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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 21
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Beenken, Hermann: Das Kruzifix in Forstenried
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0968

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Kehren wir nach diefem Exkurs zum Forftenrieder Kruzifix zurück, fo ift zu fagen,
daß er gegenüber allen vergleichbaren ttlerken des 13. Jahrhunderts von Grund auf
fo altertümlich erfcheint, daß auch die Gypothefe, es handele fid) um einen ard)aifie-
renden Meifter, fiel) verbielet. Eine genauere Datierung ift allerdings nur im 3ufammen-
hange einer Neuordnung der gefamten Chronologie der romanifchen Plaftik Deutfchlands
möglich. Im 12. Jahrhundert hat in Süddeutfd)land die FJolzpiaftik die Führung; aber
alle ihre ÜJerke find undatiert und auch baugefd)id)tlich naturgemäß nie genauer zu
fixieren. So ift zunächrt nur ganz allgemein zu fagen, daß das tUerk auf der Entwick-
lungsftufe fteßt, die in Sacßfen durd) den Stuckaltar des Erfurter Doms, die Gröninger
Empore und vor allem die in der Detailbehandlung verwandte kleine Madonna aus Ol-
dorf in Dresden1 vertreten wird. Goldfchmidt2hat diefe Stilftufe auf das dritte Jahrhundert-
viertel feftgelegt. Und in diefer 3eit dürfte aud) das Forftenrieder Kreuz entftanden fein.
Ulenn man es mit füddeutfdjen Fjolzbildwerken vergleicht, wird man fagen dürfen, daß es
etwas jünger ift als das, wie ich glaube, um die Jahrhundertmitte gearbeitete Evangeliftenpult
in Freudenftadt3 und etwas älter als die Uriumpfkreuzgruppe der Regensburger Schotten-
kirche aus dem Obermünfter fowie der aus der Landshuter Gegend ftammende Palm-
efel des Berliner Mufeums, üüerke, die wiederum nicht, wie man mitunter lieft, erft im
13. Jahrhundert entftanden fein können. Entwickelter ift auch das Gerokreuz im
Kölner Dom4, deffen Körper energifd) durchwölbt und durchgliedert ift, deffen Umriffe
fid) von plaftifd)en Energien geladen fpannen, fchwellen und einziehen, während in
Forftenried die Gliederung, die fid) im Inneren der Form leife vorbereitet, noch nicht
in die Silhouette drängt. Äud) die zylindrifd) kompakte Bildung von Kopf und Fjals
fowie der Schurzpartie nähert das (Herk nod) fehr dem Freudenftädter Pult. Nächft
diefetn ift es alfo das ältefte unter den bedeutenderen Denkmälern der füddeutfdjen
Fjolzplaftik, von denen wir wiffen.
Die Frage nad) der Herkunft feines Stils muß offen bleiben. Das Denkmälermaterial
ift zu fpäriid), um fie entfcßeiden zu können. Jenfeits der deutfcßen Grenzen wird
man fcßwerlich zu fucßen brauchen.
Daß das ältefte Kruzifix mit übereinandergenagelten Füßen fid) auf deutfcßem Boden
befindet, ift ein unwefentlicßer 3ufall. (Uefentlid) und bedeutfam ift das Motiv erft im
frühen 13. Jahrhundert geworden, als man es erftrebte, weil man den Parallelismus von
linker und rechter Körperfeite aufzuheben und den Körper aktiv und afymmetrifd) durch-
zubilden trachtete. Der Kontrapoft, der jeßt die Stehfiguren ergreift, bemächtigt fid)
aud) des hängenden Chriftusbildes. So wird das Motiv der Durd)fd)lagung der Füße
mit einem Nagel innerlich notwendig. Das \)ier publizierte Freifinger Kruzifix, die von
Goldfcßmidt genannten fäd)fifd)en, das nod) unveröffentlid)te in Lord) a. Rh- und die
feltenen der franzöfifchen Gotik erweifen das in der gleichen CUeife. Jeßt wird man
kaum mehr fragen dürfen, wo das Motiv zuerft entftanden, denn jeßt wächft es aus
inneren Vorausfeßungen, die zur gleichen 3eit an verfchiedenen Punkten gleich ge-
wefen fein können.
1 Vgl. F). Giefau im 3. Bericht über die Denkmäler deutfcber Kunft, S. 123.
2 Jabrbud) der preußifcben Kunftfammlungen 1900, S. 228/29.
3 Dehio-Bezold: Denkmäler der deutfd)en Bildbauerkunft, 12. Jabrb-, C. 15 k
* ). Klein: Romanifcbe Steinplaftik des Niederrbeins, Straßburg, 1916, C. XIII.

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