemlich unabhängig von dem ftoff-
lidjen Reize des Gones fein; bei einem irdenen Gefäß dagegen, das nidjts anderes dar-
ftellt als eben ein fdjönes Gongefäß, ift gerade der Reiz des Materiales die Fjauptfadje.
Im erften Falle wird die Schönheit dem Stoffe gleidjfam von außen aufgedrückt; in
dem zweiten wäcljft fie aus fern felbft heraus. Das Material ift für die freie Kunft oft
nur das Mittel, für die dienende Kunft dagegen immer auch der Gegenftand der Dar-
ftellung. Diefe darf ihren Stoff deshalb nicht mit fo herrifdjer (Xlillkür behandeln, wie
es fid) die freie Bildnerei erlauben mag, fondern fie muß dem tUillen des Stoffes ge-
horchen: fie darf ihm nur foldje Formen geben, in denen feine Eigenart zu klarer und
fcljöner Erfdjeinung kommt. Die Meifter der europäifehen Keramik haben nicht feiten
ihren Stolz darein gefefet, das Material in Formen zu zwingen, denen feine Natur
widerftrebt. Die Griechen haben ihren irdenen Gefäßen enge Einziehungen, dünne,
weit ausladende Ränder und Genkel gegeben, die wohl der widerftandsfäfegen Bronze,
nicht aber dem zerbrechlichen Gone angemeffen find, Füße aus übereinandergebauten
ÖLlülften und Kehlen, die ausfeljen, als wären fie aus Golz gedrechfelt. Die berühmten
Fayencen von St. Pordjaire find fo durchaus unkeramifeh gebildet, daß man fie nach
einer farblofen Abbildung fdjwerlich für öüerke der Göpferkunft halten würde. Die
Fabrikate von üledgewood ahmen die Formen aller möglichen Cedjniken nach, nur keine
keramifchen. Selbft die cljinefifche Göpferkunft hat fiel) von folchcr formalen Ver-
gewaltigung des Stoffes nicht völlig freigehalten; fie hat fogar recht häufig Formen
verwendet, die ihrem Urfprunge und Ulefen nach augenfcheinlich unkeramifd) find. Es
ift ja auch feit alter 3eit ihre Aufgabe gewefen, wohlfeile Nachbildungen koftbarer Bronze-
und Edelfteingeräte zu liefern. Die glafierten Steingutgefäße, die man mit zweifelhaftem
Rechte der Fjanzeit zuzufehreiben pflegt, find ganz offenbar Imitationen von Bronzevafen;
und das Lung-ch’uan yao, das Seladonporzellan, war urfprünglid) nichts anderes als ein
Erfafe für Jade. Auel) fpäter hat die Porzellankunft, nachdem fie längft zu einem eigenen
Stile gekommen war, immer wieder ähnliche Dienfte leiften müffen; bis in die lebten
Jahrhunderte hinein hat pe Surrogate für Gefäße aus den mannigfaltigften Stoffen wie
Bronze, Gold, Edelgeftein, Korallen, Golz u. a. geliefert, alle in den entfpredjenden
Formen. Und felbft abgefehen von folcßen direkten Imitationen läßt fiel) der Einfluß
unkeramifdjer Formen vielfach deutlich erkennen. — In Japan dagegen haben die
Meifter der Göpferkunft mit einem unfehlbaren Gefühle auf alle Formen verzichtet, die
fiel) nicht natürlich und ungezwungen aus dem Materiale und der Cedjnik ergaben.
Ganz gewiß nicht deshalb, weil ihre ted)nifd)e Fähigkeit geringer wäre als die der
Europäer und Cl)inefen; denn tatfächlid) gebieten fie über eine Gefcljicklichkeit, mit der
fid) wenigftens kein europäifeher Cöpfer meffen kann. Aber fie haben ihre Macht
unter das Gefetj des Stoffes geftellt. Sie zwingen ihren Stoff nicht, fondern fie laffen
fid) von fern leiten und eben dadurch gelangen fie dazu, ihn zu beherrfehen. Die
Formen ihrer (Herke find dem Stoffe fo vollkommen angemeffen, daß man fie fid) in

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