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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 19
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Vondoerfer, P. E.: Gotische Meisterwerke der böhmischen Bildhauerkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0897

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Nad) den Gefichtstypen zu [fließen, pellt der vorne, rechts Stehende den ^eiligen
Petrus und der hinter dem vorderem links Stehende den ^eiligen Paulus (mit etwas
geneigtem Kopfe) dar. Nach V. V. Sted) ift die Gruppe wat)rfd)einlid) ein reftlidjer
Ceil einer dreigliedrigen Gruppe „Chriftus und die zwölf Äpoftel“ und zeigt noch Refte
alter Faffung auf Kreidegrund. Sie ftammt aus dem Minoritenklofter in Pilfen1).
Die meiften der l)ier und in meinem erften Kapitel betroffenen, nebft der noch in
den folgenden Fortfefungen zu behandelnden Ü^erke. find in der tfcfed)ifd)en Literatur
befcfrieben und abgebildet. So befcfreibt aud) V. V. Steel) in feinem bereits erwähnten
Artikel im Bericht für 1912 die Bildwerke im Stadtmufeum und behandelt eingangs
die böhmifche Bildhauerkunft der Gotik im allgemeinen. Die neuere kunftgefchichtlicfe
Forfchung, welche hauptfächlid) auf dem Gebiete diefer „neu entdeckten“ Provinz eine
ganz neue Ara eröffnet2 3 4, läßt jedoch inzwifcfen vieles der damaligen Änfcfauungen,
deren Auditorium übrigens, wie überall, auf einen ganz kleinen Kreis befcfränkt war,
als veraltet erfcheinen.
Das in den neunziger Jahren bis 1921 von der Arcfäologifchen Kommifßion der
böhmifchen Akademie in 42 Bänden herausgegebene und in Fortfetjung befindliche
Denkmalswerk8 ift infofern eine lobenswerte Leiftung, als diefe fleißige Arbeit, ein-
geteilt in die politifcfen Bezirke Böhmens (je ein Band), uns eine genaue Aufteilung
der noch vorhandenen Denkmale und fomit eine feiten klare Überficht derfelben liefert,
ünter der neuen Literatur fei 3^enek GCIirt „tlmelecke poklady Tech“ (deutfd): Kunft-
[cfätse Böhmens) lobend hervorgehoben *.
ülenn man diefe Literatur durchgeht, kommt erft fo recht zum Bewußtfein, wie blut-
wenig im Grunde genommen, beifpielsweife an Bildwerken der Frühgotik, in Böhmen
noch erhalten geblieben ift.
Die fchicr unmenfchliche 3erftörungswut der Fjuffiten ha* m den Jahren 1418 bis in
die dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts alles an kirchlicher Kunft vernichtet, was in
ihre Klauen kam. So wurde beifpielsweife das 1342 gegründete Klofter der Kart-
häufer bei Prag im Jahre 1419 binnen wenigen Stunden dem Erdboden gleich gemacht.
Die böhmifche katholifcfe Monatsfchrift „Sv. Vojted)“ („St. Adalbert“) v. 1. Juli d. J.
zählt über 110 von den Fjuffiten verübte 3erftörungen und Brandfcfafungen von
Kirchen, Klöftern und Burgen in Böhmen während der Jahre 1419 bis 1431 auf und
bemerkt, daß die Statiftik nur eine unvollftändige fei, da nur folcße Fälle angeführt
werden konnten, die fid) an FJand von hiftorifchen Schriften u. dgl. feftftellen ließen,
dnter anderen wird dort auch die Brandfchatjung und Vernichtung des Auguftiner-
klofters in Rocov (1424) erwähnt, in deffen Kirche [ich auch die Kalkfchieferßguren der
hl. Katharina (Abb. 1) und der hl- Barbara befanden5 6 *.
Eines der wenigen Denkmale der Gotik, die mit den dort befindlichen tüerken
mittelalterlicher Kunft verfchont blieben und welche wir tyeutz noch bewundern
1 Hbgebildet in „ömNecky M&siöm'k“ (Kunftmonatsfchrift) Jahrgang I, 1912 und im Bericht des
Kurat. des Muf. der Stadt Prag für 1912.
2 Soweit bei diefem „Stiefkind“ der Kunftgefd)id)te noch davon die Rede fein kann.
3 Auch teilweife in deutfdjer Sprache erfchienen.
4 Bisher 2 Bände erfchienen. Verlag Stenc, Prag, üext in böhmifcher und franzöfifdjer Sprache,
mit zahlreichen Cafelabb.
6 Daß diefe Sekte ihre niedrige Gefmnung heute noch zur Schau trägt, beweifen einige, aller
Kultur F)C>hn fprecfjenden 3erftörungen von auf öffentlichen Plätjen [teilenden Fj^iligenftatuen. So
wurde die Marienfäule aus der Barockzeit auf dem Altftädter Ring in Prag am 3. November 1918
von Anhängern der tfchechoflow. Kirche (Fjuffiten) vollkommen vernichtet. Nur ein ungemein
anmutiges, kleines,- gotifches Cafelbild der Madonna mit dem Kinde, das fich an diefer Säule be-
fand, konnte vom dntergang gerettet werden; dasfelbe wird nun, quasi als Erinnerung an diefe
Schandtat, in der gegenüberliegenden Ceinkirche, auf einem Altar untergebracht, bewahrt. — Selbft
die Barockftatuen von FJeüigen, darunter die des hl- Joh. v. Nepomuk und öüerke des in Prag
tätig gewefenen Cirolers Mathias Braun, auf der alten Prager Karlsbrücke, fcheinen in letjter 3eit
die Vernichtungsgelüfte diefer Fanatiker geweckt zu haben.

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