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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 21
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Beenken, Hermann: Das Kruzifix in Forstenried
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0964

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altes Andechfer Miffale genannt. Es Rändelt fid) um Clm. 3005 der bayer. Staats-
bibliothek, worin die t)i[tori|'ch)en Einträge Fälfchungen des Benediktiners Petrus v. Fjorn-
Ttein aus dem 14. Jahrhundert [ind1, mit denen man den Ruhm der (Uunderkraft des
Klofters Andechs erfolgreich zu begründen vermochte. Nach diefen gefälfchten Ein-
trägen ift das Kreuz von einem gewiffen Älbanus gearbeitet worden, und fdjon die
unglückliche Agnes von Meran, die von 1196 bis 1201 als Gemahlin des Philipp
Auguftus Königin von Frankreich war und die 1201 ftarb, foll ihm ein Stück der
echten Dornenkrone geftiftet haben, nachdem eine ihr zuteil gewordene Prophezeiung
fid) erfüllt habe. In die legendarifche Erzählung ift derCenor einer wiederum gefälfchten
Urkunde mit verfponnen, der fid)tlid) eine echte Craditionsnotiz zugrundeliegt. Deren
Verbindung mit dem Andechfer Kruzifix ift aber leider keineswegs gefiebert. Immerhin
fragt man fich, ob diefen gefälfchten Berichten über das CUerk nicht doch irgend ein
wahrer Kern zugrunde liegt. Und das fd)eint wenigftens infofern der Fall zu fein, als
allem Anfchein nach das Forftenrieder Kreuz fchon im 13. Jahrhundert ein berühmtes
Gnadenbild gewefen fein dürfte.
Ulir befifeen nämlich — ein durchaus fingulärer Fall, foviel ich fehe — nicht nur das
Original des 12. Jahrhunderts, fondern zugleich auch zwei Nachbildungen im Stil etwa
von 1240. 3unächft einen 68 cm hohen Kruzifixus im Klofter Seligental in Landshut,
der wie eine in nachmittelalterlicher 3eit vollftändig überarbeitete Schöpfung des 13. Jahr-
hunderts ausfieht2. Die durchgebildete Anatomie des Chorax und der Füße find zwei-
fellos ebenfowenig alt wie das Äftkreuz, an das der Körper genagelt ift. Aber auch
das Ganze ift es nicht, ift vielmehr Kopie nach einem wörtlich übereinftimmenden Kru-
zifix, das ich im Frühjahr diefes Jahres im Freifinger Sighartmufeum in den Armen
eines minderwertigen barocken Gnadenftuhls entdeckte. Die 65 cm hohe hervorragende
Arbeit befindet fid) in jämmerlichem 3uftande. Unter einer neuen Faffung ift das Fjolz
völlig morfd) geworden, fo daß der Kopf etwa, wenn man ihn nicht fefthält, ganz
nach vorne herüberfinkt. Eine Fjand ift abgebrochen, ebenfo ein Kreuzzinken der Krone,
das Kreuz felber fehlt. Kein 3weifel, daß wir es hier mit dem in dem Seligentaler
Kreuz bis in die einzelne Falte hinein getreu kopierten und nur in der Anatomie „ver-
befferten“ Original des 13. Jahrhunderts zu tun haben. Alles ift weich modelliert und
von prachtvollem Linienfluß. Ich fage „Original“, denn obgleich das Stück das Forften-
rieder Kruzifix in Fjaltung und äußerem Fjabitus im Großen bewußt nachahmt, handelt
es fid) um eine völlige Neubildung. Und gerade, daß wir ein fich fo bewußt an fein
Vorbild eng anfcFjließendes und fich dabei doch fo ftark unterfcheidendes tUerk des
13. Jahrhunderts haben, beweift, daß das Forftenrieder Kruzifix felbft eben nur feßr viel
früher entftanden fein kann. Der Vergleich ift äußerft inftruktiv. Es deckt die inneren
Gründe auf, warum man im 13. Jahrhundert fo allgemein zu der überkreuzenden
Nagelung der Füße übergeht und warum das Motiv im 12. Jahrhundert fo vereinzelt ift.
Erft im 13. Jahrhundert wird es nämlich zum Anlaß eines körperlichen Kontrapoftes

1 Vgl. Riezler: Gefd)id)le Bayerns III, S. 837/38. Äbgedruckt pnd die Einträge — leider nicht zu-
verläffig — in Finauers hiftor.-literar. Magazin f. Pfalz-Baiern, 1782,1, S. 114—145 und bei Magnus
Sattler: Chronik von Andechs S. 83 ff. Für alle diefen hin weife bin ich IJerrn Direktor Dr. G. Lei-
dinger zu größtem Dank verpflichtet.
2 Das Seligentaler Kruzifix befand fiel) in S. fchon bei der ££Iiedereinrid)tung des Klofters i. J.
1835 und foll der Legende nach auch fchon in der erften ßälfte des 17. Jaßrh- dort gewefen fein
(Frdl. Mitteilung von IJerrn Direktor Ferftle). Die Faffung ftammt, nad) frdl. Mitteilung von 5errn
Prof. Mader, aus dem 19. Jaßrb. Man vermutet zunächft, daß das ganze Cüerk nid)t älter, alfo eine
Art Fälfchung ift. Leider babe id) das Stück felber vor drei Jabren zuleljt und nur flüchtig ge-
feben und konnte es neuerdings nicht ein zweites Mal zu Gefid)t bekommen, da es z. 3- verpackt
ift. Die diefem Artikel beigegebene Aufnahme des bayrifeßen Denkmäleramtes ift mir in liebens-
würdigfter Cüeife von IJerrn Prof. Mader zur Verfügung geftellt worden. — ttläbrend der Korrektur
machte mid) f)err Dr. J. Müller-Abensberg (Leipzig) darauf aufmerkfam, daß fid) ein drittes
Exemplar im Mufeum von Burgbaufen befinde.

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