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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 24
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Passarge, Walter: Junge Kunst in Erfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#1156

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wurde: der Kampf für die deutfcße Kunft der Gegenwart, wird von der derzeitigen
Mufeutnsleitung erfolgreich fortgefüßrt.
Äm reicßßaltigften find die Künftler des ehemaligen Kreifes der Dresdener „Brücke“
vertreten. Von Pechftein, dem fehr ungleichen Künftler, hängt im Mufeum ein Still-
leben „Die blaue Blume“ vom Jahre 1917 (Äbb.). Es gehört in der eigentümlich ftumpfen
Leuchtkraft der verfchwenderifch über die Leinwand geftreuten Farben zu feinen
beften Arbeiten. Elfe Lasker-Scßüler fagt mir einmal davor: „das könnte ein Indianer
gemalt haben“ und traf damit fehr gut das Exotifcß-Bunte des Bildes. Dann gibt es
von Pechftein -— privat — den großen Gobelin mit der Craubenlefe, der feine deko-
rative Begabung im beften Lichte zeigt und auch teeßnifeß meifterhaft gearbeitet ift,
ein kleineres, farbenglühendes Criptycßon aus feiner italienifchen Seit und das große,
bekannte Palau-Criptycßon.
Sehr gut ift Schmidt-Rottluff vertreten, deffen Primitivismus von weit zwingenderer
Gewalt ift, weil urfprünglicher und tiefer. In der Galerie des Mufeums durch die „Lefende“
(Äbb.), die an farbiger Intenfität das Lebte gibt: Kopf und Arme find ziegelrot, das
Buch dunkelblutrot, die Blufe feßwarzgrün mit karminfarbenem Umriß, Äuffcßläge und
Decke kanariengelb, der Rock ultramarin, der Hintergrund heßgrün. Ausgezeichnet ift
das Vertieftfein in das Lefen gegeben: einmal in der Haltung, dann in dem Schatten,
den das Buch auf das Geflößt des Mädchens wirft und in den grünen Scßattenreßexen
der tiefgefenkten Augenlider. (Heiter find von merken des Künftlers, die fiel) in Erfurt
befinden, zu nennen: „Boote im Hafen,“ ein farbig tiefes, früheres merk, der gelbe,
fitjende „Akt“ (farbige Äbb. in Valentiners Schmidt-Rottluff-Bücßlein), „Mädchen im
Garten“ und „Mädchen mit Haus und Mond“, das letztere von eigenartigftem Stimmungs-
reiz; fcßließlicß das ganz groß gefeßene Hafenbild, ein merk der lebten Jaßre in meifter-
licß breitem und rußigem Vortrag. Leuchtend rote, hellgelbe und ftaßlblaue Flächen
ftoßen funkelnd gegeneinander, von fefter Hand gebändigt und abgezirkt.
Den ftärkften Änklang ßat woßl Heckei mit feiner Kunft in Erfurt gefunden. Das
Mufeum befißt von ißm ein kleines „Äbendbild“. Im Privatbefiß ßnden fieß eine Anzahl
feiner ftärkften merke. 3unäcßft der „Sterbende Pierrot“, unvergeßlich in der Gewalt
des mimifeßen Ausdrucks, in der radialen Kompofition, in der meifterßaften Füllung
der Fläche und der herben Äsketik der Farbengebung. Dann die Frauen am Meer,
kleine gebrechliche Geftalten unter düfter brauendem Himmel vor einem unergründlich
braufendem Meer. Stärkfter Gegenfaß dazu „Der gläferne Dag“, eine der feßönften
Faffungen des von Hßckel immer neu variierten Cßemas nackter Menfcßen am Meeres-
ftrand im Einklang mit Himmel und molken. Nocß ift hier freilich nicht jene Gefcßloffen-
ßeit erreicht, wie fie aus den Schöpfungen feiner lebten Jaßre fprießt. Aus diefer bis-
her reifften Epocße des Meifters ftammen die köftlicßen Aquarelle von der Flensburger
Förde, die fiel) faft alle in Erfurt befinden, ftammt vor allem das Bild des „in (Uiefen
ßbenden Mannes“. Ganz weit ift die Geftalt des blonden Mannes naeß vorn gerückt,
eingebettet in das Grün weicher (Uiefengründe, überrankt von dem Gezweig zart fieß
neigender Bäume, übergoffen von dem Glanz eines ftraßlenden, ftillblauen Sommer-
himmels. Eine Milde, Reinheit und Süße weben in diefem Bild, die unmittelbar an die
reifften merke Hans Cßomas erinnern.
Schließlich Kirchner mit mehreren eßarakteriftifeßen Arbeiten, darunter einem von ge-
drängtem Leben erfüllten Straßenbild, und Otto Müller, der Lyriker der Gruppe, von
dem das Mufeum vor kurzem eine feiner zarten und faft gobelinßaft wirkenden mald-
idyllen erwarb.
Nolde ßat nur kurze 3eit dem Kreife der Brücke angeßört. Den einftigen meg-
genoffen mit ißrer fläcßenßaft dünnen Malerei febt er feine feßr perfönlicße, ßammende
Handfcßrift entgegen, ißrer zeießnerifeß-fpiben feine malerifcß-breite Formengebung.
Der Kontur fpielt für ißn kaum eine Rolle. In dem „Ruffen“ des Mufeums und dem
glüßenden „Blumengarten“ im Privatbefib leben fieß feine beraubenden Farbenorgien

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