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die ſich kein Sonnenſtrahl verirrt, immerzu, bis die Nacht kam,
wo alle Teufel los ſind, wo hinter jedem Baum eine ſeltſame
Spukgeſtalt ſteht, wo eine erhitzte, durch das ewige Alleinſein
überreizte Phantaſte in den weißſchimmernden Stämmen der
Birken geſpenſtiſche, weinende Frauen erblickt, wo ein ſeltſam
geformter Baum zum Ureuze wird, an dem einer das Leben
läßt, ein unſagbar weltfremder Menſch zwar, aber kein Beiland.
— Ueber dieſe phantaſtiſchen Viſionen, über ſeine verworrenen
Träume hat Bilek am hellen Tage in ſeiner Werkſtatt bei der
Arbeit ſtehend nachgegrübelt. Immer mehr hat er ſich ein-
geſponnen in eine krauſe, bizarre Philoſophie, er hat den tiefſten
Dingen nachgedacht, über die Probleme der Religion hat er
mit ſich ſelber geſtritten, zur Klarheit iſt er nicht durchgedrungen.
Das Leben und die Geiſtesrichtung Bilek's bedingen das
Droblematiſche an ſeinem Werk: alle Dinge ſcheinen nur ſym-
boliſche Spiegel zu ſein, die die geheime Regung unſichtbarer
Ereigniſſe ins Sichtbare projiziren. So kommt er an Grenz-
gebiete der Hunſt, die vor ihm kein Anderer betrat. Iſt man
auch im erſten Moment verſucht, an Saſcha Schneider, Aubin,
vielleicht auch an Klinger zu denken, man muß es doch bald
einſehen, daß Bilek ganz anderswoher kommt und ganz anders-
wohin ſtrebt. Die ich nannte, die ſtreben wie unerbittliche
Forſcher in ihr Objekt hinein, dem Sinn des vielgeſtaltigen
Untier Leben jagen ſie nach mit heißem Bemühen, Bilek da-
gegen möchte am liebſten vor dem Leben und Alles, was
Leben heißt, fliehen, weit weg in Regionen, wo aller Geiſt der
Schwere aufhört, wo man in ſeltſamen Diſionen lebt, befreit
von Allem, was der Erde anhaftet an Sweiflergeiſt, an
Sektirergeiſt, wo das myſtiſche Dunkel des unerbittlichen
Chriſtenthums die abgehetzte Seele aufnimmt und von ihren
bitteren Zweifeln erlöſt.
Bilek's Werke ſind im Einzelnen ſchwer zu beſchreiben,
nur große, gewaltige Probleme beſchäftigen ihn: Chriſtus,
Golgatha, die Mutter Gottes, Johannes Buß, — der Chriſtus
am Kreuz iſt wohl das Eigenartigſte, was man in einer Aus-
ſtellung ſehen kann. Dieſe Aypnotiſeuraugen, die aus dem
eingeſchrumpften, von nervöſen Krämpfen durchzuckten Geſicht
herausſtarren, vergißt man nimmer, wie ein Menetekel ver-
folgen ſie einen überallhin. Wie das ganze Werk Bilek's
laſſen ſie ein ängſtliches Gefühl in uns wach werden, die Be-
drückung weicht auch nicht, wenn man längſt die Ausſtellung
verlaſſen hat. —
Der junge Münchner Künſtler Willi Geiger iſt einige
Seit auf ähnlichen Wegen gegangen wie Bilek. Zwar haben
ſeine mannhafte, heidniſche Natur nie ſo wilde religiöſe
Schauder erfaßt wie den Böhmen, aber auch vor ihm ſind
wunderbare Viſionen erſtanden, über die hat er nachgegrübelt
und nachgeſonnen, bis er ſie in den genialen Blättern ſeines
Syklus „Seele“ eingefangen und bezwungen hat. Geiger ge-
zwiſchen Hunſt und Literatur mit einem kühnen Luftſprung
wegſetzte.
Die brillante Nüanzirung der Licht- und Schattenſkala ließ
einen oft vergeſſen, daß man es mit Schwarz⸗Weiß-Kunſt zu
tun habe und ſchon damals prophezeite ich Geiger's Zukunft
als Maler. Was er uns nun an Gemälden zeigt, das ent-
ſpricht dieſen Erwartungen vollauf, und die Seit iſt wohl nicht
mehr allzufern, wo man Geiger zugleich mit den ausge-
ſprochendſten jüngeren Koloriſten, die aus der Münchner Schule
hervorgegangen ſind, mit Stuck, Herterich, Unirr und Slevogt zu-
ſammen nennen wird. Es ſind Landſchaften, die er ausſtellt
— immer das nämliche Motiv wiederkehrend — Waſſer und
Kimmel darüber. Auf den Gegenſtand kommt es Geiger
eben weniger an, vielmehr vor allem auf die Farbe, die
kräftig und bunt und in eigenartig lockerer Weiſe auf die
Leinwand aufgetragen iſt. Ich habe ſchon lange keine Bilder
mehr geſehen, bei denen Licht- und Luftproblem in ſo reſoluter
Weiſe in Angriff genommen iſt. Eminent iſt 3. B. der Verſuch,
Waſſer in einer lehmigen Grube, auf die eine glühende Auguſt-
ſonne herunterbrennt, bildmäßig darzuſtellen. Oder die ver-
morſchten Bretterwände und das altersſchwarze Dach einer
Mühle, die ganz ſcharf vor einen tiefblauen Sommerhimmel
hingeſetzt ſind. Es ſind alſo keine niedlichen landſchaftlichen
Plattitüden, die uns Geiger zeigt, ſondern man merkt es, daß
der Hünſtler durch die ernſthafte Schule künſtleriſcher Problem-
ſtellung hindurchgegangen iſt.
Im Gegenſatz zu Geiger hat Richard Kaiſer den Weg
zur Landſchaft nicht erſt durch problematiſche Gedankenkunſt
gefunden, ſondern von Anbeginn ſtand der tüchtige Hünſtler
vor der Natur und malte mit breitem Pinſel und munteren
Farben friſch herunter, was er ſah. Es kam ihm nicht darauf
an, was es war, ſo ſind alſo ſeine Bilder nie Bilder geworden
immer Studien geblieben, das erkennt man ganz deutlich, wenn
man ſeine Ausſtellung im großen Oberlichtſaal des Kunft-
vereins betrachtet. Es iſt kein eigentlich „fertiges“ Bild
darunter, und doch bieten dieſe Studien einen reizvollen Anblick.
Sie ſind nicht mühſam Uebungen in der künſtleriſchen Hand-
ſchrift, obwohl uns ſonſt faſt alle Studien als ſolche Uebungen
erſcheinen, ſie ſind vielmehr Bekenntniſſe einer ſchönen Künſtler-
ſeele, die ſich im Tiefſten eins weiß mit der Natur, die in die
Natur nichts hineinkomponiren und nichts hineingeheimniſſen
will, ſondern die Natur ſo abſchreibt, wie ſie ſich dem ent-
zückten Auge darſtellt. Es liegt wenig Sonnenſchein über
dieſen Landſchaften: Berbſt oder ein grauer Vorfrühlingstag
ſind die bevorzugten Stimmungen. Alſo durchaus die Jahres-
zeiten, in denen ſich die Natur melancholiſch zeigt. Ohne irgend
etwas dazu zu geben oder wegzulaſſen hat Kaifer dieſe
Melancholie des Werdens und Vergeſſens in ſeinen Bildern
fixirt. Wer dabei ſo feine Wirkungen erzielt, der iſt ein
reifer Hünſtler, und ſeien ſeine Arbeiten auch tauſendmal
keine „fertigen“ Bildern ſondern „nur“ Studien.
Georg Jacob Wolf.
Leipziger Kunstbericht.
ugen Bracht, der jetzt bei Del Vecchio eine Kol-
lektion ſeiner ausgeſtellten Gemälde und als gern ge-
ſehener Gaſt betrachtet wird, rechnet zu den beſten
deutſchen Naturſchilderern. Immer deutlicher zeigen ſeine
neueren Arbeiten, daß er eine Wandlung durchgemacht hat,
indem er dem modernen Naturalismus ſeinen Tribut zollte.
mir perſönlich will ſcheinen, als ob Bracht weit mehr er
ſelber war, als es ihm vor allem darauf ankam, den poeſie-
vollen Inhalt des jeweiligen Naturmotivs zu bildlicher Er-
ſcheinung zu bringen. Gewiß intereſſirt er noch immer ſehr,
denn er iſt ein vorzüglicher Maler, und weiß in großen