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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 18
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Schürer, Oskar: Das Werk der Paula Modersohn-Becker
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0840

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aud) im Bildnis treibt immer ein Aufwärts beigegebener oder in der Figur felbß be-
tonter Formen dem Sinken entgegen, ßält in heimlicher Kurvatur den Kreis. So weift
oft die I)and, meift Blumen oder Früchte tragend, hin zur Mitte, nochmal rückwellend
aus der Rahmung, die die Geftalt fcßon begrenzte. Im Klang der Farben ein gleiches
Sicßverfcßlingen zum Kreife. Aus dem Grunde des faltenden Blau fteigt meift ein
lokaler Klang des Braun oder Rot oder Grün, fpäter nuanciert ins Violett und Rofa,
der über ein Gelb oder Oliv zurückfucßt zum Graublau des Grundes. Ein Farbenrund,
uns kaum bewußt, das in Brechung und Abwandlung das ganze Klerk malerifd) be-
ftimmt, im gleichen Sinne alfo wie die Form.
Gefcßloffenes Kiefen, das wir mit lockerem Strid) erft konturierten: weibßaftes Sein,
das an Natur fick) fcßmiegt, aus Vegetativem feine Kräfte Taugt und wartend Frucht
trägt. Viel freundliche Arten können fid) aus ißm entfalten. Anmut und Süße mag
es umfcßließen, ftilles Leid und klare Ruße, ümfcßloß es aucß in diefer Geftalt. Klorps-
wede, die Stätte gefühlvoll betriebener Fjeimatkunft, ift deffen die erftgefundene Ver-
wirklichung. An der Natur zur Wahrheit zu gefunden, war feßönftes 3^1 der dortigen
Menfcßen und Künftler. Doch tiefer greifen die Furchen diefes Lebens. Das dumpf
Klartende der Gefichter verdichtet fiel) oft zu ftummer Angft, das fromme Beifammen
der Früchte und Dinge vertieft fid) zu Inbrunft, Spannung ßerbt durch die Schichten
des Dumpfen hindurch die 3ügc in den Selbftbildniffen.
Die gilt es hier zu beachten, denn an ißnen vor allem fällt jene Schwere auf, die
über ein bloß Vegetatives hinaus dunklere Gründe verrät, — die oft als Fremdheit,
als abßcßtlicße Primitivität empfunden, manchem ein Einwand gegen diefe Kunft be-
deutet. Gerade aber durch Betrachtung der Einwände glauben wir tiefer in das
liefen diefer Frau und ißrer Kunft zu dringen, die bloßem Genießenwollen ißren vollen
Klert verfagt. Nur wer hier lieben kann, fpürt ißr Geheimnis.
Denn Paula Becker war Liebende von Natur aus. Nicht die Verliebte, die in den
Strudel überhißten Füßlens geriffen wird, im Caumel wilder Ergriffenheit ißr Id) ßinaus-
trägt in alles, was fie erfeßaut. Sie fteßt gegenüber einer liebevoll gefeßauten Kielt,
ftill und verfonnen. Lief Verwandtes fpürt pe im Kind. Und fo gelingt ißr diefes
Bilden frommen Kindfeins, das oßne Sentimentalität und Abpcßt fiel) darlebt in Spiel
und Kummer, leifer Angft und Müdigkeit des Alltags. Kler hat wie pe das Staunen
des Kindes gegeben, natürlich und oßne allen Gegenfaß von Situation oder Pofe, wer
diefes innige Sicß-Aneinanderfcßmiegen kindlicher Gefcßwifter, dies Cräumen in den
unverftandenen, gern gelebten üag! Von hier zu Frucht und Blume wellt das gleiche
Gefüßl, — nur daß über der verborgeneren Innigkeit der Pßanzengefcßöpfe ftärker der
künftlerifcße Klille geftalten wird. Nicht daß im Stilleben nun ein Abgrund klafft
zwifeßen Klille und Sein, die Dißonanz zwifeßen wohligem Bild und Gebilde, — nur
deutlicher hier, wo nur ftumme Bezüge befteßen, künden fid) tiefere Forderungen an.
Das Scßöpferifcße droßt. Es ßeifeßt in Befeeligung und Qual. Klenn es im männ-
lichen Geiß oft bis zur Bosheit, zur unerbittlichen Verfolgung dunkler treibt, ift
es im ungefeßiedeneren Kiefen des Kleibes noch 3wißfPa^ und Not des Gewiffens — ift
es im Bewußtfein der Liebenden Qual um ein 3u-wenig-Lieben, um Egoismus denen
gegenüber, zu denen das Fjerz treibt. Sie hat darunter gelitten, ßat kindlich um Nach-
ficht gebeten und um Vertrauen. Verwifcßen konnte pe es in pcß nidßt. Denn nocß
darunter, unter Scßaffenmüßen und Bilden, rußt dies Verfcßloßenfein, dies Scßwer-aus-
pch-Fjerauskönnen zur Äußerung, zur warmen Eingabe an die, die ißr Füßlen doch in
pcß trägt. „3ugeknöpftßeit“ nennt pe es immer wieder in ißren Selbftanklagen, —
und eßrlicß ßat fie gebüßt in Verluft und Enttäufcßung. Norddeutfcße Seele mag man
es nennen und mag fo verfteßen, wie aucß ißre Kunft in jenem Deutfcßland ißre
wärmften Anhänger gefunden. Solcße lokale Begrenzung aber fcßürß die Ciefe diefes
Konßiktes nicht aus. Es ift des Kleibes Rußen in pcß felbft, fein 3urücktracßten ins
eigene Innere, das Einfamkeit werden muß, wo ein Du nicht zu löfen vermag. Das

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