Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 10.1905

DOI Heft:
Nummer 18 (15. Juni 1905)
DOI Artikel:
Wolf, Georg Jacob: München: IX. Internationale Kunstausstellung, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0318

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
276.

ſieben ihm überlaſſenen Säle und Kabinette architektoniſch
überaus luftig und reizvoll geſtaltete, aber in dieſen
Schatzkäſtchen intimer Raumkunſt leider keine Schätze
maleriſcher Art aufzuweiſen hat, denn die Kunſtgenoſſen-
ſchaft Wien, die polniſchen und böhmiſchen Künftler
ſagen uns herzlich wenig, allein beim „Nagenbund“
(Wien) iſt etwas friſcheres Leben.
von den Münchner Gruppen ragt auch heuer
wieder die an Sahl ſo kleine, an friſcher Kraft und
ſtarkem Können ſo reiche „Scholle“ hervor. In zwei
apart geſchmückten Sälen zeigen die zwölf „Scholle“.
Leute ihre bunte, tapfere Kunſt. Es iſt der friſche Athem
einer muthigen Jugend, einer von Siererei und Künſt-
lichkeit freien Kunſt, was der „Scholle“ beſten Theil aus-
macht. Bei der „Sezeſſion“ vermißt man manchen
Führer, ſo Albert von Keller und Ludwig Herterich,
andere, wie Uhde, ſind nur ſehr ſchwach vertreten. Von
auswärtigen Sezeſſionen ſind Berlin, Stuttgart, Narls-
ruhe, Wien und Dresden erſchienen. Vornehm ernſt
und würdig wie ſtets präſentirt ſich die Luitpoldgruppe,
die eine Anzahl ausgereifter und abgeklärter Künſtler-
individualitäten in ſich vereinigt. Beſonder- tüchtige
Arbeiten haben gebracht Bartels, Marr, Müſtner, Har-
burger, Firle, Franz Noch, Bär, Thor, die Brüder
Schuſter-Woldan, Litzmann, und Kunz Meyer. Bei der
„Münchner Künſtlergenoſſenſchaft“, der auch die Werke
der auswärtigen konſervativen Künſtlervereine ange-
gliedert wurden, finden wir intereſſante und gute
Arbeiten von Defregger, Oberländer, Peterſen, Canal,
Diemer, Willroider, Kallmorgen, Schönleber, Meper-
heim ꝛc. F. A. von Kaulbach, Wilhelm von Diez, Gabriel
Max, K. A. Baur und noch einige andere erprobte Stützen
dieſer Gruppe haben bis jetzt noch nichts geſandt. Doch
hält es gerade Kaulbach für ſein privilegirtes Vorrecht,
einen Monat ſpäter kommen zu dürfen als die anderen.
Plaſtiſche Werke von größerer Bedeutung ſind nicht
allzu ſtark vertreten. Die Bildnißbüſten des Italieners
Pietro Canonica, deſſen künſtleriſche Eigenart kürzlich
in der „Kunſthalle“ eingehender geſchildert wurde,
machen einen ſtarken Eindruck, auch des Fürſten Trou-
betzkoy Arbeiten haben einen eigenen Reiz. Meunier's
Bronzen ſind von kräftig-unmittelbarer Wirkung. Von
Münchner Plaſtik intereſſiren am meiſten die Werke,
die Balthaſar Schmitt und Fritz Chriſt geſchaffen haben.
Den tiefſten Eindruck aber hinterläßt Rodin's gigantiſcher
„Denker“, der, in Bronze beſſer wirkend als ſeiner Seit
im Gipsmodell, einen Ehrenplatz fand in dem hohen,
lichten Atrium, das nach den Plänen und Entwürfen
Franz Stuck's und Emanuel Seidl's aufgeführt wurde.
Dieſe erſten Eindrücke, die man aus der chaoliſchen
Menge des Geſchauten mitnimmt, werden natürlich noch
in vielem einer Ergänzung bedürfen. Dieſe und die
detaillirte Würdigung der hier angedeuteten Künſtler
und Werke wird in den Spezialberichten über die
einzelnen Gruppen gegeben werden.
Lenbach-Ausſtellung.
Lenbachausſtellungen hat es in München und in
anderen deutſchen Kunſtſtädten im letzten Jahre ge-
nügend viele gegeben, ſo mochte es einem alſo recht
überflüſſig erſcheinen, daß man — ſozuſagen als An-
hängſel der internationalen Kunſtausſtellung — die
zehn Säle des Sezeſſionsgebäudes mit Lenbachbildern
vollzuſtopfen unternahm. Freilich konnte man, als man
vernahm, daß Rudolf von Seitz mit dem Arrangement
der Ausſtellung betraut wurde, ſicher erwarten, daß
hier keine Geſchmackloſigkeiten in Auswahl und Auf-
ſtellung ſtatthaben würden. Aber trotzdem war man
erſtaunt und angenehm überraſcht, daß hier eine ſo

N 18

glänzende Veranſtaltung zu ſtande kam, daß hier eine
einwandfreie Elite Lenbach'ſcher Werke aus allen
Perioden ſeines geſegneten Schaffens vorgewieſen wurde.
Konnte man der an und für ſich ja immerhin dankens-
werthen Lenbachausſtellung, die vor Jahresfriſt der
Kunſtverein veranſtaltete, den leiſen Vorwurf nicht er-
ſparen, daß ſie allzu ſehr in eine ſeichte Breite aus-
artete, ſo kann man hier mit gerechtem Vergnügen
feſtſtellen, daß ſich unter den ausgeſtellten 208 Werken des
Meiſters — es ſind Gelgemälde, Paſtelle und Seichnungen —
kein Einziges befindet, das nicht ein Meiſterwerk in
ſeiner Art wäre. Beſonders ſtark iſt Lenbach's Früh-
zeit vertreten, jene Seit alſo, da er von Piloty weg ſich
etwas der Vichtung Leibl's und Trübner's näherte.
Seugen dieſer Seit (Beginn der ſechziger Jahre) ſind
beſonders zwei markige, derbe, maleriſch ſehr delikat
durchgearbeitete Bauernköpfe aus dem Beſitz des Fürſten
Donnersmarck. Einer noch früheren Seit, dem römiſchen
Aufenthalt, gehören die Bilder „Titusbogen“ (aus dem
Beſitz des Grafen Palffy) und „Veſtatempel“ (Beſitzer
Dr. J. Deutſch) an. Hier, wie auch in dem intereſſanten
Porträt eines Künſtlers (Rom, 1858), ſieht man noch
ſtark Piloty's Einfluß. Namentlich der Titusbogen mit
ſeiner theatraliſch aufgeputzten, aber erſtaunlich geſchickt
gruppirten Menſchenſtaffage ſieht ſehr nach dem be-
rühmten, aber auch berüchtigten Münchner Akademie-
atelier aus.

Auf der Höhe ſeines Nönnens ſtand Lenbach, als
er in Tegernſee in den achtziger Jahren eine flotte
Skizze ſchuf, die Gladſtone, den engliſchen Staatsmann,
in angeregtem Geſpräch mit dem ernſten Ignaz von
Döllinger zeigt. Dieſes Bild, heute in Schweizer Privat-
beſitz, iſt kaum bekannt. Es wird auch, vielleicht ſeines
kleinen Formats wegen, in der Ansſtellung nicht ſonder-
lich beachtet werden. Und doch zeigt ſich hier Cenbach's
Kunſt nochmals, wie in den erſten, für ſeine Voloriſtik
ſo bedeutenden Jugendjahren, auf einem Punkt ſelten
erreichter höhe. Hat auch die Farbe an Leuchtkraft
verloren, ſo hat ſich dafür der Blick geſchärft für die
maleriſche Erfaſſung einer ausgeprägten Individualität.
Hier iſt Lenbach ganz Maler⸗Pſycholog, und in dieſer
flüchtigen Aufzeichnung der Porträts zweier Männer,
die tief in die Geſchichte des neunzehnten Jahrhunderts
eingriffen, zeigt ſich das in beſonders hohem Grade.
Dagegen drückt das hier zum erſtenmal gezeigte Bild
„Bismarck auf dem Todtenbett“ mit erſchütternder
Grauſamkeit des Künſtlers eigenes Greiſentum, ſeine
Müdigkeit, ſein Erſchlaffen aus. Nicht als ob es
künſtleriſch keine vollgültige Ceiſtung wäre, aber es fehlt
die zähe, trotzige, männliche Kraft, es iſt die weiche,
leiſe Greiſenhand, die da am Werke iſt, ebenſo wie an
dem Selbſtbildniß (1904), das, nicht ganz zutreffend, im
Katalog die letzte Arbeit des Künſtlers genannt wird.

Das Arrangement der Ausſtellung, die manche
ſeltene und bisher nicht geſehene, auch manche luſtige
Gabe enthält, z. B. die munteren „Farbenverſuche“,
Scherzbilder für die „Allotria“ (darunter „Ein Hecht,
den Ruemann, der Profeſſor, gefangen und der in der
Allotria verſpeiſt wurde“) u. ſ. w., iſt ein vorzügliches;
wunderbar abgeſtimmte Wandbeſpannungen, ein reicher
Aufwand von Gobelins, chineſiſchen Vaſen und Renaiſ-
ſancemöbeln erwecken den Anſchein, als ſei man hier
in einen italieniſchen Palazzo gerathen, der die Werke
eines erleſenen Künſtlers birgt. Der Ausſtellung iſt ſo
der langweilige Charakter eines rieſigen Bildermagazins
genommen und jener vertraute Eindruck eines Kunſt-
ſchatzhauſes gegeben, den Lenbach bekanntlich ſo ſehr
liebte und den er in ſeinem eigenen Beim feſtzuhalten

ſich bemühte. Georg Jacob Wolf.
 
Annotationen