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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 15
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Biermann, Georg: Zu dem Werk des Jacopo Tintoretto
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0728

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aud) durch den in dem hier angezeigten prachtvollen Klerk ausgebreiteten Lebensumriß
betätigt wird — aber folcße Cragik inneren Erlebens wäre lebten Endes nicbtsfagend
wie die Melancholie eines irgendwie gearteten menfchlichen Geiftes, wenn nicht diefe
Beladung feelifcber Art im Klerk eines Cintoretto lebten Endes vielleicht überhaupt
Erklärung [einer ganzen großen künftlerifchen Leidenfcbaft gewefen wäre.
Man [oll auch den Dingen der Kun[t gegenüber niemals den Urgrund rein menfcb-
licher Veranlagung verge[[en. Noch immer find die großen Cragiker der Kun[tge[chid)te
— es [ei erlaubt, in die[em 3ufammenbang wieder an Rembrandt und van Gogh zu
erinnern — die unvergänglichen Lichtbringer in der Malerei gewe[en und daß Cinto-
rettos ganzes maleri[ches Sinnen darauf gerichtet war, mit Fjilfe [einer [prühenden
Palette den unvergänglichen Sonnenzauber in [eine Bilder blueiuzuzwingen, [eine
Szenen innerlich reich und bewegt zu machen durch die Quelle des Lichtes, die bei
ihm zum er[tenmal an der Lagune das Äuf und Nieder der Stunden erklingen läßt,
macht die[es Oeuvre vornehmlich dem Geift un[erer, durchaus auf Jen[eitiges einge-
keilten 3^it [o unbedingt fympatbifd).
das Überlieferung und Leben diefem Klerk äußerlich an Feffeln auferlegen, war
lebten Endes niemals wichtig genug, um dem eingeborenen Drang des Malers 3wang
zu [ein. Gerade dadurch, daß Cintoretto äußerlich durchaus der Überlieferung folgt und
dem Geift [einer 3ßit nachgibt, ift er im Sinne venezianifdtjer Kunft nicht nur Fortfeber
und Vollender gewefen, [ondern darüber hinaus* der eigenen [d)öpferi[chen Energie
und [einem malerifchen Qngeftüm folgend, eine Tatfache von allergrößtem abend-
ländifcßen Ausmaß geworden.
Dies erkannt und erklärt zu haben, ift nicht das lebte Verdienft auch des wunder-
vollen hier angezeigten Cintoretto-KIerkes, deffen Lektüre zu folchen Gedanken ganz
von felbft anregen mußte.
Klie gefagt, der kunfthiftorifch-phüologifche Apparat diefer Arbeit der beiden Autoren
ift erftaunlid) und die Gründlichkeit der Forfchung in jeder Beziehung vorbildlich wie
die Aufteilung des Cbemas felbft, deffen Durchleuchtung felbft da, wo es [ich um rein
philologifche Dinge handelte, auch nicht einen Moment in langweilige Diktion ver-
fällt. Immer ift die Darftellung von innen heraus durd) das Gefühl des modernen
Menfchen befeuert und daß fcbließlid) der Meifter Cintoretto in folcßer Formung zu
einem künftlerifchen Problem an [ich wird, an dem die eigene 3eit ihr beftes und un-
erbittliches Kriterium erleben kann, gibt dem Klerk zweier Kunfthiftoriker durchaus
den Stempel der Modernität.
3ufammenfaffend aber fei als Probe jener angedeuteten geiftigen Linie, der das
Klerk diefer beiden Autoren folgt, zu dem Chema Cintoretto folgendes Schlußwort des
einführenden Kapitels wiedergegeben, das beffer als alle (Horte Grundmotiv der Ge-
famtarbeit geworden ift. Es h^ßt da:
„Fragt man aber nach all den Gründen, die heute wieder ein befonderes Intereffe
für Cintoretto erwecken, fo ift es ohne 3weifel auch die feltfame Verbindung von
Südlich-Klarem mit Nordifch-Geheimnisvoll-Sd)werem, die uns anzieht; etwas von jenem
undurchfichtig-zwiefpältigen Kiefen, das ihm felbft eigen ift, glaubt der moderne Menfd)
in den Schöpfungen des großen Venezianers wiederzufinden. Über die heiligen Ge-
fehlten bat der M.eifter einen märchenhaften Schimmer gebreitet und die italienifche
Schönheit ift nirgends fo wie auf feinen Klerken durd)tränkt von einer geheimnisvollen
Gewalt dunkler geiftiger Mächte, von dem Ringenden, dem Aufwühlenden eines bis
dahin unerhörten künftlerifchen Cemperamentes, von der Gewalt einer alles umfaffenden,
alles in ihren Bann ziehenden und unter ihren Geift zwingenden Perfönlidjkeit.“
Die Fülle kunftbiftorifcb wichtiger Catfachen aber, die diefe Cintorettomonograpbie
verfdßließt, mögen die hier beigegebenen Reproduktionen neuentdeckter Bilder des Künftlers
erhärten, die nur einen kleinen Ceil jener bis dahin unbekannten Klerke darftellen, die
die prachtvolle zweibändige Publikation des Piperfchen Verlags erftmalig veröffentlicht hat.

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