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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 10
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Biermann, Georg: Vincents Schicksal
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0493

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Seite abrundet und ergänzt, ift jo felbftverftändlicß, daß beinahe jedes tüort der Er-
klärung überflüfßg erfcßeint. Nocß immer kommen unbekannte Stücke aus diefer Fjinter-
laffenfcßaft ans Ließt. Erft letjtßin jenes feltfame aber durchaus typifeße nScßweigen
im tüalde“, das der Cicerone aus einer Madrider Privatfammlung in Fjeft 1 diefes
Jaßrgangs veröffentlichen konnte, Dokument, wie feßr diefe oft ftark meditative Natur
eines van Gogß aueß einmal den Eindrücken gleichzeitiger Kunft (Böcklin) erliegen
konnte, oßne dabei fein Selbft zu opfern. Gewichtiger als diefes Bild, deffen Bedeu-
tung damit nicht verkleinert werden foll, erfeßeint feinem künftlerifcßen Format naeß
ein Gemälde, das kürzlich in der Galerie Cßannßaufer in Müncßen zu feßen war,
der letjten Epocße des Meifters entftammt und einen von Sonnenlicht übergoffenen
Feldweg bei Arles (wo fieß bekanntlich Vincents Scßickfal vollendete) wiedergibt1.
Jeder Pinfelftricß diefes aus gelben, grünen, blauen und weißen Spacßtelßieben ßin-
gemauerten Bildes verrät die typifeße Fjandfcßrift des Meifters, der mit der äußerften
Abbreviatur die ßöcßfte Intensität des malerifcßen Eindrucks zu erreichen bemüßt ift
und ßier, wie fo oft in diefen Jaßren, die Einzelform küßn verneinend, inneres Er-
leben geftaltet, das demütig und inbrünftig zugleich vor der überwältigenden Scßön-
ßeit des Lichtes auf die Kniee finkt. In diefem wogenden Meer weniger ungemifeßter
Farben, in diefem zuckenden Auf und Nieder von Büfcßen und Sträucßern, die durch
die Glut des Sonnenlichtes wie in leicßtem Flimmern bewegt feßeinen, irrt die Erfcßei-
nung einer provenzalifcßen Bäuerin wie ein ftilles Gleichnis auf die fie umgebende und
faft erdrückende Natur. Strauch, öüeg und Menfcß ein einziger Dreiklang in der feinen
Sympßonie der Scßöpfung, malerifcß fo in einander verwoben, daß ßcß kein Atom diefes
verfeßiedenartigen naturßaften Seins, diefer durcß den 3auber des Licßtes gewordenen
engften Verbundenßeit aus der wundervollen Harmonie des Ganzen vordrängt. Cßann-
ßaufer beßtjt auch den ßier abgebildeten Knabenkopf, der fieß — wenn Erinnerung
meßt täufeßt — vordem in einer bekannten rßeinifeßen Privatfammlung befand und
meßrfaeß ausgeftellt war. Auch dies Porträt ftärkftes Bekenntnis des Künftlers zu (Heit
und Ewigkeit. Vor dem leucßtend gelben Hintergrund fteßt der Kopf mit der tief-
blauen Müt^e, die mit dem Grün der Joppe — beide Farben ganz auf das Gelb ßin
abgeftimmt — einen lauten Doppelklang ertönen läßt, der fid), einmal erfaßt, unver-
geßlich einprägt. Und ßat nicht dies Geficßt aueß jene verßaltene Schwermut, die fieß,
allem Licßtbekenntnis zum Crotj, fo oft auf Vincents Seele fenkte. Ift dies nießt ein
Cüer, den ebenfo gut einer der Oftafiaten geftaltet ßaben könnte. Nur wäre er dann
nicht für uns der Bauernfoßn aus der Provence, fondern Symbol im beften Sinne des
(Hortes auf das Ewige im menfcßlicßen Scßickfal. CInd daßin wird auch Vincents
ÜUerk kommen.

1 Konnte leider auf ttlunfcß des neuen Bepßers ßier nießt wiedergegeben werden. Der Verf.

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