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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 10
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Schmidt, Paul Ferdinand: Runge und die Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0482

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deutende Erfcßeinungen pcß zu amalgamieren und durch) die Brillengläfer ißrer Cßeorien
zu betrachten. Um fo weniger darf man es unferer Generation verübeln, wenn fie den
Irrtum der vorigen korrigiert und zunäcßft erkennt, daß fid) fcßlecßterdings gar nichts
in Runges Beftrebungen, feien fie tßeoretifcß oder praktifd) von ißm niedergelegt, mit
der materialiftifcßen Nichts - als - Optik der Imprefponiften vereinigen läßt; und wenn
fie dann zur eignen Deutung übergeht und aus der künftlerifcßen Einteilung unferer
3eit heraus den Scßlüffel zum Verftändnis Runges in feiner Romantik, in feiner reli-
giöfen Symbolik zu finden glaubt.
Daß wir hierin nicht gar zu weit abirren können, deffen ift als untrüglicher Beweis
Runges eigenes Bekenntnis anzuführen. Dem einen, halb apokryphen, nur von dritter
Seite überlieferten öCIort von „Licht, Farbe und bewegendem Leben“ als Kern der
Malerei fteßt die überwältigende Fülle und der immer wiederholte Nachdruck feiner
fchrifllichen Äußerungen gegenüber, die das unzweideutigfte Gelöbnis der Romantik
darftellen. Ich habe in meinem Rangebuch1 einige der bedeutendften Äußerungen der
Art im 3ufammenhang abgedruckt: fie find dort und in den zwei Bänden feiner
„Fjinterlaffenen Schriften“ (1840/41) nachzuprüfen; hier ift nicht der Raum dazu, diefe
tiefen und herrlichen Äußerungen eines fo ganz deutfeßen Genius zu wiederholen.
Has die Entdecker Runges hat verführen können, ein Stüde Licßtmaler in ihm zu
fehen, ift einzig und allein das große Gruppenbildnis „Die fjuelfenbeckfcßen Kinder“
gewefen, das erfte Gemälde, das Licßtwark aus dem Verfteck im Magazin feiner Kunft-
halle hervorzog. Hirklid): die drei Kinder pnd im helle« Sonnenlicht fpielend dar-
geftellt. Aber Runge wäre fehr erftaunt gewefen, wenn er gehört hätte, daß ihm hier
die Vorwegnahme des Manetfcßen Pleinair gelungen fei. Er dachte vielleicht auch an
folcße feiner 3eit fehr fernliegenden Formprobleme, da er in allen Dingen ihr voraus
war und eine Reife der künftlerifchen Erkenntnis befaß, die nur aus dem angeborenen
Hellfeßen des Genies zu erklären ift. Aber er dachte an pe niemals als 3ie\e, fondern
nur als Hilfskräfte für feine übermenfehlich große Aufgabe: ein neues Symbol, eine
„Hieroglyphe“ für den Ausdrude religiöfen Empfindens zu fuchen; nachdem die alte
wörtlich gemeinte Heiligenmalerei endgültig zu Code geßeßt war (oder wenigftens ihm
fo fcheinen durfte: die Malereien der Nazarener, die nach ihm den alten Kehricht
wieder zu oberft kehrten, hätten ihm nie und nimmer als Hiderlegung gegolten).
So alfo ift das Sonnenlicht auf den „Huelfenbeckfcßen Kindern“ zu verfteßen: als
Formmittel in einem Bilde, das feinerfeits nichts als eine Vorübung für feine große
Aufgabe war. Von diefer foll gleich die Rede fein: hinzuzufügen ift aber nocß dies,
daß jene Huelfenbeckfcße Sonne nicht die geringfte Verwandfcßaft mit der des „Pere
Lathuille“ befißt, fondern uns an den größten Deutfeßen des 15. Jahrhunderts, an
Konrad Hiß, denken läßt, wenn feßon einmal ßiftorifeße Erinnerungen aufgezogen
werden füllen, Und diefe Parallele hat einen guten, einen doppelten Sinn: pe weift
einmal auf die beiden Meiftern gemeinfame Aufgabe hin» die pe dem Ließt erteilen:
Körper ftraff zu modellieren, Raum in ftrenger Abfolge der Ciefe zu bauen — im
äußerften Gegenfatj zu der auflöfenden Gepnnung des Impreffionismus. Und pe befagt
andrerfeits, daß es pnnlos fei, den deutfeßen Myftiker als Vorläufer franzöpfeßer Ma-
terialiften zu taxieren, daß fein Plaß allein an der Seite der großen Gottfucßer zu
pnden fei, die von dem Meifter der Hildesheimer Domtüren bis zu Konrad Hiß und
von Altdorfer bis zu Marees und Hodler eine Kette des 3ufammenßaltes deutfeßer
Form und deutfeßer Ciefe bilden. Es darf nicht meßr erlaubt fein, die deutfeßen Form-
fueßer als fcßwächlicßes Ecßo weftlicßer Kultur erniedrigend ßinzuftellen. tüo ein Ge-
ftaltungswille fo unbeugfam durch ein Jahrtaufend fieß gleich geblieben ift, wie in der
deutfeßen Kunft, wird es zur oberften Pflicßt, feiner tüefenßapigkeit in allen Hand-
lungen naeßzufpüren, feine Größe aus dem Vergleich mit pcß felber zu gewinnen und
1 Pb-Otto Runge. Sein Leben und fein Cüerk, dargeftellt von Paul F. Schmidt. Mit80Äbb.
Leipzig, Infelverlag 1922.

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