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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 12
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Lewinsohn, Richard: Ästhetische und historische Kunstanschauung
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0572

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halb eines Syftems wie dem der Mechanik oder der Mathematik, das [ich auf ein
Minimum von unbeweisbaren Grundfäfeen, die an der Grenze des Äpriorifchen ftehen,
reduzieren läßt. Ein folcßes Syftem der Äftßetik und der Kunfttheorie gab es aber
weder damals, noch ift es durch die neuen großen „Syfteme“, die in den erften Jahren
des 20. Jahrhunderts erfchienen, gefchaffen worden.
Der Grund hierfür ift in der Materie felbft zu Juchen. Die befonderen Schwierig-
keiten, die alle Kunftprobleme bieten, liegen in der außerordentlichen Labilität des
Objekts, in der Aufgabe, den Gegenftand der Forfchung zu fixieren. Damit ift nicht
jene Unficßerßeit gemeint, die der Laie gemeinhin für das Problematifche des Kunft-
denkens hält, die Unficßerßeit des Urteils, was Kunft und was Kitfch fei, die Unficßer-
heit des Gefcßmacks. Diefe Unficherheit ift in Klirklicßkeit fehr gering. Die Ange-
hörigen einer 3eü, einer Kultur und einer Bildungsftufe find [ich im wefentlichen
durchaus darüber einig, was zur Kunft gehört und was nicht, und es find immer nur
verhältnismäßig kleine Grenzgebiete, um die ernfthaft geftritten wird. Unficßer ift viel-
mehr der Gegenftand des Kunftdenkens als Ganzes, der Ausgangspunkt und das 3iel,
das man vor Augen hat. Klas will man eigentlich ergründen? Die Ulelt des Schönen,
das Phantom der Romantik? Oder den äfthetifchen Sinn, den man unferer Pfycße
unterteilt hat? Oder die äftßetifcße Idee Kants, von der einige moderne Pßänomeno-
logen das Beil erwarten?
Die kunfttheoretifche Publiziftik und das kunfttßeoretifcß intereffierte Publikum pflegte
es fiel) fehr leicht zu machen. Sie fprechen gewöhnlich von dem etwas unqualißzier-
baren Kollektivbegriff Kunft, der der Gegenftand unzähliger Reden, Auffätje, Abhand-
lungen und Bücher ift, und die 3aßl der Sentenzen, die mit den beiden Klorten be-
ginnen „Kunft ift . . . .“, ift Legion. Es foll nicht beftritten werden, daß durch einen
geiftreichen Ausfprucß ein Problem mehr erhellt werden kann als durch die langatmigfte
Differtation. Aber der Kollektivbegriff Kunft ift Anfang und Ende und deshalb für die
fyftematifche Erkenntnis brauchbar. Klo man von hier aus verfueßt hat, ein Syftem zu
deduzieren, war das Ergebnis immer eine vage Äftßeterei, ein Cßeorem ohne Gegen-
ftand, Geift ohne Körper. Die Kunfttheorie aber braucht ein Subftrat, an dem fie ihre
Refultate jederzeit kontrollieren kann, wenn fie [ich in Einzelheiten verrannt hat oder
[ich auf einem metaphyfifchen Ijößenfluge zu verwirren droht. Daher muß das Kunft-
werk, das einzelne Kunftwerk, der Ausgangspunkt alles Kunftdenkens fein.
Klollen wir das einzelne Kunftwerk nun irgendwie in einen größeren Vorftellungs-
komplex einbezießen, unter einen Oberbegriff bringen, fo können wir von ißm nur die
primitive Ausfage machen: das Kunftwerk ift ein Produkt menfcßlicßen Schaffens.
Klie bei jedem Produkt, ftehen in feinen Polen, in den Polen feiner Exiftenz zwei
Menfcßen oder zwei Menfcßengruppen, die fieß ganz verfeßiedenartig betätigen: der
Produzent, der hier Schöpfer, und der Konfument, der hier künftlerifcßer Befcßauer
oder Fjörer oder Genießer, kurz Rezipient genannt wird. Aber bei allen anderen Pro-
dukten befteßt zwifeßen diefen beiden verfeßiedenen Cätigkeiten, der Produktion und
der Konfumtion oder Rezeption docß ein innerer, notwendiger, funktioneller 3ufammen-
ßang, der gegeben ift durch den 3weck des Gegenftandes. Der Produzent produziert
für den Konfumenten. Der Grund der Produktion ift der Konfum. Der Vorgang fpielt
[ich freilich nicht fo einfach ab, daß die Anfprücße des Konfumenten vollkommen feft-
liegen und der Produzent fieß ftarr danach rießtet. Vielmehr wirkt der fehöpferifeße
Produzent überall anregend und beftimmend auf die Klünfcße des Abnehmers. Es
findet woßl eine wecßfelfeitige Beeinfluffung ftatt. Immer aber bleibt der 3weck-
zufammenßang das treibende Moment.
In diefem Punkte nun macht das Kunftwerk von allen anderen Produkten eine fun-
damentale Ausnahme. Aile großen Künftler verfießern übereinftimmend, daß fie einem
inneren 3wan9ß folgend feßaffen, daß ße den Klertmeffer ißrer Kunft nur in fieß feßen
und fieß keineswegs um das kümmern, was der Konfument, das Publikum von ißnen

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