Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

DOI Heft:
Heft 15
DOI Artikel:
Schmidt, Paul Ferdinand: Emil Nolde
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0702

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Münchner. Nolde machte cs ficß von Anfang an fd)wer. Aud) fein „Impreffionismus“
hat das Selbfterworbene des fcßwerblütigen Norddeutfd}en, der fic±) durchaus keiner
Scßule und Krücken bedienen mag, um fcßneller zu feinem Stele zu kommen, und der
alles von Anfang an fid) felbft verdanken will. Diefe Dickköpfigkeit ift es, die Carftens
und Runge, die Marees wie Nolde großgezogen hat und ein Erbteil deutfeßen Blutes
ift, das fid) nicht ausfcßalten läßt. So fand er denn auch, freilich) feßr langfam und
mit Rückfällen, den ÜJeg aus paftofer Dunkelheit zur Fjelle und warmen Sonnigkeit der
Farben, die nur mit dem üblichen Pleinair gar nichts zu tun hatte und darum einer
überaus entrüfteten Ablehnung begegnete. Seine Blumen- und Gartenbilder, in blen-
dender Sonne empfunden, wurden fchließlid) fo ftark und felbftändig im Farbigen
(1908), daß fie ißn unmittelbar zu feinen erften religiöfen Bildern von 1909 führten:
dem Abendmahl, der Verfpottung, dem Pßngftbild. Und hier machte auch die unduld-
fame Langmut der Berliner Sezeffion nicht mehr mit: fie verfagte dem Revolutionär
ihre Räume und fchloß ihn nach unerquicklichem Streit von jeder ferneren Gemeinfchaft
mit der fjerde der gläubigen Impreffioniften aus. Der Bruch war vollzogen, der Pro-
tagonift der kommenden Kunft von den Prieftern des bis dahin gültigen Revolutionären
geächtet; der Impreffionismus, mit Liebermann an der Spilje, hatte fid) felbft aus dem
Strom der lebendigen Entwicklung ausgefcßaltet.
(nichtiger als diefe Äußerlichkeiten aber ift es für uns, zu wiffen: wie Nolde zu
jenen erftaunlichen Bildern von 1909 gekommen ift; wie der Sprung von der Natur-
darftellung feiner Blumen zu der Myftik des Abendmahls fid) vollzogen habe.
Der Künftler felber ift fd)weigfam und redet ungern über feine Kunft; nie über feine
innerften Motive. Allein die Bilder geben eine klare Antwort für den, der fie liebt
und ihr Äußeres durchdringt. Nolde ift niemals Naturalift gewefen in irgendeinem
ausfd)ließenden Sinne, (die er in jenen Anfid)tskarten von 1896 das Antlitj der Berge
unter der ftarren Maske von Fels und Sd)nee fpielerifd) ans Licht zog, fo findet man
in feinen ernfthaften Malereien von Anfang an das Lebendige einer Seele, das Ringen
um Ausdruck von Unausfprechlicßem. Landfcßaft, Menfd), Blume find ihm nur Gefäße,
die feine Seßnfucßt und fein Gottfucßen aufnehmen müffen. Von Jaßr zu Jahr er-
weiterte er den Umkreis feiner Darftellung, bis fie zule^t alles umfpannte, was der
Farbe oder dem 3eicl)enftift überhaupt erreichbar ift. Seicßaaag und vor allem Graphik
übernahmen die Führung; zu einer 3eit, da er im Gemälde noch nicht wagte, fid) von
der Natur zu entfernen, entftanden die unheimlichen Erfindungen radierter Spuck-
geftalten (1905), die erft in viel fpäteren Jahren fortgefüßrt und gar gemalt wurden,
(üas feine Seele bedrängte, fand feinen Niederfcßlag faft immer zuerft in der Cufcß-
zeießnung, im Fjolzfcßnitt, in der Radierung. Aber aucß die Ölbilder der Blumenftücke,
Bauern, Kinder: fie waren weit davon entfernt, impreffioniftifcße Naturdeutung zu fein.
In allen lebte das befondere Menfcßlicße und Erregte einer zugleid) fenfiblen und männ-
lichen Seele von barbarifeßer Großartigkeit; fie führten über die (üirklicßkeit weit hinaus
durch das Gewaltige und Dramatifcße ißrer Farbe und ißres inneren Lebens. Das war
es vor allem: die Farbe war Nolde nicht Äquivalent der (Üirklicßkeit, fondern Mittel
feelifcßer Ausdeutung; etwa fo, wie es fpäter Kandinfky tßeoretifcß deutete. Die Farbe
war felbftßerrlidß und Cräger aller (Uerte; und was war am Ende aucß das Ließt an-
deres als ßöcßftgefteigerte Farbe und Sprache des Göttlichen.
Nicßts konnte einem folcßen reich differenzierten und feßöpferifeßen Künftler näßer
liegen als der Übergang zum Cranszendentalen. Er mußte kommen und mußte fid)
immer wieder Baßn brechen in feinem (Uerk. Aber die religiöfen Gegenftände, weit
davon entfernt, ißm Gelegenheit zu gut abgewogenen „Kompofitionen“ zu geben,
waren ißm fo ßeilig, und die Gnade ißrer Vifionen bildete ißm fo erfeßütternde und
qualvolle Steigerungen feines Erlebens, daß er fie nur mit äußerfter Vorficßt, wie unter
einem unentrinnbaren 3wange, bilden konnte; daß fie ißm nur die feltenen und er-
feßöpfenden Fjößepunkte feines Schaffens bedeuteten, bedeuten dürfen. Und es ift keine

676
 
Annotationen