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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 6
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Salmony, Alfred: Die Plastik des hinterindischen Kunstkreises
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0309

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3weifellos lebten die Körner, foweit wir ihjre Denkmäler kennen, d. \). feit dem
6. Jahrhundert, in ftändiger Verbindung mit Indien. Den erften Jahrhunderten der freien
Kunftentwicklung, alfo der 3eit um oder vor 900 dürfte der große fjari-fjara (Abb. 2),
das Fjauptftück des Mufee Guimet entftammen. Die Oberfläche der Figur ift h^rlich
erhalten, der Kopf trägt noch alte Vergoldung. Nur von den vier Armen fehlt der
größte Ceil. Diefe zufammengefefete Form des Shiva „fymbolifiert die lefcte Einheit
von 3eit und Raum, wobei Shiva (rechts) die 3^it und Vishnu (links) den Raum vor-
ftellt“ (B. C. Bhattacharya „Indian Images“, Band 1, Calcutta 1921). Die Teilung ift
ftreng durchgeführt, fogar der dem Körper in Reliefzeichnung umgelegte Schurz weift
verfchiedene Faltenbehandlung auf. Shiva trägt geflochtene Fjaarfträhnen, in der er-
haltenen fjand den Dreizack, Vishnu die Krone und erhoben das Rad der Lehre. Die
tropifche Phantaftik der kosmologifchen Spekulation ift in einen Körper gebannt, deffen
fymbolifche Überhöhung fich innig mit Klirklichkeitselementen verbunden hat. Der
finnlich weiche Leib, die noch durch die Steinaureole verftärkte Ausrundung aller Be-
wegungen find Merkmale der Khmerkunft. Neben der Derbheit des birmanifchen Ge-
fichts fteht in Cambodgia weiche Verfonnenheit, alle Einzelheiten find durchmodelliert,
der Ausdruck des Fjinfchwebens, der Gelöftheit eignet hier brahmanifchen wie buddhifti-
fchen Gottheiten. Gerade diefe verfeinerte Kunft fteht am Anfang. Porträthaft-menfchliche
3üge und wirkliche Porträtköpfe mit ausgefprochenen Raffeeigentümlichkeiten drängen
fich erft im Laufe der fpäteren Entwicklung vor. Aber auch dann bleiben die Form-
merkmale wefentlid) die gleichen, fo daß eine ftilgefcßichtliche Reihung der Plaftik —
für die Baukunft und ihren Schmuck längft durchgeführt — noch unmöglich fcheint.
3u ünrecht wirft man jedoch der Khmerplaftik gleichförmige Erftarrung vor. Der Reich-
tum an Abwandlungen der bereits aufgewiefenen Grundmotive ift groß und erlaubt
der Phantafie Löfungen, die Eigentum des Landes geblieben find. 3U den kühnften
Schöpfungen der frühen Biidhauerfchule gehört ein Gandharva mit Pferdekopf im Mufee
Indo-chinois, Paris (Abb. 3). Die Schmuckfreude des Dekorateurs bemächtigt fich des
Schurzes und der Krone diefes göttlichen Kiefens, das als Bewohner einer höheren
Kielt keine eigentlich religiöfe Verehrung genießt und eher als Begleiter dargeftellt wird.
Dem Körper ift jede ftruktive Fjärte genommen, die virtuos modellierte glatte Oberfläche
betont bewußt den Gegenfatj zu den koftbaren Stoffen der Bekleidung. Menfchenleib
und Cierkopf find nie vollendeter ineinander gefügt worden. Diefe Sicherheit der Über-
gänge, diefe Ausrundung der plaftifchen Kompofition befifet kein Kentaur.
Die künftlerifche Entwicklung von Champa läuft der von Cambodgia parallel. Über-
haupt dürfte trotj der traditionellen Feindfchaft beider Länder eine Klechfelwirkung
beftehen. Auch h^r ftehen zierlichere Formen am Anfang, blockhafte und rohe am
Ende. Auffällig ift die ftärkere Bindung aller Champaplaftik an eine Fjinterwand. Bei
dem achtarmigen Shiva der Frühzeit (Mufee Indo-chinois, Paris, Abb. 4) bleibt ein Ueil
der Arme im Relief. Shiva fitjt auf dem Lotoskiffen, als Brahmanenfchnur trägt er
die Schlange, Krone und Schurz find reich gefchmückt, die Stirne zeigt das dritte Auge.
Der Körper hat zwar weder Muskeln noch betonte Gelenke, wirkt aber gefpannter und
ftraffer als bei den Khmer. Den Ausdruck des Antli^es möchte man negroid nennen,
alle 3üge find fdtjärfer umgrenzt, hinter diefer Ruhe fpürt man die Möglichkeit wilder
Erregung. Der Bildhauer hat im Kultbild das Ideal der Raffe gegeben. Überzeugend
tritt das an der an und für fich zur Milde vorausbeftimmten buddhiftifchen Plaftik zutage.
Als Beifpiel diene der fjeilsbringer auf dem Naga, gleichfalls im Mufee Indochinois
(Abb. 5). Noch ift der Erhabene Prinz und daher mit fürftlichem Schmuck beladen,
aber er hat bereits die Erleuchtung errungen, die allen lebenden Kiefen Erlöfung bringen
foll. Daher fteigt der Beherrfcher des Kläffers, der Naga Mucalinda aus den Fluten
und fchütjt durch die Entfaltung feiner fiebenköpfigen Schlangengeftalt den künftigen
Buddha während der 3^it feiner lebten Sammlung vor üngewitter. Klie bei der
brahmanifchen Gottheit find die wulftigen Lippen umrandet. Kliederum durchbricht das
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