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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 18 (15. Juni 1905)
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Rapsilber, Maximilian: Grosse Berliner Kunstausstellung 1905, Die Berliner, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0319

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Nr. 18


200

Grosse zerliner Kunstausstellung 1905.

Die Berliner.

(Schluß).
5 n dieſem Saal hat man wieder wie vor zwei Jahren

den ſeltſamen Anblick einer ſchwarzaufgedonnerten

ungariſchen Tragödin, die in erſchreckender
Breite auf das Sofa hingegoſſen iſt. Damals hatte
Franz Paczka dieſelbe Perſönlichkeit genau in derſelben
Lage gemalt wie heuer Cornelia Paczka. Die blumig
umrahmte märkiſche Landſchaft von Felix Krauſe und
das Nachtbild der Faune und Nymphen von Achten-
hagen haben wir ſchon bei Schulte geſehen. Fein und
intim charakteriſirt bei breitem Pinſelhieb iſt das uralte
bäuerliche Ehepaar von Sehme, das ſich an der Winter-
ſonne zu erfreuen und zu erwärmen trachtet.

Nun biegen wir von der Hauptaxe ab und be-
grüßen zuvörderſt zwei Sonderausſtellungen von ſehr
erheblicher Art. Der Rivieramaler Willy Hamacher
hat ſein neueſtes Schaffen in elf Bildern von ſtark
meleriſchem Kaliber zur Anſchauung gebracht. Rapallo iſt
ſein Hauptquartier, wo er für die ſüdliche Sonnenglorie,
für den Sauber der Mondnächte und den zornbrauſenden
Seeſturm eine große maleriſche Form geſchaffen hat.
Die Sturmwolken über der purpurn hochwüthenden See,
die an den Klippen ſich ſirenenhaft ereifernde Brandung,
der gluthathmende Abend über dem Hafen, die pinien-
überbuſchten Klippen mit dem Ausblick über das im
Mondlicht ſchlafende, traumſchimmernde Meer und
endlich, das ſtärkſte der Bilder, der im Sonnenbrand
triumphirende Strand mit den ſeltſamen, tiefblauen
Meeresblumen — überall ſetzt ſich eine Größe und
Kraft durch, die in dem ſchwerblütig deutſchen Ernſt
bedeutſam wurzeln. — Su einer feiner artikulirten Augen-
weide ladet Hans Herrmann ein. Er zeigt in einer
bilderreichen Sonderſchau, wie er vor dreißig Jahren
angefangen, dann in den achtziger Jahren zu einer
frühen Blüthe und Meiſterſchaft gediehen, da er von
Düſſeldorf nach Rolland abſchwenkte. Damals war er
noch nicht in der weißnebelnden und kreidigen Hellig-
keit befangen, die auf die Dauer das wohlvertraute
und geſchätzte Kennzeichen ſeiner Kunſt wurde. Ich
weiß nicht, ob man die älteren Bilder höher einſchätzen
darf als die neueren. Sie haben wohl mehr Tiefe und
empfindungsvollere Schönheit und erregen heute Auf-
ſehen, weil ſie mittlerweile in Vergeſſenheit gerathen
und nun den Reiz einer Entdeckung haben. So auch


farbenſymphonie aus der Markthalle von Middelburg
und die frühen venezianiſchen Bilder. Leider haben
in dem Enſemble Nerrmann's Berliner Großſtadt-
ſchilderungen keinen Platz gefunden, denn auch hier
würde die Gegenüberſtellung des Aelteren und Neueren
nicht ohne Intereſſe ſein. — Auch dem Landſchaftsmaler
Julius Jacob hat man ein eigenes Sälchen über-
antwortet, das gewiſſermaßen ein Pendant zu der noch
ſpäter zu kennzeichnenden Skarbina-Ausſtellung iſt. Denn
auch Jacob hat ſich nicht die dankbaren Motive ent-
gehen laſſen, die das alte, nach und nach verſchwindende
Berlin in ſo ungeahnt reicher Fülle darbietet. Seit
Jahrzehnten fahndet er auf die Altpoeſie, ſchildert in
ſeiner ſachlich ruhigen Art den Mühlendamm in
voller Auflöſung einſtiger Herrlichkeit, die winklige alte
Schloßfreiheit, die ehemalige Herkulesbrücke und vieles
Andere, was heute der nüchternen Großſtadt Platz ge-
macht hat. Aktuelles Intereſſe haben ferner die Bilder
aus dem uralten Revier zwiſchen Molkenmarkt und
Jannowitz-Brücke und dem verrufenen Inſelſpeicher,


denn auch dieſes maleriſche Gerümpel wird demnächſt
niedergelegt werden, um einer neuen Uferſtraße zu
weichen. ;

Ja, was ſoll man nun aus dem Labyrinth der
übrigen Berliner Säle als ehrenvolle Kennzeichen
unſeres rüſtig fortſchreitenden Kunſtſchaffens heraus-
greifen? Man kann nicht ſagen, daß die entlegenen
Räume wie in früheren Jahren ſo häufig von todten-
kämmerlicher OGede erfüllt ſind. Im Gegentheil, z. B.
der an die Skulpturenhalle anſtoßende Saal I2 iſt aus-
gezeichnet beſetzt und würde zu den beſten zu zählen
ſein, wenn hier nicht unglücklicher Weiſe ein Familien-
Triptychon von Grotemeyer die Harmonie zerriſſe.
So ähnlich und ſprechend auch die Einzelbildniſſe auf
dieſem Hausſegen ſein mögen, ſo unmaleriſch und öde
gedehnt wirkt das ganze Tableau. Aber da ſehen wir
die pikante Malerei von Alfred Schwarz, die ein
Mädchenporträt effektvoll und geſucht inſzenirt. Den
Nintergrund bildet eine alte Gobelinlandſchaft und
darauf ſtehen pompös die Blondhaare des Kindes, das
weiße Kleid mit der ſchwarzen Schärpe, der ſchwarze
Nut mit blauem Futter. In die Augen fällt hier auch
ein Meiſterſtück der Grientmalerei von Max Rabes,
darſtellend Abſalom's Grab am Hang des Gelberges
bei Jeruſalem, ganz in warme Abendtöne gehüllt und
bedeutſam gehoben durch eine gewaltig drohende Ge-
witterſtimmung und andererſeits wieder verſchönt durch
ein arabiſches Idyll an der alten Ciſterne im Schatten
der Sypreſſen. Bier auch berweilt man gern vor einer eigen-
artigen Malerei von Hans Buſſe, der einen Abend auf
einem ſizilianiſchen Kloſterhof ſchildert mit den glühenden
gründurchhauchten Sonnenlichtern auf dem weißen
Gemäuer, mit den gewaltigen Weinkrügen, welche die
Jahrhunderte patinirt haben und dieſer wunderſamen
Friedensweihe unter den üppigen Weinſpalieren. In
den vielfach getheilten Seitenſälen hat man ferner manches
Kabinetſtück Berliner Malerei zu ſuchen. Obenan zu
nennen wäre Ludwig Knaus mit fünf Bildern, unter
denen die antike Trümmerſtätte, der Schaftrieb im Ge-
birge und die Morgenſonne in den Bergen ſchon bei
anderer Gelegenheit einmal gezeigt wurden. Ganz neu
iſt dagegen ein meiſterhafter Genrekopf, ein kraus-
köpfiger tiroler Franzl, der ſich mit dem Hütlein in den
Patſchhänden ernſthaft hat konterfeien laſſen. Das
Hauptbild der kleinen Sammlung iſt ein ausſichtsloſer
Sühneverſuch, die fein humoriſtiſche Szene eines vor
Nochwürden eifernden und geifernden Ehepaares in dem
Stadium, wo auch dem Herrn Pfarrer der Gedulds-
faden reißt und er Miene macht, die Flinte oder viel-
mehr die lange Pfeife ins Korn zu werfen. In dieſer
intimeren Region ſehen wir auch einen Frühling im
Naidedorf von Franz Hoffmann von Fallersleben. An
die friſchergrünten Bäume und blühenden Sträucher
lehnt ſich der alterthümliche Giebel eines niederſächſiſchen
Gehöftes und an dem alten Siehbrunnen vorbei ſchaut
man in die Weiten der Lüneburger Haide, die heute
unſere Maler mehr und mehr anziehen. Bier hat
auch Albert Hertel eine Sammlung aus Saßnitz, Lanke
und namentlich aus Franken zur Schau geſtellt. Wunder-
voll iſt das Motiv von der Terraſſe des Kloſters Banz
mit der ſtattlichen Barockarchitektur, die über die Park-
wipfel aufſteigt und über die geſegneten Gefilde Aus-
ſchau hält. Sine Probe ſeines unermüdlich anſtrebenden
Schaffens und Reifens ſtellt Carl Holzapfel dar in einer
Gegen das Licht des
großaccentuirten Wolkenhimmels ſtellt ſich eine Schiffer-
flottille, deren Segel die Wucht der Kompoſition be-
dingen. Man hat faſt das körperliche Gefühl des über
die ſanftverſchleierte Fläche friſch andrängenden Windes
 
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