Nr. 5
gleichnamige römiſche Kirche auf der Tiberinſel, der von der
Fremdenwelt wenig Berückſichtigung zu Theil wird. Und
doch vermögen der Heilige — er wurde in Armenien zuerſt
lebendig geſchunden, dann gekreuzigt — und ſein Tempel auf
der Iſola Tiberina wohl lebhafter zu intereſſiren. Beim
armen Volk ſteht das Kirchlein in hohem Anſehen und iſt
ſagenumflochten. Einſt ſtand hier ein Heiligthum des Aeskulap,
die Mönche erzählen gern, daß ſie in ihrem kleinen Klofter-
garten Motivgaben fanden, die dem alten Beidengott geweiht
waren. Die mythologiſche Heilkraft iſt auf die Sendboten des
Chriſtenthums übergegangen. Jahrzehntelang herrſchte hier
ein Frater als Meiſter in der Zahnreißekunſt, jetzt, da er heim-
gegangen, ward er ſofort durch einen anderen Bruder erſetzt,
der das Geſchäft — unentgeltlich — fortſetzt.
Zur Rechten der Apſis S. Bartolomeo's, einer Kirche, 22
in ihrer jetzigen Geſtalt aus dem 17. Jahrhundert ſtammt, in
der Cappella del Sacramento, wurde vor Kurzem eine moderne
Madonnenfigur aus ihrer Niſche entfernt. Dahinter kam ein
verdorbenes, vielfach reſtaurirtes Gemälde zum Vorſchein, das
des kunſthiſtoriſchen Intereſſes werth iſt. Auf einen ſelbſt-
verſtändlich ſpäter entſtandenen, ſchauderhaft blauen Hinter-
grund mit goldenen Sternen thront eine Madonna mit dem
Bambino, zu der zwei Heilige in Anbetung aufſchauen. Das
ovale Antlitz, die mandelförmigen Augen, die feine Naſe der
Muttergottes erinnern an ein berühmtes Bild, das frommer
Glaube dem heiligen Lukas zuſchreibt, und das in Kon-
ſtantinopel bewahrt wird. Die Santi zu Füßen des Throns
ſind wahrſcheinlich Adalbert und Bartholomäus, die beiden
mittelalterlichen Patrone der Kirche. Ikonographiſche und
ſtiliſtiſche Gründe beſtimmen hieſige Forſcher, die Schöpfung
auf das 15. Jahrhundert zurückzuführen, das heißt, auf jene
dunkle Seit, da Cimabue noch nicht aus Florenz die erſten
Zeichen einer neuerſtehenden Kunſt herüberbrachte. Dieſes
Fresko beweiſt abermals den Einfluß, den Byzanz auf Rom
ausgeübt hat, einen Einfluß, den eine gewiſſe Richtung mit
der Behauptung, die klaſſiſche Tradition ſei in der Hauptſtadt
des OGccidents nie ganz verloren gegangen, ableugnen möchte.
Jedoch eine Juvaſion orientaliſcher Formen im Mittelalter iſt
hier ebenſo wenig abzuſtreiten, wie — leider — eine kultur-
feindliche Strömung im Rom des neueſten Jahrhunderts.
Nachdem man den koſtbaren Fund gethan, ward die ganz
moderne, bunt bemalte Madonna wieder ruhig in ihre Niſche
geſtellt, und es iſt im Augenblick unmöglich, das Werk ein-
gehend zu ſtudiren. Ich ſtellte einen der Mönche zur Rede
und machte aus meiner üblen Laune kein Hehl. „Das Volk
verlangt die Figur der heiligen Frau am altgewohnten Platz,“
ſagte er entſchieden, „ſollen wir durch eine Neuordnung Un-
heil auf die ganze Gegend herabbeſchwörend“ Gegen dieſe
Gründe iſt in Rom nichts auszurichten, in dieſer Beziehung
wandelt ſich nichts im Laufe der Seiten.
S. Bartolomeo hat im Inneren antike Säulen, im Kloſter-
garten Reſte einer alten Travertin-Einfaſſung, mitten in der
Kirche die mit ſehr intereſſanten Reliefs geſchmückte Brunnen-
Einfaſſung, etwa aus dem 12. Jahrhundert, Alles ſpricht von
der Gewalt der hiſtoriſchen Windsbraut, die zu Boden reißt,
was einſt angebetet wurde. Jedoch zu Gunſten des All-
gemeinen,
bunte Puppe von der Wand zu rücken, das wagt man heut-
zutage nicht, das verbietet eine F in rückſichtsloſer
Tyrannei.
das Mesdag-Museum im Naag.
(Schluß.
2 0 Lie Reihe der holländiſchen Meiſter beginne ich hier mit
7 0 Biſchop, Neuhuis und Israels. C. Biſchop's einziges
Bild iſt ein „Stillleben“, tief von Ton: eine weite blaue
Schüſſel mit einer Ananas, ein ſtehender und ein liegender Zinn-
becher, Quitten und Birnen auf weiß-gelbem Tuch. Das einzige
Bild des Alb. Neuhuis zeigt einen „Flickſchuſter bei der Wiege
ſeines Kindes“: ein feines ſchummeriges Interieur. Der Altmeiſter
Joſ. Israels iſt mit ſechs Bildern vertreten; das Hauptſtück iſt
„Allein auf der Welt“; an dem CTodtenbett ſeiner geliebten
Frau ſitzt in ſtarrem Schmerz der Alte; die Hände hat er auf
die Unie gelegt; Hände und Unterkörper ſind prächtig heraus-
gebracht. Von wundervollſtem Leben ſind links am Fenſter
auf einem Tiſch der ſchmale bräunlich-graue Krug und das
noch halbgefüllte Glas. Sehr zahlreich iſt namentlich Bos-
boom, und zwar mit maleriſchen Airchen-Interieurs und
anderen Bildern vertreten. ;
Der Reigen der holländiſchen Landſchafter ſei mit den vier
Arbeiten von P. J. C. Gabriel eröffnet. Deſſen beſte Leinwand
„Die weißgekalkte Giebelwand eines Bauernhauſes in einer
Landſchaft“ erſcheint etwas dünn und die Luft wirkt ſüßlich.
Dagegen zeichnen ſich von den zwölf Werken A. Mauve's be-
ſonders die feine „Skizze des Scheveninger Strandes“ und ein
„Alter Bretterzaun neben einem ſtrohgedeckten Schuppen“
durch wundervollen graugrünen Geſammtton aus. Die Reihe
beſchließen ſtolz die Brüder Willem Maris, Mattys Maris und
Jakob Maris. Willem, der Jüngſte, weiſt ſechs Bilder auf:
Er offenbart auf der Leinwand mit zwei jungen Rindern
(ſchwarz und weiß), die im Sonnenſchein an einer Barriere
ſtehen, einen tiefen emailartigen Ton. Der älteſte Bruder,
Mattys Maris, iſt zwar nur mit drei Bildern vertreten. Doch
ſchon das Interieur „Mädchen in der Hüche“ läßt wohl ver-
ſtehen, warum ihn die Sammler ſo überaus lieben. Jakob
Maris endlich zeigt uns u. A. in einer kleinen Dorflandſchaft
vom Jahre 1875 ſeine duftig lockere Handſchrift und die Höhe
ſeines wunderbaren Könnens. Eines der Bilder heißt
„Pecheurs de coquilles“. Bier wirken Bilder, die einfachen
Formen des Meeresſtrandes, der Dünen, der Wolken wuchtig,
und Alles iſt Ton. Faſt ſtofflicher als das Waſſer und die
Düne erſcheint die Luft, ſo kräftig liegt ſie über der See. Sie
verſilbert Alles, ſelbſt das gelbe Weib und die blaue Karre,
Alles wird hineingeſtimmt. Man ſieht förmlich die Wolken
ziehen und glaubt das ewige Lied des Windes zu hören. Das
Bild iſt wahrlich ein mächtiger Wurf. Eine andere Leinwand
nennt ſich „Die Mühle“. Man kann zweifelhaft ſein, welchem
von den beiden Bildern der Vorzug gebührt. Aber über den
Geſammtbau der Mühle geht doch nichts; jedes Stückchen iſt
Ton. In allerfeinſten Tönen erhebt ſich die Mühle in die
ſilberige Luft, oben klarer, unten ſteckt ſie noch in den Häuſern
des Dorfes und in dem Erddunſt. Die blaue Karre vor der
Mühle und ein grauer Flecken an der Mühle geben zwei
delikate Lokaltöne: das Dunkelgrau des Mühlenleibes iſt ſo
lebenswarm, wie Fleiſch und Bein. Dieſe Mühle würde einem
Alphonſe Daudet lange Geſchichten erzählen. Bier iſt Luft
zwiſchen den Dingen. Die Luft ſpielt und die Wolken ziehen,
die grüne Mutter Erde aber giebt der Mühle das Piedeſtal!
Das iſt künſtleriſch e die Höhe des ſchönen Mesdag⸗ Muſeums.
Dr. Pauen (Köln a. Rh.).
G
gleichnamige römiſche Kirche auf der Tiberinſel, der von der
Fremdenwelt wenig Berückſichtigung zu Theil wird. Und
doch vermögen der Heilige — er wurde in Armenien zuerſt
lebendig geſchunden, dann gekreuzigt — und ſein Tempel auf
der Iſola Tiberina wohl lebhafter zu intereſſiren. Beim
armen Volk ſteht das Kirchlein in hohem Anſehen und iſt
ſagenumflochten. Einſt ſtand hier ein Heiligthum des Aeskulap,
die Mönche erzählen gern, daß ſie in ihrem kleinen Klofter-
garten Motivgaben fanden, die dem alten Beidengott geweiht
waren. Die mythologiſche Heilkraft iſt auf die Sendboten des
Chriſtenthums übergegangen. Jahrzehntelang herrſchte hier
ein Frater als Meiſter in der Zahnreißekunſt, jetzt, da er heim-
gegangen, ward er ſofort durch einen anderen Bruder erſetzt,
der das Geſchäft — unentgeltlich — fortſetzt.
Zur Rechten der Apſis S. Bartolomeo's, einer Kirche, 22
in ihrer jetzigen Geſtalt aus dem 17. Jahrhundert ſtammt, in
der Cappella del Sacramento, wurde vor Kurzem eine moderne
Madonnenfigur aus ihrer Niſche entfernt. Dahinter kam ein
verdorbenes, vielfach reſtaurirtes Gemälde zum Vorſchein, das
des kunſthiſtoriſchen Intereſſes werth iſt. Auf einen ſelbſt-
verſtändlich ſpäter entſtandenen, ſchauderhaft blauen Hinter-
grund mit goldenen Sternen thront eine Madonna mit dem
Bambino, zu der zwei Heilige in Anbetung aufſchauen. Das
ovale Antlitz, die mandelförmigen Augen, die feine Naſe der
Muttergottes erinnern an ein berühmtes Bild, das frommer
Glaube dem heiligen Lukas zuſchreibt, und das in Kon-
ſtantinopel bewahrt wird. Die Santi zu Füßen des Throns
ſind wahrſcheinlich Adalbert und Bartholomäus, die beiden
mittelalterlichen Patrone der Kirche. Ikonographiſche und
ſtiliſtiſche Gründe beſtimmen hieſige Forſcher, die Schöpfung
auf das 15. Jahrhundert zurückzuführen, das heißt, auf jene
dunkle Seit, da Cimabue noch nicht aus Florenz die erſten
Zeichen einer neuerſtehenden Kunſt herüberbrachte. Dieſes
Fresko beweiſt abermals den Einfluß, den Byzanz auf Rom
ausgeübt hat, einen Einfluß, den eine gewiſſe Richtung mit
der Behauptung, die klaſſiſche Tradition ſei in der Hauptſtadt
des OGccidents nie ganz verloren gegangen, ableugnen möchte.
Jedoch eine Juvaſion orientaliſcher Formen im Mittelalter iſt
hier ebenſo wenig abzuſtreiten, wie — leider — eine kultur-
feindliche Strömung im Rom des neueſten Jahrhunderts.
Nachdem man den koſtbaren Fund gethan, ward die ganz
moderne, bunt bemalte Madonna wieder ruhig in ihre Niſche
geſtellt, und es iſt im Augenblick unmöglich, das Werk ein-
gehend zu ſtudiren. Ich ſtellte einen der Mönche zur Rede
und machte aus meiner üblen Laune kein Hehl. „Das Volk
verlangt die Figur der heiligen Frau am altgewohnten Platz,“
ſagte er entſchieden, „ſollen wir durch eine Neuordnung Un-
heil auf die ganze Gegend herabbeſchwörend“ Gegen dieſe
Gründe iſt in Rom nichts auszurichten, in dieſer Beziehung
wandelt ſich nichts im Laufe der Seiten.
S. Bartolomeo hat im Inneren antike Säulen, im Kloſter-
garten Reſte einer alten Travertin-Einfaſſung, mitten in der
Kirche die mit ſehr intereſſanten Reliefs geſchmückte Brunnen-
Einfaſſung, etwa aus dem 12. Jahrhundert, Alles ſpricht von
der Gewalt der hiſtoriſchen Windsbraut, die zu Boden reißt,
was einſt angebetet wurde. Jedoch zu Gunſten des All-
gemeinen,
bunte Puppe von der Wand zu rücken, das wagt man heut-
zutage nicht, das verbietet eine F in rückſichtsloſer
Tyrannei.
das Mesdag-Museum im Naag.
(Schluß.
2 0 Lie Reihe der holländiſchen Meiſter beginne ich hier mit
7 0 Biſchop, Neuhuis und Israels. C. Biſchop's einziges
Bild iſt ein „Stillleben“, tief von Ton: eine weite blaue
Schüſſel mit einer Ananas, ein ſtehender und ein liegender Zinn-
becher, Quitten und Birnen auf weiß-gelbem Tuch. Das einzige
Bild des Alb. Neuhuis zeigt einen „Flickſchuſter bei der Wiege
ſeines Kindes“: ein feines ſchummeriges Interieur. Der Altmeiſter
Joſ. Israels iſt mit ſechs Bildern vertreten; das Hauptſtück iſt
„Allein auf der Welt“; an dem CTodtenbett ſeiner geliebten
Frau ſitzt in ſtarrem Schmerz der Alte; die Hände hat er auf
die Unie gelegt; Hände und Unterkörper ſind prächtig heraus-
gebracht. Von wundervollſtem Leben ſind links am Fenſter
auf einem Tiſch der ſchmale bräunlich-graue Krug und das
noch halbgefüllte Glas. Sehr zahlreich iſt namentlich Bos-
boom, und zwar mit maleriſchen Airchen-Interieurs und
anderen Bildern vertreten. ;
Der Reigen der holländiſchen Landſchafter ſei mit den vier
Arbeiten von P. J. C. Gabriel eröffnet. Deſſen beſte Leinwand
„Die weißgekalkte Giebelwand eines Bauernhauſes in einer
Landſchaft“ erſcheint etwas dünn und die Luft wirkt ſüßlich.
Dagegen zeichnen ſich von den zwölf Werken A. Mauve's be-
ſonders die feine „Skizze des Scheveninger Strandes“ und ein
„Alter Bretterzaun neben einem ſtrohgedeckten Schuppen“
durch wundervollen graugrünen Geſammtton aus. Die Reihe
beſchließen ſtolz die Brüder Willem Maris, Mattys Maris und
Jakob Maris. Willem, der Jüngſte, weiſt ſechs Bilder auf:
Er offenbart auf der Leinwand mit zwei jungen Rindern
(ſchwarz und weiß), die im Sonnenſchein an einer Barriere
ſtehen, einen tiefen emailartigen Ton. Der älteſte Bruder,
Mattys Maris, iſt zwar nur mit drei Bildern vertreten. Doch
ſchon das Interieur „Mädchen in der Hüche“ läßt wohl ver-
ſtehen, warum ihn die Sammler ſo überaus lieben. Jakob
Maris endlich zeigt uns u. A. in einer kleinen Dorflandſchaft
vom Jahre 1875 ſeine duftig lockere Handſchrift und die Höhe
ſeines wunderbaren Könnens. Eines der Bilder heißt
„Pecheurs de coquilles“. Bier wirken Bilder, die einfachen
Formen des Meeresſtrandes, der Dünen, der Wolken wuchtig,
und Alles iſt Ton. Faſt ſtofflicher als das Waſſer und die
Düne erſcheint die Luft, ſo kräftig liegt ſie über der See. Sie
verſilbert Alles, ſelbſt das gelbe Weib und die blaue Karre,
Alles wird hineingeſtimmt. Man ſieht förmlich die Wolken
ziehen und glaubt das ewige Lied des Windes zu hören. Das
Bild iſt wahrlich ein mächtiger Wurf. Eine andere Leinwand
nennt ſich „Die Mühle“. Man kann zweifelhaft ſein, welchem
von den beiden Bildern der Vorzug gebührt. Aber über den
Geſammtbau der Mühle geht doch nichts; jedes Stückchen iſt
Ton. In allerfeinſten Tönen erhebt ſich die Mühle in die
ſilberige Luft, oben klarer, unten ſteckt ſie noch in den Häuſern
des Dorfes und in dem Erddunſt. Die blaue Karre vor der
Mühle und ein grauer Flecken an der Mühle geben zwei
delikate Lokaltöne: das Dunkelgrau des Mühlenleibes iſt ſo
lebenswarm, wie Fleiſch und Bein. Dieſe Mühle würde einem
Alphonſe Daudet lange Geſchichten erzählen. Bier iſt Luft
zwiſchen den Dingen. Die Luft ſpielt und die Wolken ziehen,
die grüne Mutter Erde aber giebt der Mühle das Piedeſtal!
Das iſt künſtleriſch e die Höhe des ſchönen Mesdag⸗ Muſeums.
Dr. Pauen (Köln a. Rh.).
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