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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 9
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Goetz, Hermann: Die indischen Miniaturen der Berliner Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0447

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Stellung, [einer Gewiffenskämpfe in dem Bürgerkrieg zwifchen [einem Kai[er und
dem fiegreichen, von ihm als Bindu-Feind gefaßten Äurangzeb (Äbb. 3).
Die Bofkunft Sßäß Jaßäns wurde die Grundlage für eine allgemeine nordindifche
Malerei, [eit die grandio[e Politik des Kaifers Äurangzeb die Kräfte des Mogßulreidrjes
über[pannte, und es dann nach [einem Code in einen Staatenbund auseinanderbrach,
ähnlich dem des Beiligen Römifdjen Reiches deut[d)er Nation. (Die dort, hat auch ßier
die Bildung [o vieler kleiner Fürftenhöfe zu einer künftlerifchen Entwicklung geführt,
die uns in der Kun[t der erften Bälfte des 18. Jahrhunderts die [d)ön[te Blüte indo-
islami[d)er Miniaturenmalerei [eßen laffen muß. Man ßatte fid) die technifchen Er-
fahrungen europäifcßer Kunft, Perfpektive und Lichtentwirkung, faft alle zu eigen gemacht,
aber man hatte [ie zu einer der 3eid)enweife angepaßten Manier ftilifiert und [o einen Stil
entwickelt, der die harmonifcße Linien- und Flächenverteilung, die glühenden und doch
dezenten Farben der älteren Malerei mit der Bildtiefe und Luftperfpektive, der natur-
näheren 3eid)nung und dem Geheimnis des Bdl-Dunkel unferer Barockmalerei glücklich
verband. Auch die dargeftellten Stoffe veränderten fidt). An Stelle der pompöfen Bof-
bilder tritt das Genrebild mehr und mehr in den Vordergrund. Allerdings der typifd) mus-
limifche Charakter geht dabei verloren; denn [eitdem diefe Malerei nicht mehr von den
alten kriegerifchen und mehr oder minder orthodoxen Kaifern von Delhi allein gepflegt
wird, erfreuen [ich die Stoffe der Bindukunft immer [teigender Beliebtheit. Von der alten
Bofmalerei bleiben nur mehr die Porträts übrig, [onft herrfchen nun Baremsfzenen, die
Darftellungen der erotifdjen Beginnen — die acht Näyikäs — und der Singweifen, der
Räginis, vor. Es ift faft nicht möglich, an diefen entzückenden (ilerken vorbeizugehen,
ohne ein paar Proben zu geben: Das tropifdj-fchwüle Äbendbild mit der Edeldame bei
einem Einfiedler (Äbb. 4); das Mädchen, das nachts zu [einem Geliebten geht —
Äbhifärikä Näekä (Äbb. 5), und das Liebespaar nachts auf der Gartenveranda beim
[chwachen Schein einer Kerze (Äbb. 6), alle aus dem Mufeum für Völkerkunde.
Allmählich bilden fleh nun eigene Provinzftile heraus. Die flächige Manier der Schule
von Patna, die etwas harte und eklektifche Art der Schule von Oudh, die lineare der
von Jaipur, die Schule von Baidaräbäd, alle find fie vertreten in den Berliner Samm-
lungen, allerdings zerftreut, auseinandergeriffen; aber ihr künftlerifcher (Uert ift gering, [o
daß es [ich kaum lohnt, hier auf diefe [päten Schulen näher einzugehen. Die 3eiten find in
der zweiten Bälfte des 18. Jahrhunderts unruhig, Perfer und Marathen, dann Afghanen und
Engländer [treiten [ich um die Crümmer des mehr und mehr zerfallenden Moghul-Reid)s.
Nachkommen alter Fürftengefchlechter werden zu Marionetten in den Bänden ihrer
Vafallen; Räuber und Condottieri gründen, auf Söldnerfcharen geftütjt, neue Reiche.
Die Kunft mußte da natürlich verfallen, und [o ift der äftßetifche (Hert der (üerke
diefer Provinzfchulen gering; von Intereffe find fie aber für den Biftoriker, Dokumente,
in denen [ich diefe wilde 3eit treu [piegelt. So ift z. B. in der Schule von Oudß
(Blätter davon im Kunftgewerbemufeum und im Mufeum für Völkerkunde) ein deut-
licher Einfluß franzöfifchen Gefchmackes fühlbar; wobei daran erinnert werden muß,
daß es franzöfifeße und deutfeße Offiziere waren, die damals die Gruppen des Nawäbs
von Lakßnau, Sßuja-ad-daulah, ausbildeten und gegen die Sepoys den Eaft India
Company führten, bis die Schlacht von Bakfar an ihre Stelle die Engländer feljte. Aus
dem Nachlaffe eines diefer Abenteurer, des Majors Antoine Louis Polier ff 1795),
eines Schweizers und Freunds von (Darren Baftings, ftammen 7 Bände der \)ie\igen
Miniaturen-Sammlungen.
Es erwuchs aber in jener 3eit jene wunderbarfte der Blüten indifcher Miniaturen-
malerei in den vor dem wilden Strom der damaligen Gefchichte gefdjütjten Staaten
der Rajputen, jene vom Geifte der Krishna-Myftik durchfeelten entzückenden (Uerke,
mit denen uns in dem letjten Jahrzehnt Änanda K. Coomaraswamy vertraut gemacht
hat. Da Sawai Jai Singh II. den Staat der Kachhwahas von Jaipur zu einem der
mächtigften in Nordindien erhob, da an feinem Bofe jene aftronomifchen (üerke ent-
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