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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 21
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Der Graphiksammler
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Sydow, Eckart von: Der Graphiker Robert Michel
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0999

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phons tänzeln mit der gleichen Unbefangenheit die glashaften Pferde einher, in ihrer
Bewegung immer noch irgendwie erfüllt vom Stolz ihrer natürlichen Urfprünglichkeit.
Unfere eigene 3ßit ifts, die fich getreulich reproduziert findet in einem ihrer interef-
fierendften Bezüge. Ihr Seelentum, das wefentlid) mit dem Naturhaften innerlichft zu-
fammenhängt und auf ihm beruht, wird durchdrungen von rein verftandesmäßigen,
rationellen Tendenzen. Unwiffend noch über die ganze Schwere diefes Verhaltens,
atmet fie fo unbekümmert wie möglich im Bereich diefes luftlofen Dafeins, — nicht
fern ift die 3eit, da fie gänzlich vom Nelj der Konftruktionen eingefponnen, erdrückt,
vernichtet ift, — die 3eit, da [iß nur noch fymbolifch, andeutungsweife aus rebushaftem
Formfpiel erraten werden muß.

Diefe 3wiefpältigkeit der inneren Ulefensftruktur prägt den meiften Arbeiten Michels
einen mehr illuftrativen, als wirklich kunfthaften Charakter auf. Die eigentlich äfthe-
tifrfje Spannung und Schwingung feiner Graphik vollzieht fich in der mafchinellen
Schicht, — das naturhafte Element bleibt gleichfam Mitteilung eines Vorgefundenen
Objektes. Das gleiche Schickfal trifft Michels Farbgebung: auch fie ha* etwas von
dinghaft unterfcheidender, illuftrativer Beftimmung an fich, — das frei Schwebende der
Cönungen fehlt faft völlig, keine verwandtfchaftliche Vibration verfchmilzt die ver-
fchiedenen Stufen und krafferen Einheiten. 3eichnerifch vor allem ift diefer Künftler
eingeftellt, — das Farbige ift weniger feine Domäne, ßierin liegt das Problematifche
diefes Graphikers. Das, was Klees Strich durchleuchtet oder Kubins 3ei<hnungen fo
belebt, eben das farbige Element, — dies ift nicht in fo hohem Maße der Qualität zu
fpüren, daß feßon die zeichnerifcße Darftellung fühlbar durchgeiftigt, überirdifcht würde.
Nein: es bleibt durchweg bei einer ziemlich harten Art der Strichführung.
Nun wäre auch die Klee und Kubin ganz entgegengefefete Art der Einteilung mög-
lich: eine fachliche Nüchternheit, die alles und jedes Ergriffene fo kernig rauh und
hart anpackte, daß jedwedes Ding in kantiger Fjärte kriftallifierte. Aber auch folcher
(Uiderfpruch gegen die fühlende Romantik, folche dixhafte Unerbittlichkeit des 3u-
packens ift hier nur in feltenen Fällen verwirklicht.
Somit bleibt die Arbeit Michels eher ein fprechendes Dokument unferer 3eitlage, als
das einer wahrhaft künftlerifchen Begabung. Sie fteht in der Verlängerungslinie eines
Expreffionismus, der feine Lebensftimmung mit realiftifchen Ulahrzeichen fo ummantelt,
daß fie nur noch atmofphärifrf) zu erraten ift aus dem Betaften der dinglichen Einzel-
heiten und aus dem überlegenden Analyfieren ihrer Beziehungen. Ein ftarker, durchaus
pofitiv anzuerkennender Beftand künftlerifcher Kräftigkeit bleibt dennoch deutlich: das
Bewußtfein äftßetifchen Spiels, das in der fouveränen Aneinander- und Ineinander-
Fügung der verfd)iedenartigften Elemente fich kundtut, — eine Dokumcntierung äfthe-
tifcher Freiheit, die freilich . . . vorläufig ... in einem fubjektiviftifdjen Dekorativismus
ihr Endziel findet.

Der Cicerone, XV. Jal)rg., 5eft 21

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