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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 150 - 176 (1. Juli 1903 - 31. Juli 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0145

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Mittkch L z,ii ig«z.

Erstes Vlatl

zchM. — ^ W.

E»schet«t tiilich, Eonntag» au»Lcnomme». Vrei» mir Familienbiärkcrn monattich 80 Pfg. in'« HauS gedracht. vei der Exvedition «nd den Zwcigstationen abgeholt 40 Pfg. Durch dt» WsK

bezogen vieneljäüritch l.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

A» >«i i e»p r eil: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige GeschäitS- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme vo« Nnzri^A!
«« destimmten Tagen wird ketne Verantwortlichkeit ül rrnommen. — Anschlag der Jnierate auf dsn Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher 8Z.


Das italienische Garantiegeseh.

Es ist im gegenwärtigen Augenblicke von Jnteresss,

die Rechtslage zu erinnern, die seit der Vollen-
^Ung des Königreichs Jtalien zwischen diesem
^ud dem P a p st t u m besteht, eine Rechtslage, gegen die
^on den Päpsten bis setzt immer Einspruch erhoben
^Urde, die sie aber tatsächiich anerkannten, indem ste sich
^r daraus entspringenden Vorteile bedienten. Der ita-
^ienische Staat, dessen Verfassung als ersten Arttkel den
^atz enthält: „Die Lpostolische römisch-katholische Kirche
stt die einzrge Staatsreligion; die anderen bestehsnden
^ulte sind den Gesetzen entsprechend geduldet", hat durch
sin 'Gesetz vom 13. Mai 1871 die Vorrechte des
^apstes und des hl. Stuhles, sowie die Bezie-
hungen zwischen Staat und Mrche geregelt. Dieses kur-
öorhand als G a r a n t i e g e s e tz bekannte Gesetz be-
uimmt im wesentlichen folgendes: Die Person des Papstes
stt heilig nnd unverletzlich; Angriffe und Beleidignngen
3egen seine Person werden solchm gegen des Königs
^ajestät gleich geachtet und behandelt; die italienische
^egierung erweist ihm auf italienischem Boden königliche
^hren und erkennt ihm Souveränitätsrechte zu. Das
^önigreich Jtalien gewährt dem HI, Stuhl eine völlig
steuerfreie Totation von jährlich 3s^ Million Lire; der
Papst besitzt als sonveräner Herrscher die Paläste Vatikan
Pnd Lateran mit den zugehörigen Gärten sowie die Villa
Castel Gandolfo bei Rom; dieser Besitz ist frei von jeg-
ucher Abgaöe und unöeräußerlich. Während der Erledi-
8ung des hl. Stuhls dars keine richterliche oder politische
^ehörde aus irgendwetchem Grunde die persönliche Frei-
öest der Kardinäle beschränken; die italienische Regierung
^'agt Sorge dafür, dasz die Sitzungen des Konktave und

Konzilien durch kemerlei äußere Gewalt gestört wer-
^n. Der Papst ist vollkommen frei in der Ausübung
leines geistlichen Amtes, auch die 'Geistlichen, die mit der
^röffentlichnng und Ausführung geistlicher Regierungs-
Ee des HI. Stuhls in Rom betraut t'ind, unterstehen in
öieser Beziehung keiner Kontrolle durch die politischen
dehörden. Die Gesandten fremder Mächte beim päpst-
uchen Stuhl genießen die gleichen Vorrechte wie die diplo-
^atischen Vertreter beim königtichen Hof. Der Papst kann
^it der ganzen katholischen Welt frei korrespondierm,
°hue irgendwetche Einmischnng der italienischen Regie-
^Ung; zu diesem Zmecke kann er im Vatikan oder einer
leinex Residenzen ein Post- unld Tetegraphenamt mit
^igenen Angestellten einrichten und genießt fnr seine Kor-
^Wondenz die gleichen Gebührenfreiheiten wie die ita-
^uischen Staatsbehörden. Die päpstlichen Unterrichts-
'Urstnlten, Seminare nsw. in Rom und tlmgebnng hängen
^Uzig nnd allein vonr hl. Stuhl ab, ohne irgendwelche
^ininischnng der italienischen Regierung.

Zur wirtschaftlichen Lage.

Tie zn Anfang des vorigen Jahres ziemlich allgemein
^äegte Hoffnung, anf Grund erfreulicher Anzeichen in

einzelnen Jndustriezweigen, daß der Tiefstand der deut-
schen Gewerbetätigkeit überwunden sei und die allgemeine
Marktlage allmählich ein freundticheres Ansehen gewinnen
werde, hat sich nach den Berichten einer größeren An-
zahl von Handelskammern für das Jahr 1902 leider
als trügerisch herausgestellt. Trotz der wesentlichen Ver-
schiedenheiten der Jndustrie- und Landwirtschaftsbetriebe
ihrer Bezirke stimmen doch zwei Handelskammern, dis
eine im Westen — Saarbrücken —, die andere ini
Osten — Bromberg — darin überein, daß die 'Kauf-
kraft des inIändisch e n Mar'ktes noch immer unge-
mein geschwächt sei. Dagegen weist die deutsche Aus-
fuhr in beiden Bezirken ungeachtet des matt liegenden
inneren Marktes eine Steigerung auf. So berechnet die
Saarbrückener Handelskammer, für welche fast ausschließ-
Ilch die hochentwickelte deutsche Eisenindustrie in Betracht
kommt, den deutschen Auslandsabsatz in manchen Mo-
naten des Jahres auf 78 Prozent der Gesamterzengnis.
Nicht ohne Besorgnis sieht die genannte Handelskammer
der steigenden Röheisenerzeugnis Deutschlands entgegen;
sie betrug im Jahre 1901 7,8 Millionen Tonnen und
stieg im Jahre 1902 auf 8,4 Millionen Tonnen. Dieser
Steigerung gegenüber wirft die Handelskammer die Frage
auf: Wie wird sich die Lage der Eisenindnstrie gestalten,
sobald die Bereinigten Staaten von Amerika nicht nur
für' die deutsche Einfuhr verschlossen bleiben, sondern
selbst ats Mitbewerber auf dbm Weltmar'kt erscheinen und
; die Eisenversorgung zahtreicher überseeischer Länder über-

- nehmen? Soll das gesamte Erwerbsleben vor schweren
! Erschütterungen in sozialer Hinstcht bewahrt bleiben, so
! muß das Streben unserer Großinduftrie darauf gerichtet
s sein, die G ü te r e r z e n g u n g nach Möglichkeit
j einzuschränken und dem wirklich vorhandenen

- Bedarf nach Möglichkeit anznPa s s e n.

Die Handelskammer Bromberg kann erfreulicher-
weise eine Besserung der Lage sür die L a n d w i r t-
schaft konstatieren; aber diese Besserung kommt in
Folge des Wettbewerbs der landwirtschaftlichen Ein- und
Verkaufsgenossenschaften, Lber deren eigenartige aber
schwer kontrollier'bare Geschäftsgebahrung bitter geklagt
wird, nnr in geringem Maße dem Handels- nnd Gewerbe-
stand zu Gute.

Während die Handelskammer Saarbrücken mit auf-
richtiger Genugtuung das Zustandekommen des Zolltarif-
gesetzes begrüßt, glaubt die Handelskammxr Bromberg der
Ueberzeugung Aus'druck geben zu müssen, daß sowöhl Ge-
setzbestimmungen wie viele Zollsätze des Tarifs ohne Schä-
digung der Gewerbetätigkeit kaum haltbar seien und daß
demgemäß eine gründliche Nachprüfung derselben zu er-
solgen hätte.

Beide Handelskammern plaidieren jedoch selbstver-
ständlich für langfristige Handetsverträge. Der gesteigerte
Warenhandel zwischen Deutschland und Rußland weist
namentlich letzteres darauf hin, 'sich für die Zukunft nicht
den berechtigten Forderungen aus iBe'seitigung von Maß-
nahmen im Steuer-, Zoll- und Paßwesen zu verschließen,

Kleine Zeitung.

— Mülhcim a. d. Ruhr, 20. Juli. Kaufmann Gothot
hier wurde gestern nebst vier seiner Kiii'der von seinem
Esgeiien, totlwütigen Hunde gebissen. Die Ge-
.'ssenen begaben sich sosort nach Berlin zur Behandtmig
^ Pastenrschen Jnstitnt. Ein bei der Familie zu Besuch
^rleiides Mädchen folgte heute dorthin. ,

-— Berlin^ 20. Juli. Wei der hiesigen Bankfirma
^br. Schindler defrandierte der Kassierer 140 000
^ark. Ikach einer weiteren Meldung ist der bei der

Zanksirma Gebr. Schindler angestellte Kassierer Iako
h s nach einer Unterschlagung von 140 000 Mk. be-
^its seit einiger Zeit flüchtig. Er hatte in dem 'Geschäft
!^t neun Iahren eine Vertrauensstellung inne, die er
?azu benützte, nach und nach die Depösitcn zu veräußern.
ö^br einer Revifion am Schlnsse des vorigen Vierteljahrs
?at Schindler diese Veruntreüung entdeckt und Jakobus
^"rlanbt, um Mittel zur Deckung der Summe zusammen-
^bringen. Schindter selbst hat znr Decknng des Depots
am 1. d. M. fälligen Hypothekenzinsen in der. Höhe
oii 25 goo Mk. benutzt, weil er hoffte, ihm nnd Iakobus
^orde es geliiigen, den Znsammenbruch des Geschäfts
^ öerhindern. Am Samstag begab stch Schmdler nach
sdaniburg, wo er mit Jäkobus zusammeiitreffen wollte.
? Ichrieb dort einen Brief, daß er den Zusammenbruch
T.cht überleben werde und sich das Leben nehmen wolle.
ie benachrichtigte Kriminalpolizei hat sofort die Unter-
"chung anfgenommen und heute Mittag das Geschäfts-

lokal geschlossen. Ueber den Verbleib Jako'bus ist nichts
bekannt.

— Hambnrg, 21. Juli. Das „Fremdmblatt" meldet:
Der Bankier SchindIer von der Firma Ge'br. Schind-
ler in Berlin wurde in einem hiestgen Hotel erschosse n
aufgefundeii. (S. oben.)

— Der Roman des „Prinzen von Modcna". Man be-

richtet aus London vo,m 18. Juli: Die geschiedene
Gräfin Rnssel und ihr zweiter Mann, der ehemalige
Bediente William Brown, den sie in dem Glauben ge-
heiratet hatte, er sei ein „Prinz von Modena",
Sohn des Kaisers von Oesterreich usw., haben vom Gros-
Venor-Hotel in London aus die Bekanntmachung erlassen,
daß sie versöhnt wieder mit eiriander leben wollen. Als
der angebliche Prinz nach mehrwöchentlicher Untersuchungs-
haft am 30. Funi in Winchester wegen Führung eines
falschen Nameüs bei der Trauung zur nominellen Strafe
von zwei Tagen Gefängnis verurteilt und gleich freige-
lassen wurde, ließ die Gräfin in den Blättern die Meldung,
daß der falsche Prinz jetzt wieder bei ihr weite, demen-
tieren, sie habe ihn seit dem letzten Dezem'ber nicht ge-
sehen. Mit Zustimmimg seiner Fran nnd seiner Schwie-
germntter, der ans vielen Gerichtsverhaiidlnngeii her be-
kannten Lädy Scott, erklärt nun William Brown, daß
seme Gattin und er beschlossen hätten, „die Schrecken der
letzten Monate zu vergessen". Er hoffe, das Vergangene
wieder gutmachen zu können, indem er sein Leben, sein
Herz und feine Seele ih r widme. Seine Erklärung
schließt mit den Worten, es sei der Wuiisch seiner Gattin,

durch welche der beiderseitige Handelsverkehr schon beein-
trächtigt wurde unh durch die Haltung Rußlands noch
mchr gehindert zu werden droht.

Deutsches Neich.

Kiel, 17. Juli. Ein Samoaner, der auf Upolu
geborene Matrose Jakob Kurtz, Sohn eines vor langen
Jahren eingswanderten Deutschen und einer Samoanerin,
stand gestern wegen FahnenfIucht vor dem Kriegs-
gericht der 1. Marine-Jnspektion. Kurtz wuchs in den
Bergm Upolus aus und trieb später einen Handel zwrschen
seinen Landsleuten und der Küste. 1901, als der Kreuzer.
Kormoran vor Apia lag, meldete er sich freiwillig für
den Dienst in der deutschen Flotte, legte seinen samoani-
schen Namen ab und nannte sich nach seinem Vater. Kurtz
verstand nur wenig Deutsch und war sich der Bedeutung
des Treueides sür Kaiser und Reich, den er auf Deutsch.
leistete, nicht vöstig bewußt. Schöne Samoanerinnen ver-
führten den jungen Mann in der kleidsamen deutschen
Marinetracht, und Kurtz floh mit ihnen in die heimischen
Berge. Nach kurzem besann er stch eines Bessern und
kehrte nach Apia zurück. Allein der Kormoran hatte den
Hafen verlassen und der Flüchtling mfidete sich bei den
Behörden, wo cr festgeiiommen wurde. Ter Vertreter
der Anklage beantragte wegen Fahnenflucht 7 Monate
Gefängnis. Das Gericht stellte fest, daß der Byter des
Kurtz die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte, als
Kurtz geboren wnrde, da er unterlasseii hatte, sich inner-
halb der gesetzlichen Verjährungsfrist in die Konsulats-
matrikel einzutragen. Der Angöklagte war somit kein
Teutscher und znm Militärdienst nicht verpflichtet. Er
sei freizusprechen, obwohl objektiv das Vergehen der
Fahneiiflucht vorliege.

Baden.

— Auch im Juni hatten die b a d. S t a a t s b a h n e n
Mehreiimahmen im Vergleich mit demselben Monat des
vorigen Jahres, und zwar im Personenverkehr 61110
Mt., im Güterverkehr 100 830 Mk. Da aber die son-
stigen Ouellen 207 610 Mk. weniger ergaben, stellte stch
im ganzen für den Jnni ein Ausfall von 46 660 Mk.
heraus. Die gesamte Einnahme für das erste Halbjahr
war nach geschätzter Feststellung 36 185 130 Mk., das
ist 1 481 790 Mk. mehr als im Vorjahr nach der geschätz-
ten, oder 1 187 641 Mk. nach der endgültigen Einnahme.
Viel ist das nicht; die Mehrausgäben dürften vielleicht die
Mehreinnahmen aufzehren oder gar überholev

— Zn den in derLeitung der konservati -
ven Partei Badens eingetretenen Veränder -
ungen schreibt man der „Köln. Ztg." aus Karlsrnhe:
Ob es dem kläglichen Mißerfolg des Bundes zuzuschreiben
ist, der 'im 13. Reichstagswahlkreis 'die evangelischen
Bauern vergebens aufgefordert hatte, für den Zentrums-
kandidaten Frhrn. v. Mentzingen zu stimmen, oder äber
der löblichen Einsicht der Könservativeii, daß durch die
extrem-radikale Agitation des Bundes der Landwirte

daß er stch fortan Archibald Stuart nenne. Der Name
William Brown klingt natürlich altzu bürgertich. Die
Gräfin Russel erklärt dann ihrerseits, daß sie auf Grund
einer Entscheidung des Oberhauses ihren adligen Namen
beibehalten haöe. Ferner fügt ste hinzu, daß sie ihrem
Maniie viel zn verzeihen häbe, äber ihm alles vergebe,
„damit er Gelegenheit habe, von vorn wieder aiiznfangen
nnd ihr seine Liebe zn beweisen."

— Die Kronprinzessin von Griechenland durch eiuen
Bctrnnkcnen nttackiert. Ileber ein ausregendes Erlebnis
der Kronpriirzessin SoPhie vo n G riechenland
wird der „Preußischen Korrespondenz" aus Athen be-
richtet: Jn dem S o m m e r t h e a t e r des Hafens von
Phaleron gastiert zur Zeit eine sranzöstsche Qperet-
tengesellschaft, deren Vorstellungen viel besucht werden.
Auch der Hof wohnt ihnen gern bei, die einzige Loge des
Theaters ist für die königliche Familie reserviert. Als
vor einigen Tagen das kronprinzliche Paar ohne irgend-
welche Begleitung in dieser Loge Platz genommen hatte,
öffnete sich plötzlich deren Tür, ein Mann, feiner Klei-
dung nach ein Athener Kleinbürger, drang ein und trat,
während er verworrene Schimpfworte ausstieß, mit zum
Schlage erhöbenem Arm und ge'ballter Faust auf die
Prinzessin zu. Kronprinz Konstantin erhob sich, packte den
Unbekamiten, warf ihn — der Prinz ist als fehr kräftig
bekannt — zunächst gegen die Wand der Loge und stieß
ihn dann zur Tür hinaus. Alles dies spielte stch so schnell
ab, daß es den Polizeibeamten, die znr königlichen Log«
eilten, nicht mehr möglich war, einzugreifen. Sie konnten
 
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