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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 14
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Biermann, Georg: Edvard Munchs graphische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0660

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artige Naturen wären vielleicht aus allen 3eiten und allen Kulturen der Erde herbei-
zuholen, ja es könnte pd) eines üages zwifchen Munch und einem mexikani[d)en Jnka-
künftler eine feltfame Parallelität des Gefühls offenbaren, die wir Fjeutigen nicht ein-
mal entfernt ahnen, und vielleicht befifet fogar die primitive Südfeekunft ähnlich grüble-
rifche Naturen, die in ihrem Kunftidiom aus dem gleichen inneren Drang zur 3eugurig
gekommen find, wie dies einem Edvard Mund) aus dem 3wang feiner Natur heraus
beftimmt war. Ob er felbft, kunßhiftorifch und äfthetifd) gewertet, wirklich (wie Sd)iefler
meint) die Kurve von Cezanne über van Gogh zu P<h umbog, ift belanglos angefichts
jener zwei Duzend Blätter, die wirklich einmal zu dem unvergänglichen Beftand abend-
ländifcher Kunftgefchichte zählen werden.
Das Klerk ift das tUefentliche; Vergleich führt zu nichts, tUie wenig folcher be-
rechtigt ift, lehrt in Schießers fonft fo ausgezeichnetem Bud) der Fjinweis auf Corinth.
£üenn den erft die Deutfchen entdeckt haben werden, wird der Blick aufs Ausland von
felbft ermatten. Lebensbejahung und Verneinung find in folchem Gegenüber niemals
(üertmeffer für die künftlerifd)e Geltung des einzelnen Künftlers, fondern höchftens Be-
weis der Cemperamente. Und was der liebenswerte Cüeltveräd)ter Mund) z. B. ge-
ftaltet, erhält gottlob in dem fonnenbegnadeten, kindhaft reinen Draufgängertum eines
Lovis Corinth fein vollwertiges künftlerifches Gegenfpiel. Schließlich find wir Menfd)en
diefer Erde fogar mehr Bejaher im Geifte jenes herrlichen urtümlichen Oftpreußen als
fjamletnaturen, die der UIeltfd)merz von Station zu Station des Leidens vorantreibt.
Der Eine aber ift für uns heute fo notwendig wie der Ändere. Über die künftlerifd)e
Größe zu entfd)eiden, wird allein die Nachwelt berufen fein. Leuchtendem, fprühendem
Äuge der Kunft, wie es Corinths tUerk preisgibt, fteht verhangene Bläffe des Blicks
eines nordifd)en Grüblers gegenüber. Deffen Kontur hat die beklemmende Ängft vor
Unglück und Not des Sd)ickfals. Seltfam groß und fießer gepackt ift jeweils der
Moment und unvergänglich fteht überhaupt fold)e Möglichkeit in der Kunftgefchichte
feft. Aber des Änderen ungleich reicheres ÜLIerk ift nicht nur Preisgefang des Fleifches
(wie Schießer meint), fondern inbrünftigfte Verkettung an die Schöpfung, laut hinaus-
tönender Jubelfchrei (mehr als einmal auch tragifd) auf moll hin abgedämpft), uner-
hört ausgreifend in der Fülle aller Symbole und immer Bejahung bis zum Leuten. Das
kindhaß reinere Sein ift darum pcßer bei Lovis Corinth, dem — wie ich immer wieder
jagen muß — von zeitgenöffifcher deutfd)er Kunft niemand die Stange hält.
Auf der Stirn eines Edvard Munch aber brennt das Strindberg-Mal. Solche Naturen
wie diefe find feiten und wandeln auf der Sd)loßterraffe in ßelfingör, ßamlet in Perfon:
„Geh in ein Klofter, Ophelia.“
 
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