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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 10
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Schmidt, Paul Ferdinand: Runge und die Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0488

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vorweggenommen wurde. Aber das ift das Geringfte. Nicht nur tjat er mit zweifel-
lofer Deutlichkeit als erfter, aus der romantifeßen Empfindung der Synäftßefie heraus,
den Gefühlsausdruck und Conklang der reinen Farbe feftgeftellt, fondern auch feine
Anwendung in der Malerei gefordert und in feinen tilerken durchzuführen gefud)t.
Daß wir vor diefen nicht viel davon fpüren, liegt nun wieder an feinem frühen Code,
der ihm das tecßnifche Ausreifen feiner Ideen nicht erlaubte, liegt aber zum Ceil auch
an der mangelhaften Erhaltung feiner Bilder, denen faft allen übel mitgefpielt worden
ift. Im Prinzip war er fid) klar über die pfycßifcße £Hirkung, die er durch Anwendung
ganz reiner Farben erreichen wollte, und dies ift eines der großen Dinge, die er bei
längerem Leben unbedingt erreicht hätte; denn es war ihm heiliger Ernft damit, ttler
„Das Geiftige in der Kunft“ von Kandinfky und einige Auffätje Franz Marcs mit den
entfprechenden Stellen in Runges ßinterlaffenen Schriften vergleicht, wird mit tiefem Er-
ftaunen eine innere Verwandtfcßaft der Ideen erkennen, die faft an Identität grenzt.
In der Cat füllte jedes der Cageszeiten-Bilder eine der drei Grundfarben als beftim-
menden Akkord erhalten, und es ift ergreifend zu lefen, in welchem ßoßen Sinne das
Gelb, das Rot und das Blau als ÜUeltßarmonien gedeutet find.
In diefem engeren 3ufammenhang mag noch angedeutet werden, wie ficb) Runges
Ideen, die ihrer 3eit fo unbegreiflich) vorauseilen, eine künftlerifcße Erfüllung in unferen
Cagen gefunden haben. Nicht erft feit Kandinfky, aber von feinen Forfcßungen und
feiner Malerei wefentlicß unterftüjjt, hat der Geift der Farbe pcß von der Vormund-
fchaft des Gegenftandes und des Lichtes befreit und einen felbftändigen Ausdruck ge-
fügt, den man nicht wohl anders als romantifcß benennen kann. Es hat keinen Sinn,
bei diefen Erfcßeinungen den Ismus der Expreffion herbeizurufen: das ift eine durchaus
andere Art der Vifion und ihres malerifchen Ausdrucks, die pcß hier kundgibt. Außer
Kandinfky ift es ein zweiter Ruffe, der die ftärkften Anregungen gegeben hat: Marc
Chagall. Aber in Deutfcßland haben fid) in München, der Stadt des „Blauen Reiters“,
Marc, Macke und Campendonk in gleichem Maße um die Entdeckung der reinen Farbe
verdient gemacht; und juft während der niederträchtig „großen 3eit“ des heiligen Feld-
grau hat fid) die Revolution ausgebreitet und befeftigt: es genüge, an Namen wie Paul
Klee, Seehaus, Muche, Copp, Molzahn zu erinnern. So wunderbar die Spannweite der
künftlerifchen, der tHelterlebniffe ift, welche diefe Namen ßervorrufen: das große Ge-
heimnis ihrer Einheit liegt in der romantifchen tHirkung ihrer abfoluten Farbe. Ob
fie gegenftandslos malen oder kosmifche Plaudereien quellen laffen: die Farbe bleibt
bei ihnen allen das wunderfamfte, das unendlich reiche Inftrument einer Art von
Sphärenmufik. Nicht der Gegenftand deutet uns einen Märchencßarakter, fondern die
Farbe; die Farbe ift es, die fingt und jubiliert und Craumwelten nie erhörter Seligkeit
erfd)afft; im farbigen Abglanz fehen wir die Steigerung des Dafeins zur ünfcßuld und
Liebe. Das ift die wahre „Poetifierung der ÜLIelt“, wie fie die Romantiker forderten
und mit dem unvollkommenen Inftrument ihrer Sprache nicht leiften konnten: Runge
hat unklar wohl Derartiges erfehnt. Daß die 3eit damals nicßt reif war für eine fo
weitgehende Erfetjung der Illuftration durch die Gefühlswerte der Farbe, und daß auch
er felbft bei längerem Leben nicht fo weit gelangt wäre, fondern am wirklichkeits-
wahren Kontur wohl oder übel hätte fefthalten müffen, daran zu zweifeln, haben wir
keinen Grund. Aber es bildet das ÜDunder des Geiftes, daß wir fpüren: hier liegen
meßr als zufällige Ähnlichkeiten zwifchen Runge und der Kunft unferer Lebenden;
hier handelt es fiel) um eine Fortfetjung des von ihm unfertig Gelaffenen mit neuen
und wirkungsvolleren Mitteln. Der deutfehe Gedanke mag an der üngunft der lüelt,
an Cod und Ceufel zeitweife Schaden erleiden: er feßt pd) immer wieder von neuem
durch. So dient uns das Beifpiel diefes Großen zur tröftlichen Gewißheit, daß am
Ende nichts umfonft gefeßeßen darf, daß wir mit ßjebbel gefteßen müffen:
„(Ind die Fäden, die zerriffen,
Knüpft ER alle wieder an.“

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