Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Salmony, Alfred: Die Plastik des hinterindischen Kunstkreises
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0313

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
alleinherrfchend i[t die unbewegte, frontal und fymmetrifd) aufgenommene Geftalt. Für
Schritt- oder Ärmbewegung gibt es nur ganz wenig Beifpiele, vor allem Cänzerinnen
oder Kleinplaftiken. Die afymmetrifd)e Ausbiegung derFjüße, das beliebtefte Bewegungs-
motiv Vorderindiens, ift überhaupt nic±)t bekannt, nicht einmal bei weiblichen Gottheiten.
Die Äuspendelung des Blockes oder der Einzelform (eines Kopfes etwa) ift von voll-
kommener Beruhigung. Kubifche (der Nagathron, Äbb. 5), vor allem aber fphärifche
Bildungen bieten allein die Grundformen der plaftifchen Mittel. Die Proportionen der
Körper find gedrungener als im Kleften, ohne voller zu wirken. Das Gewand unter-
drückt fjinterindien, kommt es zur Geltung, fo bietet es ßd) leicht dem Dekor, dem ja
diefe Skulptur überhaupt fo häufig dienen muß. Die dekorative Bindung an die Archi-
tektur macht auch die Abhängigkeit der Cßampaplaftik von der Rüdewand verftändlid).
Der ganze Ausdruck fammelt fid) in den Köpfen. Über die cambodgianifcßen fagt
Groslier: „Das Antlitj einer Statue ift der üriumph der Unbeweglichkeit.“ Diefe Be-
hauptung läßt fleh auf die Plaftik Fjinterindiens überhaupt ausdehnen. Durch diefe
Eigenfchaft tritt fie in Gegenfafe zu der rhythmifd)en Bewegtheit Vorderindiens. Es ift
die raffenmäßige Veranlagung der Sd)öpfer, die durchbricht. Ihr glücklicher Quietismus
fchafft ßch die für feine Abpcßten ausdrucksftärkften Mittel. Das läßt fid) bis in Einzel-
heiten der Gefichts- und Körperbildung nachweifen. Neben dem Bodenftändigen find
die Einflüffe des kulturell mächtigeren indifchen Kerns überall aufweisbar. Klürde man
fid) aber mit deren Erkenntnis begnügen, fo ginge man — wie fo oft in Europa und
faft immer im Orient — am Klefentlichften, an der fchöpferifd)en Eigenleiftung vorüber.
Nid)t was die Bildhauer Fjinterindiens übernahmen, macht ihre Klerke bedeutfam, was
fie an menfd)lid)er Befonderheit ausformen konnten, muß an erfter Stelle intereffieren.
Selbft in einem fo entlegenen und unerforfd)ten Erdteil kann man weiter gehen und
für jede gefchloffene Volkseinheit einen Nationalftil feftftellen, der fid) elementar inmitten
eines lebhaften kulturellen Austaufchs behauptet. Die religiöfe Symbolkunft aller nicht
zerfefeten Völker entfpringt eben aud) in Aßen dem geßeirnften Criebleben und ent-
fd)leiert eine befondere und deshalb wertvolle Kiefensart. Die oftindifd)en Geftalter
fanden ihre Darftellungsmittel aber keineswegs in einer kopierenden Naturaliftik, ihre
Verwendung der Raffenmerkmale beruht auf einer pcheren Auswahl — getroffen aus
dem künftlerifd)en Inftinkt. Klar dann in kurzer 3eit (uns fcheint es von Anfang an)
der formale Vorrat umzirkelt und vorgefchrieben, fo trat nod) lange nicht die oft gerügte
Erftarrung ein. Bei der unerhörten ted)nifd)en Vollendung der Skulpturen von Cam-
bodgia, Champa und Siam gibt es kein Gerede von Nichtkönnen, vor allem aber keinen
Einßuß des hellenißifchen Europa. Im eigentlichen Aßen \)at fid) das apatifeße Kunft-
genie mannigfaltig genug manifeftiert, es ift unnüfe, die befd)ämende Beftätigung eines
allgemeingültigen Europa nod) fuchen zu wollen, wenn die blutvollfte Statuarik auf
einem Boden wachfen konnte, der wie der Fjinterindiens erft nach feiner völligen
kulturellen Verödung in die Kleltftraßen zwifegen Orient und Okzident einbezogen wurde.

289
 
Annotationen