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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 12 (15. März 1905)
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Rapsilber, Maximilian: Pietro Canonica
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Von Wiener Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0212

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182


N 12

Latiniſten Tommaſo Vallauri dar, es erfaßt ihn als
ſtrengen und tiefen Denker, ein ganzes gedankenreiches
Leben und Wirken iſt in das ſcharfgeprägte Antlitz
hineinmodellirt, und dabei zeigt die Silhouette der
Holoſſalbüſte eine merkwürdig großbewegte Linie.
Wenn es auf die Unmittelbarkeit des Lebens ankommt,
ſo kann man mit einem Säuglingsbildniß eine ver-
blüffende Wirkung erzielen, vorausgeſetzt, daß man das
zappelnde Frühleben überhaupt zu erfaſſen verſteht.
Das aber ſcheint eine Spezialität von Canonica zu ſein,
und unter ſeinen Bimbobüſten ſteht das ſechs Monate
alte lachende Rnäblein obenan. Das Werk iſt der
Nationalgallerie in Rom einverleibt.
bildniſſen zeigt Canonica ferner die Pole ſeines Schaffens.
Die Büſte der Herzogin Elena von Aoſta iſt auf die
moderne Raſſeform und auf die Haltung und die un-
übertrefflich ſchöne Büſte der Prinzeſſin Doria-Pamfili
in Rom auf das Pſpychologiſche hin geformt. Hier iſt
es die große altrömiſche Adelslinie, die moderne Frauen-
ſeele, der unſagbare Reiz des weichen Profils und die
feinartikulirte italieniſche Hand, die mit einer meiſter-
lichen Marmortechnik zuſammenwirken.

Von Wiener Kunst.
Von Paul Wilhelm, Wien.

S N
70 Ler „Hagenbund“ hat eine ſehr reichhaltige
65 Ausſtellung von Werken engliſcher Radirer ver-
anſtaltet. Da giebt es viele werthvolle und
auch ſeltene Stücke. Da iſt Allen voran Whiſtler,
von dem eine ziemliche Anzahl ſeiner prächtigſten
Radirungen vorhanden iſt. Man kann ſich an dem
Reichthum, dem unſäglich feinen Stimmungsreiz dieſes
großen Künſtlers erfreuen. An Subtilität der Technik
iſt gleich nach ihm Charles F. Watſon zu nennen,
deſſen kleine landſchaftliche Skizzen und Motive eine
kecke Unmittelbarkeit der Erſcheinung haben, die ent-
zückt. Auch R. E. J. Buſh, der fein, korrekt, viel-
leicht ein wenig vorſichtig zeichnet, beſitzt ein tiefes
Naturgefühl, das Stimmungen von anmuthiger Grazie
bevorzugt. Ueberhaupt ſteht die Landſchaft, das kleine
Motiv, die flüchtige Beobachtung, im Vordergrund.
Die großen techniſchen Fortſchritte, die die Radirkunſt
gemacht, die außerordentliche Feinheit des Striches,
vereint mit der Komplikation der verſchiedenen Mani-
pulationen des reproduktiven Verfahrens giebt die
Möglichkeit beſonderer Stimmungsreize und macht ſo
die Radirung für das Feſthalten der landſchaftlichen
Augenblickswirkung, der feinen Stimmungswerthe be-
ſonders geeignet. Freilich iſt es mehr die Erſcheinung
der Linie, die zur Geltung zu kommen vermag, auch
noch gewiſſe Luft- und Lichtwirkungen liegen im Bereich
der künſtleriſchen Ausdrucks möglichkeiten, deren ſtarke
Impreſſionswirkungen um ſo bewundernswertherſcheinen,
da doch der Künſtler einem der entſcheidendſten Behelfe
— der Farbe! — völlig entſagen muß, ein Mangel,
dem man in dem leicht koloriſtiſch getönten Monotype
nachzuhelfen ſucht. So bieten im Landſchaftlichen R. Goff,
Seymour Haden u. v. A. eine Fülle künſtleriſcher
Leiſtungen, die bei der ſcheinbaren Einförmigkeit der
Radirkunſt doch die verſchiedenen Individualitäten, ſo-
wohl im künſtleriſchen Empfinden, wie in der techniſchen
Behandlung darthun. 2 a ; ;



Mehr aus dem Rahmen der gewöhnlichen Behand-
lung der Radirnadel tritt Frank Brangwyn, der in
großen, ſatten Konturen ſeine Motive hinſetzt, die faſt
einen paſtoſen Eindruck erwecken, während Alfred.
Saſt ſeine Landſchaften ſcharf und herb umriſſen hin-
ſtellt und die breite Flächenwirkung in den Vordergrund
rückt; dabei das Landſchaftliche in jener lapidaren
Weiſe ſtiliſirt, die an die Maltechnik Leiſtikow's ge-
mahnt. Beſonders köſtliche und durch ihre Seltenheit
werthvolle Stücke ſind David V. Camerons „Holy-
rod Bialts und t Launer e
in ihrer kräftig bewegten und techniſch virtuoſen
Behandlung bei vertiefteſter Stimmung zu den
Perlen der Ausſtellung. Auch Alphonſe Legros
hat ſeinen berühmten Syklus: der „Triumph des
Todes“ ausgeſtellt, eine Todtentanz-Symphonie von
tiefſter Wirkung, bei der die markige und großzügige
Durchbildung, die ſich nicht in geiſtreiche Details ver-
liert, wie bei manchen neueren Radirern — auch nicht
in philoſophiſche Spitzfindigkeiten, wie etwa bei Rops,
mehr an die naive und zugleich kräftige Art der
mittelalterlichen Rolzſchneider erinnert.

Gleichzeitig mit der Ausſtellung des „Bagenbund“
iſt im Kunſtſalon Nen de eine Ausſtellung eines der größten
modernen Radirer zu ſehen, des geiſtreichen und
bizarren Franzoſen Félicien Rops. Man kennt ſeine
Werke hier, aber man wird ſie immer mit neuer An-
regung und Bewunderung betrachten.

Man wird alle Schauer dieſer aufwühlenden, auf-
reizenden, alle Inſtinkte verhöhnenden, faſt ſataniſchen
Kunſt auf ſich wirken laſſen. Feélicien Rops iſt kein
Künder des weiblichen Saubers, der ſieghaften Kraft
der Schönheit, er löſt von den ſüßen und innigen Ge-
heimniſſen der Frauenſeele nicht mit der ſinnenfreudigen
Künſtlerhand die letzten Schleier, er zerrt und zerreißt
die Sauber der Illuſionen, er ſteuert die moderne Ge-
ſellſchaft mit einer Unerbittlichkeit, der alles Beſchönigende
fern iſt, die faſt mit grauſamer Befriedigung die
Formen durchleuchtet, um den grinſenden Todtenſchädel
hinter der lockenden Larve, das klappernde Skelett
hinter den vollen Formen des Lebens zu zeigen. Er
iſt ein wilder Phantaſt, es iſt ihm eine Dämonik eigen,
die ein ſprühender Geiſt, ein blutiger Rumor zur
grotesken Verhöhnung alles Beſtehenden, vor allem
aber des großen Myſteriums der Liebe und der Sinne
aufpeitſcht. Daneben wird man ſeine Virtuoſität, ſeine
ſpielende Kunſt bewundern müſſen, die jeder, ſelbſt der
kühnſten Orgiaſtik ſeiner ausſchweifenden Phantaſie
ſpieleriſch gerecht wird. —

Ein ganz anderer Hauch, ganz andere Sauber
wehen aus der ſehr reichhaltigen Miniaturen-Aus-
ſtellung an, die im Gebäude des Miniſterraths⸗Prä-
ſidiums eröffnet wurde. Da kramt eine vergangene,
ſtille und freundliche Zeit ihre Erinnerungen aus, eine
ganze Seit, die ſich in Spiel und Tanz, in zarter
Galanterie gefiel, die allem Häßlichen ſorgſam aus dem
Wege ging, und das Sarte, Liebliche als künſtleriſches
Gewiß hat auch jene Seit Stürme
und Kämpfe geſehen, aber ihre Romantik, vielleicht die
holde Lüge, in die ſie ſich ſelbſt ſo gern verſponnen,
glättete die wilden Wogen und kam in den Werken
feinſinniger Künſtler kokett geputzt und mit zarten
Cöckchen zum Dorſchein. Es liegt ein eigener Sauber
über dieſen Werken der Vergangenheit, wie über lieben,
gemüthlichen alten Möbeln. Man ſtaunt über die Fülle ent-
zückender, reizender, und doch weit unbedeutender
Kleinigkeiten, in denen ſich der Geſchmack jener Periode


laden hat. Da iſt die Virtuoſität Iſabey's, da ſind
 
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