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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 4 (15. November 1904)
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Scheffers, Otto: Einiges über den Zeichenunterricht
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Gagliardi, Ernesto: Aus Italien
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0065

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Nr. 4


um ſchöne, künſtleriſche Zeichnungen zu entwerfen, ſon-
dern um ſehen zu lernen. — Laſſen Sie ſich ſagen, daß
eine ſolche Arbeit Ihnen mehr Vorſchub leiſtet, als das
Auswendiglernen eines ganzen Heftes.“

(Dr. Alb. Heim, Prof. der Geologie an der Uni-
verſität Sürich.) „So lange wir einen Gegenſtand
noch nicht richtig auswendig zeichnen können, ſo lange
kennen wir ihn noch nicht vollſtändig. — Auswendig-
zeichnen iſt die Selbſtkontrolle unſerer Auffaſſung.“

(John Ruskin.) „Nun alſo, ſobald Sie im Stande
ſind, ich ſage nicht einen Berg, aber nur einen ein-
fachen Stein ganz genau zu zeichnen, ſo werden Ihnen
alle Fragen dieſer Art (Ruskin ſpricht von geologiſchen
Fragen) anziehend und deutlich erſcheinen. — Sie können
kaum ſorgfältig die Umriſſe eines Geier- oder gewöhn-
lichen Schwalbenflügels zeichnen oder die roſigen und
zinnoberfarbigen Töne auf einem Flamingoflügel malen,
ohne eine beinahe völlig neue Anſchauung von der
Bedeutung von Form und Farbe in der Schöpfung zu
erhalten.“

Dieſe und andere Autoritäten weiſen theils auf
den geiſtbildenden, theils den praktiſchen Werth des
Seichnens und des Seichenunterrichtes hin, ſo daß ich
es mir wohl verſagen kann, des Näheren darauf ein-
zugehen, wie durch den Seichenunterricht das Be-
obachtungsvermögen, das Formgedächtnis und die
Dhantaſie ausgebildet, wie in Folge deſſen eine ſichere
Grundlage auch für die Ausbildung des Geſchmacks
gelegt wird. Ich vermeide es abſichtlich, das Wort
„Kunſtverſtändniß“ hier auszuſprechen, denn ich bin der
Meinung, daß der Seichenunterricht auf die Ausbildung
des eigentlichen Kunſtverſtändniſſes ebenſo wenig Rück-
ſicht zu nehmen hat, wie der Sprachunterricht, der vor
allen Dingen dem Schüler beizubringen ſucht, wie er
ſich klar und unzweideutig auszudrücken hat, um einen
Gedanken zu fixiren. Es iſt, ich wiederhole hier, was
ich bereits an anderer Stelle geſchrieben habe, die
künſtleriſche Erziehung zwar auch ein Sweck des
Seichenunterrichts, und noch dazu ein ſchöner, edler,
erſtrebenswerther, aber wie im Leben die Arbeit dem
Vergnügen vorangeht, ſo hat die Schule zunächſt für
den Ernſt des Lebens tüchtige, dann erſt für die Schön-
heiten des Lebens genußfähige Menſchen zu erziehen.
Der Seichenunterricht ſoll den künftigen Archäologen,
Arzt, Vaturforſcher, Ingenieur, Militär, Naufmann,
Gewerbetreibenden u. ſ. w. zu einem auch mit dem
inneren Auge ſehenden, zu einem ſchöpferiſchen, er-
finderiſchen Menſchen machen. Wenn dieſe Aufgabe
erfüllt iſt, hat der Seichenunterricht für die Schule
genug gethan.

Auch das Seichnen iſt eine Sprache und hat in
erzieheriſcher wie praktiſcher Hinſicht die gleiche Be-
deutung, wie die Lautſprache. Es ſtellt an den Schüler


des Kindes in gleicher e wie die Sprache ge-
werthet werden. FWW

Ich glaube auf Grund meiner Gedankenausſprache
mit vielen Seichenlehrern behaupten zu können, daß


heute auf dem hier von mir charakteriſirten Stand-
punkte ſtehen, daß die meiſten nichts wiſſen wollen von
der Verhimmelung der Ninderkritzeleien, von der Ein-
führung des Impreſſionismus in die Schule, von dem
übertriebenen Tamtam der Vunſterziehungsbewegung,
von dem Aufhängen ſchwer verſtändlicher Kunſtwerke
in den Klaſſenräumen und dem meiſten Drum und
Dran der Reformbewegung auf dem Gebiete des
Seichenunterrichts. Ueberall wird bereits der Rückzug
angetreten und ſehr bald werden gewiſſe Weltverbeſſerer
nur noch als Kurioſitäten in der Geſchichte der Päda-
gogik verzeichnet ſtehen.

Aus Talien.

Jer Dom von Spoleto, ein geſchichtlich bedeut-
y ſamer Bau aus dem 12. Jahrhundert, liegt am
n Bergabhang in luftiger Höhe. Der jüngſt er-
folgte Einſturz eines Cheiles der Stadtmauer hat große
Erdrutſche zur Folge gehabt, und da man fürchten
mußte, daß auch der Dom ſich nun, ſeiner Stütze be-
raubt, thalabwärts in Bewegung ſetzen könnte, hat man
ſich genöthigt geſehen, die Grabdenkmäler des Francesco
und Fulvio Orſini, ſeine Hauptzierden, ſowie dasjenige
von Fra Filippo Lippi, der die Wandflächen des ſchönen
Gotteshauſes mit herrlichen Fresken ſchmückte und 1469
in Spoleto als ein Opfer der Liebe das Seitliche ſegnete,
ſchleunigſt nach einem Saal des benachbarten Bath-
hauſes zu verlegen. ;

Die Römer pflegten die Fundamentirung der
vielen Tempel und Feſten, die die toskaniſchen und
umbriſchen Hügel krönen, vor dem zerſtörenden Einfluß
durchſickender Gewäſſer durch die Ausführung ausge-
dehnter Drainirungsarbeiten ſicherzuſtellen. Schon
zweihundert und etliche Jahre nach dem Bau der
Spoletaner Hauptkirche, die, wie ſo viele ihresgleichen,
die Stätte eines heidniſchen Tempels einnimmt, erfüllten
aus verſchiedenen Gründen die von den Römern an-
gelegten Röhren und Kandle nicht mehr ihre Be-
ſtimmung. Bramante wußte ſie jedoch ſo wieder in Stand
u ſetzen, daß ſie noch über 500 Jahre dem Einfluß
des Waſſers Trotz geboten haben. Die Unterſuchungen
haben feſtgeſtellt, daß, wenn man dem Serſtörungswerk
des Waſſers Einhalt thun und den ſtolzen Bau er-
halten will, man ſeinem Beiſpiel folgend die ganze
Arbeit wieder aufnehmen muß.

Das Geſchick iſt übrigens mit den vergänglichen
Reſten des lebensluſtigen Fra Filippo Lippi recht un-
glimpflich umgegangen. Als Lorenzo de Medici in
der Eigenſchaft eines Florentiner Abgeſandten nach
Spoleto kam, wollte er die Gebeine des großen Malers
nach Florenz mitnehmen. Die Spoletaner wußten ihn
jedoch in einer ebenſo liebenswürdigen wie wirkſamen
Weiſe davon abzubringen. „Florenz — meinten ſie —
ſei ſo reich an großen Männern und Denkmälern jeder
Art, daß es Spoleto den Ruhm gönnen könnte, die
ſterbliche Hülle von Fra Filippo in ſeinem Weichbild zu
bergen.“ Der Magnifico mußte ſich damit begnügen,
 
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