Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

DOI issue:
Heft 8
DOI article:
Graf, Oskar Maria: Der Maler Carl Mense
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0407

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
fonders jenes Mädchenbild, das in [einer berückenden 3ierlid)keit, in der leidsten, ver-
fchnörkelten Genauigkeit dod) nie aus der Haltung fällt. Immer nod), bis nad) dem
Kriege, ift diefe Malerei faft ein Ergötzen, ein bezauberndes und ob [einer völlig be-
wußten Gelenkigkeit hinreißendes Spiel mit der Farbe, mit den Reizen des Details, nie
verliert [ie fid), nie verzettelt [ie fid) indeffen, immer wird ein Ganzes daraus. Äber
wir werden die Empfindung des ünbefriedigtfeins nicht los beim Anblick diefer tflerke,
wir fühlen die ergiebige Kraft in diefen Geftaltungen wohl, und eben deshalb verlangen
wir Gefeftigteres.
Die allgemeine Reaktion gegen die Anarchie der formalen Tendenzen, wie [ie ein
[ogenannter „Expreffionismus“ hervor9erufen ha*> mußte — das war dem fd)ärferen
Beobachter bald klar — gerade Men[e in Konflikt bringen mit [einer bisherigen [tili-
ftifchen Einteilung. ÜJie es nad) erregten Epochen eines allgemeinen Kulturzu[tandes
immer i[t, nämlich, daß nad) dem ver[d)wenderi[d)en Ineinanderwirbeln der Gegen-
[ä^lichkeiten eine Vertiefung einfet^t, ein Befinnen, eine fühlbar zunehmende Skepfis —
[o ereignet es [id) in [olchen 3cit[pannen aud) im [d)öpferi[d)en Ge[talten des Ein-
zelnen. Immer zeigen [id) die er[ten Merkmale einer [olchen (Handlung in den künft-
leri[d)en Strebungen am deutlid)[ten.
Nunmehr, nicht plötzlich, eher unauffällig, aber von tüerk zu Klerk zunehmend, er-
arbeitet fid) diefer Maler die Einfachheit- Die Genauigkeit der 3eid)nung beherr[d)t
von jefet ab die Bilder. Die Nebenfäd)lid)keiten fallen ab, alles gewinnt Leben, die
Farbe wird ruhiger, alles zielt auf Plaftizität, auf Eindringlichkeit ab. Der Fjang zum
Effekt weicht. Eine ed)te Intimität brid)t fid) Bahn in den Bildniffen jener Jahre. Ge-
fügt von jener zwingenden Schlichtheit, die die Reife immer mit fid) bringt, beleben
diefe Porträts die grandios perfpektivifd) erfaßten Hintergründe. ÜJie gemeißelt heben
{ich diefe Gefid)te aus der vollen, [atten Farbe und doch ift nichts von jener nüch-
ternen üypik, von jener abfichtlichen Kompofition, wie man [ie bisweilen bei den neuen
Franzofen und Italienern gleicher Richtung antrifft, in diefen Bildern. Vielmehr ift die
große Lradition der frühen Meifter [einer Heimat wieder aufgenommen und völlig zu
einer eigenen Lebendigkeit gefteigert. Nicht mufeal, nicht theoretifd)-kalt, [ondern ge-
[taltet mit der ganzen Intere[fiertl)eit, mit der zud)tvollen Liebe eines unbeirrbaren
Charakteriftikers, dem das Motiv, das Objekt immer nur Anlaß zur Sichtbarmachung
der fcdefenheit ift — [o wirken Menfes Porträte.
IHer dies beftätigt haben will, [ehe fid) [ein Selbftporträt, das Bildnis [einer Frau,
die „Vornehme Dame“ und die vielen Porträts aus der letzten Schaffenszeit des Künft-
lers an. Es ift nach einer, felbft noch fo peinlich wertenden Überprüfung diefer Bild-
werke nicht zuviel gefagt, wenn man Menfe nach [olchen Leitungen als einen der
Erften in die vorderfte Reihe der wefentlichen Porträtiften der Jetztzeit [teilt. Die ruhige
Klarheit, mit der er aus der Ähnlichkeit des Menfd)enge{id)tes, das er fefthält, das da-
hinter wirkende Liefere und Eigentümliche herausJ)ßbt, die £Uud)t, mit der er [ein
inneres Erleben in eine endgültige Form zwingt, [ein gereiftes handwerklid)es Können
heben ihn von felbft auf eine fold)e Rangftufe.
Im Gegenfat} zur Naivität eines Schrimpf, deffen FrÖmniigkeit immer ins Innige
mündet, i)at Menfes Malerei eine faft unfinnliche Herbheit. Lange vor der befd)wid)-
tigenden Gebärde der tilerke der Valori-Plaftici-Künftler und ganz und gar unabhängig
von den gleichftrebenden Franzofen, deren tüftelnde Bedad)tfamkeit nur zu oft nüchtern
und mathematifch-gefucht wirkt, haben diefe zwei Deutfd)en Beifpiele einer natürlichen,
wohltuenden „Formverfeftigung“ geliefert und andere befruchtet. Sie haben jenen
theoretifierenden Ausländern etwas voraus, was Jle einzigartig macht, nämlich die Ein-
dringlichkeit, die tüärme, das Lebendig-Nahe.
Sie find nicht zurüdegekehrt zur [trengen Gegenftändlid)keit, diefe war ihr fd)öpfe-
rifcher Anfang, Geftaltungsurfprung.

383
 
Annotationen