Nr. 5
Wien: XXI. Ausstellung der Sezession.
Lie Sezeſſion hat mit ihrer XXI. Ausſtellung eine
16 Ueberraſchung bereitet! Es ſcheint faſt, als wäre
der drängende Kunſtfrühling vorüber und hätte
der 9 einer ſchönen und edlen Reife Platz gemacht.
Was man diesmal zu ſehen bekommt, vermag künſtleriſchen
Genuß zu bereiten, ohne dem Scharfſinn die berühmten
Räthſelaufgaben zu geben und ohne den Widerſpruch
des an künſtleriſcher Vergangenheit geſchulten Ge-
ſchmackes faſt ſchadenfroh zu reizen. Nur Conſtant
Montald, ein junger Brüſſeler, hat ſich von den Vor-
bildern, wie Khnopff, Toorop u. A., noch nicht loszu-
löſen vermocht. Seine Technik tappt noch — allerdings
vorſichtig und ohne zu großen Wagemuth — zwiſchen
Impreſſionismus und ornamentaler Stiliſirung herum,
findet aber in feinen, ſubtilen Farben manche echte
künſtleriſche Wirkung. Auch der Karlsruher Wilhelm
Trübner huldigt einer ziemlich rohen und flüchtigen
Technik, die der feinen Stimmung aus dem Wege geht,
und nur den impreſſioniſtiſchen Sindruck der Farbe keck
auf die Leinwand ſetzt. Ganz als eine Erſcheinung
für ſich muß Hermen Anglada-Camaras genommen
werden. Die Form iſt ihm nichts, die Farbe Alles.
Wie zahm war der größte Meiſter dieſes Prinzips:
Makart! gegen den kühnen Pariſer. Und doch ver-
mag man dieſes Branden, Fluthen der Tonwellen,
dieſe Orgien der Farbe nicht ohne Bewunderung zu
betrachten. Es iſt ein an ſich vielleicht outrirtes Prinzip,
aber mit einer Genialität an die letzten Nonſequenzen
geführt, die akademiſche Bedenken durch die Unmittel-
barkeitsgewalt des Eindruckes verſtummen macht.
Lucien Simon, obwohl noch in der Schule der fran-
zöſiſchen Impreſſioniſten ſtehend — wie in dem „Küchen-
interieur“ — führt in den anmuthigen „Kindern auf
der Stiege“ ſchon zu jenen Geſetzen der Kunſt zurück,
die den dauernden Sindruck des Kunſtwerkes nicht der
Augenblickswirkung der Erſcheinung opfern. Ganz vor-
trefflich diskret und doch energiſch im Ausdruck iſt ſein
Porträt des Malers J E. Blanche. Und nun zu dieſem
ſelbſt! Er hat der Ausſtellung ihren Clou gegeben!
Sein „Cherubim“ (vermuthlich das Porträt einer Pariſer
Sängerin) iſt eines der ſchönſten Bilder, die ich je ge-
ſehen. Ich kenne in der modernen Malerei kaum ein
Werk, das die ſüße Schwermuth einer zarten Sinnlich-
keit mit ſo unnachahmlicher Weiſe auszudrücken ver-
möchte, die läſſig in den Lehnſeſſel zurückgeſunkene Ge-
ſtalt, die überſchlanken Beine in den flimmernden Atlas-
höschen, das Knabenhafte dieſer Erſcheinung mit der
ſüßen Frauenhaftigkeit dieſes Antlitzes iſt ein unwider-
ſtehliches Meiſterwerk. Dazu eine Technik, die den Sin-
druck des Materials, des dunklen Sammets, der
flimmernden Seide in einer breiten und ſicheren Art
wiedergiebt, die Bewunderung erregen muß. Auch die
übrigen Porträts desſelben Künſtlers ſind durchweg
Prachtſtücke, das Beſte darunter das des Bildhauers
Rodin, das man gleichfalls nicht ſo ſchnell aus dem
Gedächtniß verlieren wird. Neben dieſem großen
Künſtler ſteht ebenbürtig Albert Besnard, deſſen
eminenter Farbenſinn und hinreißende Unmittelbarkeit
in der ſieghaften Behandlung des weiblichen Aktes zu
Tage treten. Seine niemals ängſtliche Technik weiß in
allen Feinheiten koloriſtiſcher Reize allen Sauber des
einfallenden Lichtes zu ſchwelgen, ohne das rein
Maleriſche ſelbſtgefällig zu betonen. Gaſton La
Touche holt aus dem leiſen und matten Flimmern ge-
dämpfter Kolorite die feinſten Hauber der Stimmung.
Auch er ſteht diesmal älteren Kunſtanſchauungen —
im guten Sinne! — näher als ſonſt. Chriſtian Landen-
berger aus München ſtellt die Akte recht naiv em-
pfundener Nnabengeſtalten ins Grün und läßt alle
Sauber des ſpielenden Sonnenlichts auf den Beſchauer
los, die denn auch weit erquicklicher wirken, als die
mit jener ſaloppen Pinſelführung gemalten Akte, welche
die Unmittelbarkeit der Studie über die abgemeſſene
Wirkung des Bildes ſtellt. Erwähnt man noch be-
achtenswerthe Bilder von Ramön Caſas, Frederic
Léon und eine BVollektion vortrefflicher Aquarelle Karl
Müller's, der vornehmlich Alt-Wiener Straßenmotive
behandelt und der vorſichtigen Technik des Aquarells
eine glückliche Beimiſchung flotter Unmittelbarkeit —
wie ſie die moderne Landſchaftsmalerei als ihre beſte
Errungenſchaft betrachten darf, zu geben weiß, ſo iſt
Alles geſagt, was über dieſe nach mehr als einer
Richtung hin erfreuliche Ausſtellung zu ſagen iſt.
Paul Wilhelm.
Münchner Kunstschau.
. m KNunſtverein konnte man in den letzten Wochen
0 die Kunſtwerke ſehen, die der Staat auf den
beiden großen Münchner Kunſtausſtellungen des
heurigen Jahres für die neue Pinakothek angekauft
hat. Es iſt eine ganze Reihe von Gemälden und
Plaſtiken da, liebenswürdige, „recht nette“ Sachen, wie
ſie der gute Bürger gern in ſeinem Salon aufſtellt,
wirkliche, echte Kunſtwerke, von denen man, und ſei es
nur in zehn oder zwanzig Jahren, noch mit Beſpekt
ſprechen kann, ſind es vielleicht zwei oder drei. Man
kann ſich alſo mit den Einkäufen nicht einverſtanden
erklären. Auf Billigkeit und Sahl darf es doch bei
ſolchen Erwerbungen, denen die Gallerieunſterblichkeit
zugeſichert wird, nicht ankommen. Man kaufe drei
oder vier wahrhaftige Runſtwerke, und es iſt mehr
Gutes damit geſtiftet, als wenn man eine betriebſame
Mittelmäßigkeit großzieht. Wer ſeit zwanzig Jahren
im Glaspalaſt ausſtellt oder einen Vetter in der An-
kaufskommiſſion ſitzen hat, der iſt doch um Gotteswillen
noch nicht ohne Weiteres reif für die Pinakothek.
Nepotismus und Protektionsweſen in der bildenden
Kunſt iſt etwas Abſcheuliches! —
Bei Heinemann giebt es drei neue Vollektiv-
Ausſtellungen auf einmal. Weitaus das Bedeutendſte
iſt das, was uns Heinrich Hügel zeigt. Auf den
Ausſtellungen der letzten Jahre war er immer nur
ſchwach vertreten: mit einem, höchſtens zwei Bildern
verſchwand er unter der Menge. Und ſchon ging da-
böſe Gerücht, Heinrich Sügel, der zu den geſchätzteſten
Lehrern unſerer Akademie gehört, habe in ſeiner Pro-
duktionskraft nachgelaſſen, ja ein paar Fürwitzige ſahen
den rüſtigen Künſtler wohl gar ſchon für ausgegeben
an. O, wie angenehm überraſcht nun dieſe impoſante,
überwältigende Ausſtellung von etwa ſechzig Werken,
die faſt ſämmtlich in den letzten zwei oder drei Jahren
entſtanden ſind. Wohl ſind es reichlich zur Hälfte
Studien, aber die Sahl der bildmäßig behandelten
LCeinwanden iſt darum immer noch höchſt reſpektabel.
Was ſoll man über Sügel's Kunft Neues ſagen? Man
weiß, daß er dem edlen Geſchäft des Eumäos mit
raffinirtem Geſchick obliegt, daß er Ochſen und Kühe,
Wien: XXI. Ausstellung der Sezession.
Lie Sezeſſion hat mit ihrer XXI. Ausſtellung eine
16 Ueberraſchung bereitet! Es ſcheint faſt, als wäre
der drängende Kunſtfrühling vorüber und hätte
der 9 einer ſchönen und edlen Reife Platz gemacht.
Was man diesmal zu ſehen bekommt, vermag künſtleriſchen
Genuß zu bereiten, ohne dem Scharfſinn die berühmten
Räthſelaufgaben zu geben und ohne den Widerſpruch
des an künſtleriſcher Vergangenheit geſchulten Ge-
ſchmackes faſt ſchadenfroh zu reizen. Nur Conſtant
Montald, ein junger Brüſſeler, hat ſich von den Vor-
bildern, wie Khnopff, Toorop u. A., noch nicht loszu-
löſen vermocht. Seine Technik tappt noch — allerdings
vorſichtig und ohne zu großen Wagemuth — zwiſchen
Impreſſionismus und ornamentaler Stiliſirung herum,
findet aber in feinen, ſubtilen Farben manche echte
künſtleriſche Wirkung. Auch der Karlsruher Wilhelm
Trübner huldigt einer ziemlich rohen und flüchtigen
Technik, die der feinen Stimmung aus dem Wege geht,
und nur den impreſſioniſtiſchen Sindruck der Farbe keck
auf die Leinwand ſetzt. Ganz als eine Erſcheinung
für ſich muß Hermen Anglada-Camaras genommen
werden. Die Form iſt ihm nichts, die Farbe Alles.
Wie zahm war der größte Meiſter dieſes Prinzips:
Makart! gegen den kühnen Pariſer. Und doch ver-
mag man dieſes Branden, Fluthen der Tonwellen,
dieſe Orgien der Farbe nicht ohne Bewunderung zu
betrachten. Es iſt ein an ſich vielleicht outrirtes Prinzip,
aber mit einer Genialität an die letzten Nonſequenzen
geführt, die akademiſche Bedenken durch die Unmittel-
barkeitsgewalt des Eindruckes verſtummen macht.
Lucien Simon, obwohl noch in der Schule der fran-
zöſiſchen Impreſſioniſten ſtehend — wie in dem „Küchen-
interieur“ — führt in den anmuthigen „Kindern auf
der Stiege“ ſchon zu jenen Geſetzen der Kunſt zurück,
die den dauernden Sindruck des Kunſtwerkes nicht der
Augenblickswirkung der Erſcheinung opfern. Ganz vor-
trefflich diskret und doch energiſch im Ausdruck iſt ſein
Porträt des Malers J E. Blanche. Und nun zu dieſem
ſelbſt! Er hat der Ausſtellung ihren Clou gegeben!
Sein „Cherubim“ (vermuthlich das Porträt einer Pariſer
Sängerin) iſt eines der ſchönſten Bilder, die ich je ge-
ſehen. Ich kenne in der modernen Malerei kaum ein
Werk, das die ſüße Schwermuth einer zarten Sinnlich-
keit mit ſo unnachahmlicher Weiſe auszudrücken ver-
möchte, die läſſig in den Lehnſeſſel zurückgeſunkene Ge-
ſtalt, die überſchlanken Beine in den flimmernden Atlas-
höschen, das Knabenhafte dieſer Erſcheinung mit der
ſüßen Frauenhaftigkeit dieſes Antlitzes iſt ein unwider-
ſtehliches Meiſterwerk. Dazu eine Technik, die den Sin-
druck des Materials, des dunklen Sammets, der
flimmernden Seide in einer breiten und ſicheren Art
wiedergiebt, die Bewunderung erregen muß. Auch die
übrigen Porträts desſelben Künſtlers ſind durchweg
Prachtſtücke, das Beſte darunter das des Bildhauers
Rodin, das man gleichfalls nicht ſo ſchnell aus dem
Gedächtniß verlieren wird. Neben dieſem großen
Künſtler ſteht ebenbürtig Albert Besnard, deſſen
eminenter Farbenſinn und hinreißende Unmittelbarkeit
in der ſieghaften Behandlung des weiblichen Aktes zu
Tage treten. Seine niemals ängſtliche Technik weiß in
allen Feinheiten koloriſtiſcher Reize allen Sauber des
einfallenden Lichtes zu ſchwelgen, ohne das rein
Maleriſche ſelbſtgefällig zu betonen. Gaſton La
Touche holt aus dem leiſen und matten Flimmern ge-
dämpfter Kolorite die feinſten Hauber der Stimmung.
Auch er ſteht diesmal älteren Kunſtanſchauungen —
im guten Sinne! — näher als ſonſt. Chriſtian Landen-
berger aus München ſtellt die Akte recht naiv em-
pfundener Nnabengeſtalten ins Grün und läßt alle
Sauber des ſpielenden Sonnenlichts auf den Beſchauer
los, die denn auch weit erquicklicher wirken, als die
mit jener ſaloppen Pinſelführung gemalten Akte, welche
die Unmittelbarkeit der Studie über die abgemeſſene
Wirkung des Bildes ſtellt. Erwähnt man noch be-
achtenswerthe Bilder von Ramön Caſas, Frederic
Léon und eine BVollektion vortrefflicher Aquarelle Karl
Müller's, der vornehmlich Alt-Wiener Straßenmotive
behandelt und der vorſichtigen Technik des Aquarells
eine glückliche Beimiſchung flotter Unmittelbarkeit —
wie ſie die moderne Landſchaftsmalerei als ihre beſte
Errungenſchaft betrachten darf, zu geben weiß, ſo iſt
Alles geſagt, was über dieſe nach mehr als einer
Richtung hin erfreuliche Ausſtellung zu ſagen iſt.
Paul Wilhelm.
Münchner Kunstschau.
. m KNunſtverein konnte man in den letzten Wochen
0 die Kunſtwerke ſehen, die der Staat auf den
beiden großen Münchner Kunſtausſtellungen des
heurigen Jahres für die neue Pinakothek angekauft
hat. Es iſt eine ganze Reihe von Gemälden und
Plaſtiken da, liebenswürdige, „recht nette“ Sachen, wie
ſie der gute Bürger gern in ſeinem Salon aufſtellt,
wirkliche, echte Kunſtwerke, von denen man, und ſei es
nur in zehn oder zwanzig Jahren, noch mit Beſpekt
ſprechen kann, ſind es vielleicht zwei oder drei. Man
kann ſich alſo mit den Einkäufen nicht einverſtanden
erklären. Auf Billigkeit und Sahl darf es doch bei
ſolchen Erwerbungen, denen die Gallerieunſterblichkeit
zugeſichert wird, nicht ankommen. Man kaufe drei
oder vier wahrhaftige Runſtwerke, und es iſt mehr
Gutes damit geſtiftet, als wenn man eine betriebſame
Mittelmäßigkeit großzieht. Wer ſeit zwanzig Jahren
im Glaspalaſt ausſtellt oder einen Vetter in der An-
kaufskommiſſion ſitzen hat, der iſt doch um Gotteswillen
noch nicht ohne Weiteres reif für die Pinakothek.
Nepotismus und Protektionsweſen in der bildenden
Kunſt iſt etwas Abſcheuliches! —
Bei Heinemann giebt es drei neue Vollektiv-
Ausſtellungen auf einmal. Weitaus das Bedeutendſte
iſt das, was uns Heinrich Hügel zeigt. Auf den
Ausſtellungen der letzten Jahre war er immer nur
ſchwach vertreten: mit einem, höchſtens zwei Bildern
verſchwand er unter der Menge. Und ſchon ging da-
böſe Gerücht, Heinrich Sügel, der zu den geſchätzteſten
Lehrern unſerer Akademie gehört, habe in ſeiner Pro-
duktionskraft nachgelaſſen, ja ein paar Fürwitzige ſahen
den rüſtigen Künſtler wohl gar ſchon für ausgegeben
an. O, wie angenehm überraſcht nun dieſe impoſante,
überwältigende Ausſtellung von etwa ſechzig Werken,
die faſt ſämmtlich in den letzten zwei oder drei Jahren
entſtanden ſind. Wohl ſind es reichlich zur Hälfte
Studien, aber die Sahl der bildmäßig behandelten
LCeinwanden iſt darum immer noch höchſt reſpektabel.
Was ſoll man über Sügel's Kunft Neues ſagen? Man
weiß, daß er dem edlen Geſchäft des Eumäos mit
raffinirtem Geſchick obliegt, daß er Ochſen und Kühe,