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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 2 (15. Oktober 1904)
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Aachen: Kunstbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0029

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Nr. 2

fachen: Kunsfbericht.

ei Aachen denkt der Leſer ſofort an das alt-

berühmte Münſter, deſſen Reſtaurirung jetzt
im Vordergrunde des Intereſſes ſteht. Die be-
kannte, zu Ende des vorigen Jahres erſchienene Streit-
ſchrift von J. Strygowski hat natürlich die Gemüther
heftig erregt und mehr oder minder gelehrte Aus-
einanderſetzungen hervorgerufen. Wenn es ſo bleibt,
wird man bald von einer Hypertrophie an Kunſt-
hiſtorikern ſprechen können, während bisher nur eine
ſolche von Riſtorikern feſtgeſtellt war. Naum eine
Woche verſtreicht, ohne daß irgend ein Lokalblatt zu
irgend einer kunſtgeſchichtlichen Frage einen Beitrag aus
„berufener“ Feder ankündigt. Wenn man ihn geleſen
hat, iſt man freilich gewöhnlich darüber klar, daß ſein
Urheber eben nur von der betreffenden Redaktion be-
rufen war. Sumeiſt iſt in Seitungen und Vereins-
verſammlungen beſonders jener Theil der genannten
Broſchüre beſprochen worden, welcher ſich auf die Ab-
hängigkeit des Münſterbaues von kleinaſiatiſchen Rund-
bauten bezieht. Aus dieſen Erörterungen geht hervor,
daß St. vielfach mißverſtanden wird, und daß es beſſer
geweſen wäre, eine ſo ſchwierige Frage nicht zur öffent-
lichen Diskuſſion auf den Markt zu werfen, umſomehr,
da ſie ja mit der Reſtaurirung, wenigſtens im jetzigen
Stadium, nur loſe zuſammenhängt. Er muß es ſich
auch gefallen laſſen, daß ihm von einem Cokal-Archäo-
logen gründlich in einer anderen Sache heimgeleuchtet
wird, nämlich in der des bekannten Trierer Elfenbein-
reliefs, welches die Ueberführung von Reliquien in eine
Kirche ſchildert. Wie war es auch nur nöglich, daß
man ſich ſo lange darüber ſtreiten konnte, was für
Reliquien und welche Kirche gemeint ſind und wo die
Tafel entſtanden iſt? Vatürlich nur in Aachen, denn
in dem Schreine, den die beiden Prieſter auf dem
Wagen halten, befinden ſich die Aachener Großen
Reliquien, die ſie an der Pfalz Karls des Großen vor-
bei nach dem Münſter bringen! Und „die beiden
Herren im Wagen muthen einen ganz ſympathiſch als
alte Aachener an“. — Ganz recht, verehrter Herr
Peters, denn bei näherem Suſehen erkennt man ſogar
eine gewiſſe Familienähnlichkeit mit zwei Vorſtands-
mitgliedern des Aachener Geſchichtsvereins.

Ob es Strygowski gelingen wird, der am Rheine
herrſchenden, aus dem benachbarten Belgien herüber-
gekommenen Reſtaurirungsſeuche Einhalt zu thun, iſt ſehr
zweifelhaft. An dieſem Unterfangen iſt ſchon manch'
Größerer und Stärkerer geſcheitert. Sumal in Aachen liegen
die Verhältniſſe beſonders ſchwierig. Man will hier nicht
blos konſerviren oder hiſtoriſch treu reſtauriren, ſondern die
bedeutenden Summen, über die man verfügt, ver-
wenden, aus einem unſcheinbaren Bau ein dekorative-
Prunkſtück zu machen. Dazu iſt nun der Prof. Her-
mann Schaper aus Hannover der rechte Mann. Das
macht auch für einen Ausländer den Kampf nicht eben
leicht. Trotzdem kann man es als einen Erfolg be-
trachten, daß vorläufig von den ſehr weitgehenden
Plänen Schapers für die Moſaikausſtattung des Hoch-
münſters und des unteren Umganges Abſtand ge-
nommen und der Plan erwogen iſt, ſich hier auf eine
weniger prunkvolle Verzierung mit Wandmalereien zu
beſchränken. Die bereits vollendete Bekleidung der
Pfeiler des Oktogones mit Cipollinoplatten wird ſich
allerdings kaum rückgängig machen laſſen, obwohl jetzt
faſt allgemein zugegeben wird, daß ein Beweis für ihre
hiſtoriſche Berechtigung nicht vorhanden und ihre deko-
rative Wirkung nicht ſehr glücklich iſt. Schaper hat näm-
lich eine Marmorſorte von kühlem, grauem Ton und einer


faſt geradlinigen Streifung gewählt, die in ihrer Zu-
ſammenſetzung wie ein Schilderhaus wirkt.

Die genannte Streitſchrift beſchäftigt ſich auch mit
der in der Vorhalle des Münſters 1 11
figur einer Bärin, über deren helleniſtiſchen Urſprung
kein Sweifel herrſcht und ihrem Gegenſtücke, dem
Pinienzapfen, der in romaniſcher Seit im Vorhofe als
Waſſerſpeier diente. Er ruht auf einer vierkantigen
Platte, an deren Scken ſich zum Theile die Statuetten
der vier Paradieſesſtröme erhalten haben, und welche
eine Inſchrift des im JJ. Jahrhundert lebenden Abtes
Udalrich trägt, derzufolge das Ganze gewöhnlich, auch
von Strygowski, in dieſe Seit verſetzt wird. Es iſt
jedoch noch nicht erwieſen, ob Platte und Pinienzapfen
aus einem Stück gegoſſen ſind und derſelben Seit an-
gehören. Ich halte letzteren für eine antike, von einem
römiſchen Grabmale herrührende Arbeit, welche bereits
von Karl dem Großen nach dem Muſter der Pigna
vor der Petersbaſiliska in Rom zu einem Spring-
brunnen benutzt wurde (im Vereine mit der Bärin)
und im 41. Jahrhundert eine Umgeſtaltung erfuhr.
Die berühmten ſechs Kanzelreliefs in Elfenbein, deren
Beſtimmung und Deutung ſchon eine ganze Reihe von
Kunſthiſtorikern beſchäftigt hat, hält St. für koptiſch
und bringt ſie mit gnoſtiſchen Anſchauungen zuſammen.
Sicher iſt wohl, daß ſie alexandriniſche Mache verrathen,
wie ſo ziemlich die ganze Kunſtinduſtrie der ſpäteren
römiſchen Kaiſerzeit von dieſem Zentrum des Luxus
abhängig erſcheint. Gallien und das Rheinland ſind
auch in der großen Kunſt durch Vermittlung von
Marſeille viel mehr helleniſtiſch als römiſch beeinflußt,
wie das für erſteres beſonders Salomon Reinach, für
letzteres Hettner und Laſchke nachgewieſen haben.
St. ſagt daher mit ſeiner Erklärung des innigen Zu-
ſammenhanges zwiſchen dem antiken Rheinlande und
Alexandrien nichts, was den rheiniſchen Archäologen
noch nicht bekannt wäre. Sein Feſthalten an der ver-
alteten Koptentheorie trägt die Schuld daran, daß er
den bisherigen phantaſtiſchen Erklärungsverſuchen der
Reliefs nur noch einen neuen phantaſtiſchen hinzufügt.
Urſprünglich ſind ſie ja weder als Schmuck der Kanzel,
noch als der eines chriſtlichen Kirchengeräthes über-
haupt gedacht. Die Darſtellungen, ein reitender
römiſcher Offizier und fünf Gottheiten, Mars, Iſis,
Venus und Bacchus — dieſer zweimal in geringen
Varianten — gehören völlig dem antik-heidniſchen Ge-
ſtaltenkreiſe an und ſind meiner Anſicht nach mit den
Viergötter⸗Altären in Verbindung zu bringen, auf deren
Sockel ſich eine Säule mit der Figur des reitenden
Jupiter erhob. (Ich gedenke dieſe Beſtimmungen des
Pinienzapfens und der Kanzelreliefs demnächſt bei
anderer Gelegenheit näher zu begründen.) Auch mit
Strygowski's Erklärung der antiken Marmorkapitelle
des Münſters als einheimiſcher Arbeiten wird ſich Nie-
mand befreunden können, welcher römiſcherheiniſche
Kunſt näher kennen gelernt hat. eber den Schatz des
Münſters iſt vor Kurzem eine neue Publikation er-
ſchienen, welche eine Auswahl der bedeutendſten Stücke
in vorzüglichen Lichtdrucken der Kunſtanſtalt B. Kühlen
in M.⸗Gladbach wiedergiebt, begleitet von einem
knappen aber guten Texte von Stephan Beißel. Sie
übertrifft ohne Sweifel ſowohl in ihrem Abbildungs-
materiale wie in der wiſſenſchaftlichen Korrektheit die
früheren Veröffentlichungen, wird aber der kunſt-
hiſtoriſchen Bedeutung des Schatzes keineswegs gerecht.
Nach wie vor iſt eine vollſtändige, allen Anſprüchen
genügende Ausgabe dringend nöthig, wie ſie ſoeben
Georg Humann dem Schatze von Eſſen zu Theil

werden ließ.
 
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