Nr. 19
297
und koſtſpieligen Unterſuchungen haben aber den
Herausgebern des Werkes den großen Vortheil ge-
bracht, daß ſie eine in jeder Beziehung originelle und
vor allem bis in das Kleinſte richtige textliche und bild-
liche Anatomie des Löwen ſchaffen konnten. Die dem
vorliegenden Hefte beigegebene Probe, Kopf des
brüllenden Thieres, mag für die Qualität der Seich-
nungen ſprechen. Die in den Tafeln gegebenen Auf-
ſchlüſſe werden noch durch den bereits früher er-
ſchienenen reich illuſtrirten Textband ergänzt. Er
bildet die Grundlage für ſämmtliche beabſichtigte Mono-
graphien dieſer thier-anatomiſchen Publikation des
Dieterich'ſchen Verlags, enthält er doch nicht nur ana-
tomiſche, ſondern auch phyſiologiſche und exterieuriſtiſche
Schilderungen, Darlegungen über die Stellungen und
Bewegungen der Thiere, über die Proportionen des
Thierkörpers und anderes. Uebrigens haben ſich die
Autoren in dieſem Textbande nicht auf die Schilderung
der einſchlägigen Verhältniſſe der Säugethiere beſchränkt,
ſondern alle Wirbelthiere berückſichtigt.
Sehr richtig und ſchön ſind ferner die Bemerkungen,
die in der Einleitung des Textbandes über die Noth-
wendigkeit thier-anatomiſcher Kenntniſſe für den Künſtler
gemacht ſind. Der dieſe Kenntniſſe beſitzende Darſteller
wird bei ſeinen Beobachtungen des Modells ſchnell
wiſſen, worauf er beſonders Gewicht zu legen hat,
welche Stellungen und Bewegungen möglich oder un-
möglich ſind. Bei der Beobachtung der Thiere iſt das
ſchnelle Sehen, das raſche Erfaſſen des Weſentlichen
deshalb ſo nothwendig, weil ſich ja die Thiere ihre
Stellungen und Bewegungen, die der Künſtler gern
fixiren möchte, nicht wie menſchliche Modelle vorſchreiben
laſſen. Häufig wird eine ſchöne, zur Darſtellung be-
ſonders geeignete Stellung oder Bewegung nur für
wenige Augenblicke ſichtbar: dem Unerfahrenen iſt ſie
dann verloren. Der anatomiſch geſchulte Künſtler aber
hat ſofort begriffen, welche Formveränderungen bei
jener ſchönen tranſitoriſchen Stellung ſtattgefunden
haben, und dieſes Wiſſen hat ihm die Deutlichkeit des
Vorgangs ausreichend zu Bewußtſein gebracht.
Auch das Studium des Baues am lebenden In-
dividuum, welches beim Menſchen ſo bequem auszu-
führen iſt, bietet bei den Thieren wegen ihrer Wider-
ſpenſtigkeit und oftmals wegen der dabei beſtehenden
Gefahren für den Unterſucher erhebliche Schwierig-
keiten. Deshalb müſſen anatomiſche Studien am todten
Thiere die Unterſuchung und Betrachtung des lebenden
Individuums ergänzen und zum Theil geradezu erſetzen.
Auch die Raſſen- und Geſchlechtsverſchiedenheiten der
Thiere verlangen anatomiſche Grundlagen zur richtigen
Beurtheilung.
Die Anatomie befähigt ferner den Künſtler: moment-
photographiſche Bewegungen der Thiere richtig zu
deuten und bewahrt ihn vor Täuſchungen, zu welchen
derartige photographiſche Aufnahmen bekanntlich leicht
führen können. Man gehe nur die Thierdarſtellungen
ſelbſt der letzten Seit — von früheren Schöpfungen
gar nicht beſonders zu reden — genauer durch, und
man wird nicht nur Verfehlungen aus eben genannter
Veranlaſſung reichlich entdecken, ſondern auch aus dem
Grunde, weil manche nicht anatomiſch vorgeſchulte
Künſtler krankhafte Veränderungen des Thierkörpers
als etwas Normales bildlich dargeſtellt haben. Es iſt
ſelbſtverſtändlich, daß bei künſtleriſchen Darſtellungen
nicht eigentlich anatomiſch gedacht und geſehen zu
werden braucht, nur vermieden ſoll werden, daß Formen,
Bewegungen und Stellungen gegeben werden, die in
der Natur überhaupt nicht vorkommen.
Die anatomiſchen Kenntniſſe brauchen in ihrer
Geſammtheit kein dauernder Beſitz des Künſtlers zu
bleiben. Genug, wenn gewiſſe unbedingt nothwendige
diesbezügliche Vorſtellungen ſo gründlich ſtudirt worden
ſind, daß ſie für die ganze Lebenszeit unverrückbar
haften. Das anatomiſche Studium hat mithin für die
Swecke des künſtleriſchen Schaffens die analoge Be-
deutung, wie die wiſſenſchaftlichen, Denk- und Ge-
dächtniß⸗Uebungen der Schule für den Gelehrten. Mag
daher auch der Künſtler vieles für die Praxis minder
Wichtige ſpäter vernachläſſigen, wenn ihm nur der
Nutzen der anatomiſchen Studien überhaupt erhalten
bleibt. Darunter wird ſicherlich nicht ſein Gefühls-
leben, die Naivität ſeiner Auffaſſung leiden.
Bezüglich des Studiums der Thier Anatomie
empfehlen die Autoren des Handbuches u. a. auch das
Studium ſorgfältiger anatomiſcher Abbildungen und
vorzüglicher Gipsabgüſſe, doch dies im gewiſſen Sinne
nur als VNothbehelf. Als die beſte Art aber, anatomiſche
nach guten anatomiſchen Präparaten in Verbindung
mit vergleichenden Uebungen vor dem lebenden Thiere
und das Anfertigen von großen durchgeführten ana-
tomiſchen SHeichnungen. Nur durch ſolche gewiſſenhafte
Uebungen wird ſich der angehende Künſtler frei von
jedem Schematismus der Thierdarſtellung halten und
überlieferte unrichtige Formvorſtellungen aus ſeinem
Gedächtniß zu entfernen vermögen.
@»
Kunstchronik.
* Berlin. Bei der zur Hochzeit des Kronprinzen ſtatt-
gefundenen Ausſchmückung der Straße „Unter den Linden“
fiel namentlich die Heſtdekoration des Ugl. Gpernhauſes
auf; ſie war ein Werk des Düſſeldorfer Malers Georg
Hecker, der ſich in dieſem Fache bereits bewährt hatte. —
Menzeliana. Dor Schluß der einzigartigen Ausſtellung des
Geſammtwerkes von Ad. von Menzel in der Vational-
gallerie hat der Beſuch des Kaiſers ſtattgehabt. Außer dem
Galleriedirektor übernahmen Exzellenz Dr. von Schöne und
Geh. Gberregierungsrath Dr. Schmidt die Führung des Aaiſers,
der ſich 5 Stunden in den Räumen aufhielt. Der Plan eines
Menzelmuſeums, als Annex der Nationalgallerie, beſteht
lebhaft fort; es ſoll dem nächſten Landtage ſeitens der Staats-
regierung eine Vorlage von ca. einer Million Mark gemacht
werden. — Maler Raphael Schuſter-Woldan aus München,
der die Decke des Bundesrathsſaales im Reichstagshauſe malte,
wurde nun auch zu Entwürfen für Wandgemälde des Saales
aufgefordert. — Die Porträt- und Landſchaftsmalerin Gertrud
Mackrott hat beim Ausbau des Königl. Schauſpielhauſes für
das Kaiſerliche Privat-Foper die lebensgroßen Porträts des
Haiſers und der Kaiſerin in Oel gemalt. — Ein Wand-
gemälde zum Andenken an Uaiſer Friedrich erhält die Aula
des Kaiſer Friedrich⸗Realgpmnaſiums in Rirdorf. Aus dem
wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen iſt der Maler
Hatſch⸗Charlottenburg als Sieger hervorgegangen.
Bautzen. Wandgemälde im Bürgerſaale des Gewand-
Als Motive wählte Georg Schwenk, der die Aus-
führung der Bilder vorbereitet, den Sturm der Huſſiten unter
Milasco auf die vertheidigte Stadt und den Fürſtentag zu B.
unter Kaiſer Karl IV., beide aus dem 14. Jahrhundert.
* Bregenz. Der Neubau des Dorarlberger Landes-
muſeums wurde am 9. Juni eröffnet.
* Dresden. Ugl. Gemälde gallerie. In der Ab-
theilung der modernen Werke haben Veränderungen in Folge
der Neuerwerbungen ſtattgefunden; es ſind Bilder von Courbet,
Couture, G. Schönleber, O. Reiniger, Stadler, Steinhauſen,
Th. Hagen u. A. hinzugekommen.
* Halle a. S. Ein ungenannter Wohlthäter hat dem
hieſigen Magiſtrat 50 000 M. zur Errichtung einer Gemälde-
gallerie übergeben.
A, Sarto.
297
und koſtſpieligen Unterſuchungen haben aber den
Herausgebern des Werkes den großen Vortheil ge-
bracht, daß ſie eine in jeder Beziehung originelle und
vor allem bis in das Kleinſte richtige textliche und bild-
liche Anatomie des Löwen ſchaffen konnten. Die dem
vorliegenden Hefte beigegebene Probe, Kopf des
brüllenden Thieres, mag für die Qualität der Seich-
nungen ſprechen. Die in den Tafeln gegebenen Auf-
ſchlüſſe werden noch durch den bereits früher er-
ſchienenen reich illuſtrirten Textband ergänzt. Er
bildet die Grundlage für ſämmtliche beabſichtigte Mono-
graphien dieſer thier-anatomiſchen Publikation des
Dieterich'ſchen Verlags, enthält er doch nicht nur ana-
tomiſche, ſondern auch phyſiologiſche und exterieuriſtiſche
Schilderungen, Darlegungen über die Stellungen und
Bewegungen der Thiere, über die Proportionen des
Thierkörpers und anderes. Uebrigens haben ſich die
Autoren in dieſem Textbande nicht auf die Schilderung
der einſchlägigen Verhältniſſe der Säugethiere beſchränkt,
ſondern alle Wirbelthiere berückſichtigt.
Sehr richtig und ſchön ſind ferner die Bemerkungen,
die in der Einleitung des Textbandes über die Noth-
wendigkeit thier-anatomiſcher Kenntniſſe für den Künſtler
gemacht ſind. Der dieſe Kenntniſſe beſitzende Darſteller
wird bei ſeinen Beobachtungen des Modells ſchnell
wiſſen, worauf er beſonders Gewicht zu legen hat,
welche Stellungen und Bewegungen möglich oder un-
möglich ſind. Bei der Beobachtung der Thiere iſt das
ſchnelle Sehen, das raſche Erfaſſen des Weſentlichen
deshalb ſo nothwendig, weil ſich ja die Thiere ihre
Stellungen und Bewegungen, die der Künſtler gern
fixiren möchte, nicht wie menſchliche Modelle vorſchreiben
laſſen. Häufig wird eine ſchöne, zur Darſtellung be-
ſonders geeignete Stellung oder Bewegung nur für
wenige Augenblicke ſichtbar: dem Unerfahrenen iſt ſie
dann verloren. Der anatomiſch geſchulte Künſtler aber
hat ſofort begriffen, welche Formveränderungen bei
jener ſchönen tranſitoriſchen Stellung ſtattgefunden
haben, und dieſes Wiſſen hat ihm die Deutlichkeit des
Vorgangs ausreichend zu Bewußtſein gebracht.
Auch das Studium des Baues am lebenden In-
dividuum, welches beim Menſchen ſo bequem auszu-
führen iſt, bietet bei den Thieren wegen ihrer Wider-
ſpenſtigkeit und oftmals wegen der dabei beſtehenden
Gefahren für den Unterſucher erhebliche Schwierig-
keiten. Deshalb müſſen anatomiſche Studien am todten
Thiere die Unterſuchung und Betrachtung des lebenden
Individuums ergänzen und zum Theil geradezu erſetzen.
Auch die Raſſen- und Geſchlechtsverſchiedenheiten der
Thiere verlangen anatomiſche Grundlagen zur richtigen
Beurtheilung.
Die Anatomie befähigt ferner den Künſtler: moment-
photographiſche Bewegungen der Thiere richtig zu
deuten und bewahrt ihn vor Täuſchungen, zu welchen
derartige photographiſche Aufnahmen bekanntlich leicht
führen können. Man gehe nur die Thierdarſtellungen
ſelbſt der letzten Seit — von früheren Schöpfungen
gar nicht beſonders zu reden — genauer durch, und
man wird nicht nur Verfehlungen aus eben genannter
Veranlaſſung reichlich entdecken, ſondern auch aus dem
Grunde, weil manche nicht anatomiſch vorgeſchulte
Künſtler krankhafte Veränderungen des Thierkörpers
als etwas Normales bildlich dargeſtellt haben. Es iſt
ſelbſtverſtändlich, daß bei künſtleriſchen Darſtellungen
nicht eigentlich anatomiſch gedacht und geſehen zu
werden braucht, nur vermieden ſoll werden, daß Formen,
Bewegungen und Stellungen gegeben werden, die in
der Natur überhaupt nicht vorkommen.
Die anatomiſchen Kenntniſſe brauchen in ihrer
Geſammtheit kein dauernder Beſitz des Künſtlers zu
bleiben. Genug, wenn gewiſſe unbedingt nothwendige
diesbezügliche Vorſtellungen ſo gründlich ſtudirt worden
ſind, daß ſie für die ganze Lebenszeit unverrückbar
haften. Das anatomiſche Studium hat mithin für die
Swecke des künſtleriſchen Schaffens die analoge Be-
deutung, wie die wiſſenſchaftlichen, Denk- und Ge-
dächtniß⸗Uebungen der Schule für den Gelehrten. Mag
daher auch der Künſtler vieles für die Praxis minder
Wichtige ſpäter vernachläſſigen, wenn ihm nur der
Nutzen der anatomiſchen Studien überhaupt erhalten
bleibt. Darunter wird ſicherlich nicht ſein Gefühls-
leben, die Naivität ſeiner Auffaſſung leiden.
Bezüglich des Studiums der Thier Anatomie
empfehlen die Autoren des Handbuches u. a. auch das
Studium ſorgfältiger anatomiſcher Abbildungen und
vorzüglicher Gipsabgüſſe, doch dies im gewiſſen Sinne
nur als VNothbehelf. Als die beſte Art aber, anatomiſche
nach guten anatomiſchen Präparaten in Verbindung
mit vergleichenden Uebungen vor dem lebenden Thiere
und das Anfertigen von großen durchgeführten ana-
tomiſchen SHeichnungen. Nur durch ſolche gewiſſenhafte
Uebungen wird ſich der angehende Künſtler frei von
jedem Schematismus der Thierdarſtellung halten und
überlieferte unrichtige Formvorſtellungen aus ſeinem
Gedächtniß zu entfernen vermögen.
@»
Kunstchronik.
* Berlin. Bei der zur Hochzeit des Kronprinzen ſtatt-
gefundenen Ausſchmückung der Straße „Unter den Linden“
fiel namentlich die Heſtdekoration des Ugl. Gpernhauſes
auf; ſie war ein Werk des Düſſeldorfer Malers Georg
Hecker, der ſich in dieſem Fache bereits bewährt hatte. —
Menzeliana. Dor Schluß der einzigartigen Ausſtellung des
Geſammtwerkes von Ad. von Menzel in der Vational-
gallerie hat der Beſuch des Kaiſers ſtattgehabt. Außer dem
Galleriedirektor übernahmen Exzellenz Dr. von Schöne und
Geh. Gberregierungsrath Dr. Schmidt die Führung des Aaiſers,
der ſich 5 Stunden in den Räumen aufhielt. Der Plan eines
Menzelmuſeums, als Annex der Nationalgallerie, beſteht
lebhaft fort; es ſoll dem nächſten Landtage ſeitens der Staats-
regierung eine Vorlage von ca. einer Million Mark gemacht
werden. — Maler Raphael Schuſter-Woldan aus München,
der die Decke des Bundesrathsſaales im Reichstagshauſe malte,
wurde nun auch zu Entwürfen für Wandgemälde des Saales
aufgefordert. — Die Porträt- und Landſchaftsmalerin Gertrud
Mackrott hat beim Ausbau des Königl. Schauſpielhauſes für
das Kaiſerliche Privat-Foper die lebensgroßen Porträts des
Haiſers und der Kaiſerin in Oel gemalt. — Ein Wand-
gemälde zum Andenken an Uaiſer Friedrich erhält die Aula
des Kaiſer Friedrich⸗Realgpmnaſiums in Rirdorf. Aus dem
wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen iſt der Maler
Hatſch⸗Charlottenburg als Sieger hervorgegangen.
Bautzen. Wandgemälde im Bürgerſaale des Gewand-
Als Motive wählte Georg Schwenk, der die Aus-
führung der Bilder vorbereitet, den Sturm der Huſſiten unter
Milasco auf die vertheidigte Stadt und den Fürſtentag zu B.
unter Kaiſer Karl IV., beide aus dem 14. Jahrhundert.
* Bregenz. Der Neubau des Dorarlberger Landes-
muſeums wurde am 9. Juni eröffnet.
* Dresden. Ugl. Gemälde gallerie. In der Ab-
theilung der modernen Werke haben Veränderungen in Folge
der Neuerwerbungen ſtattgefunden; es ſind Bilder von Courbet,
Couture, G. Schönleber, O. Reiniger, Stadler, Steinhauſen,
Th. Hagen u. A. hinzugekommen.
* Halle a. S. Ein ungenannter Wohlthäter hat dem
hieſigen Magiſtrat 50 000 M. zur Errichtung einer Gemälde-
gallerie übergeben.
A, Sarto.