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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 18
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Schürer, Oskar: Das Werk der Paula Modersohn-Becker
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0852

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aus tiefem bewußt in feine Schmerzen ßinuntergelebten Grund, fo ift auch die Frage
entfcßieden, ob diefer Künftlerin ein Aufwärts im (Berk noch befcßieden gewefen wäre.
Gewiß, die ftete Spannung eines (Uiffens um fräßen Cod goß in diefe Entwicklung
den 3auber intenpvften Lebens, das allein folcß ftarkes Empor ermöglicht1. (Ho folcßes
Empor aber auslädt zu einer (Heite in Menfcß und Künftler, wie die Bilder der lebten
Jaßre fie bekunden, da ift — entgegen dem Cribut an den fie rufenden Cod — eine
Baps gefcßaffen, die Entfaltung und Auswirkung erft verlangt und notwendig aus ficß
ßeraustreibt. önd nocß wartete ißrer ja jene Spannung — gerade folcßem (Hefen be-
[onders tief und fo aucß befonders frucßtbar — : von (Heibtum und Mutterfcßaft, die,
ausgetragen, ißr nocß Scßickfal ßätte werden müffen. Nur wenige Scßaffensjaßre nocß,
fie ßätten ßier ein breites (Herk erwacßfen laffen. Denn aucß Gebundenßeit ans Motiv
ift ßier nicßt meßr Armut, wo Reicßtum des Lebens felbft die köftlicße Frucßt der Selbft-
verwirklichung in immer neuer Geftaltung zu fcßenken vermag.
ßier ift das abgefcßloffene (Uerk zu würdigen. Scßaffenskeime, die es nocß barg,
biegen wir zurück, verßecßten fie dem (Uert der Leiftung. Die ift größer, als daß wir
pe der Lokalvereßrung eines Stammes laffen dürften. (Uir ßeben pe ßeraus ins breite
ürteil ßeute werdender Kunft. Damit fcßütjen wir die Moderfoßn-Becker vor falfcßer
Überfcßätjung derer, die ißr Raffenwefen in ißr ausgedrückt finden, — geben ißr aber,
gerade in der Enttßronung als Sonderßeros, die weitere Bedeutung im allgemeinen
Fluß der Entwicklung. Nicßt als Grundpfeiler fteßt pe da, als Empörer oder als mäcß-
tiger Bündler und Vollender lang erftrebter 3jele. (Ho jemals traf folcß Scßickfal eine
Frau! (Hoßl aber als Klärer und (Heifer, als fteter Rufer zu (Haßrßaftigkeit und Natur,
ßier rußt ißre Bedeutung: pe ßält pcß an die große Realität, läßt fie in ißrer eigenen
Ciefe widerklingen, und reift durcß ißr Verknüpfen des Innen und Außen über pe
ßinaus. Dies nämlicß darf nicßt überfeßen werden in diefer Kunft: fie fcßafft mit alten
Mitteln und alten Vorftellungen, und gerade durcß deren tieffte Durchdringung wäcßft
pe ßinein in ein ganz Neues. Ungewollt, oßne Manier, und ganz ohne Gefte, getrieben
und geßalten durcß ißren tiefen Glauben an das Sein. Hnd dies Ciefweiblicße in ißrer
Kunft, dies ßegen und Crauen, wäre der Hon gewefen, deffen das wilde Orcßefter der
folgenden Jaßrzeßnte feßr woßl bedurft ßätte als Maßner zu Eßrlicßkeit und Stille.
Ift eben der Hon, den wir ßeute — nacß vielem Überfcßwang und Sturz — wieder
deutlicher verneßmen, den wir ftärken wollen in der Betrachtung diefes (Herks.
Denn in tieferem Sinne nocß als alle Kunft ift diefes (Uerk Empfängnis. Ein (Ueib
gibt ficß feinem Inneren ßin, webt feine Glut tief in alles Gefcßaute ßinein und nimmt
es mit andäcßtigem Auge wieder daraus entgegen. Innigkeit wird zur Verinnigung —
(Horte, die nur die deutfcße Spracße kennt, ßier gründet ficß diefes (Uerk: ein Menfcß
gräbt ficß, Schießt um Scßicßt des Außen dureßftoßend, ßindureß zu ficß felbft, und laufeßt
und wartet, bis ißm das Leben fein feßwerftes Gefcßenk ßinreießt, fein feßönftes: die
Einfamkeit. Aus ißm erft fteigt der volle Strom des Gebens und Schaffens.
Es ift fo feßwer, ficß ganz felbft darleben zu müffen, unerbittlich waßrßaftig zu fein.
Das Leben felbft will es nicßt zulaffen und kann doeß nur fo zu feinem tiefften Punkte
gefüßrt werden. (Henn unter allen (Uaßlfprücßen und Manifeften ein Gemeinfames die
junge Generation verbindet, fo ift es diefes Streben nacß ßüllenlofer (Haßrßaftigkeit,
und tiefer: pe aufzußeben in Liebe. Die (Hege mögen nocß verfeßieden fein, die
Mittel wecßfeln — dies nur ift ausgefcßloffen: Flucßt vor ficß felbft. Das aucß ift das
Lebendige an diefen Bildern einer Coten.

1 Vgl. das fd)öne Cagebudjblatt in Paula Moderfoßn-Becker: Briefe und Cagebucßblätter. Kurt
ttlolff, Verlag, München. S. 121.

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