Nr. 10
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ſetzungslos und naiv mit techniſcher Vollendung, aber
ohne Bravour, die oft ſo ſtörend ſich zwiſchen den
Hünſtler und ſein Werk drängt, das Motiv mit feiner
Empfindung für die farbigen Reize der reichen Natur
gemalt hat, ſchienen das Beſte: wie ſo oft bei größeren
Kollektionen hatte man auch hier das Gefühl, datz
weniger mehr geweſen wäre. Einige friſche Land-
ſchaften von Siegfried Berndt, einem vielverſprechenden
Talent, ſchlagen ähnliche Töne an, wie die von
Palmié. Sonſt ſeien noch Landſchaften von Gertrud
Staats, denen man immer gern begegnet, einige ſehr
fein geſtimmte und ſchön geſchmackvoll durchgeführte
Interieurs von G. Kilz⸗Friedenau und das reizvolle
Bild von Angelo Jank, die Märchen von der Prin-
zeſſin und dem Schweinehirten behandelnd, mit Aus-
zeichnung genannt. In den Kl. Vabinetten endlich iſt
der Nachlaß des leider ſehr jung verſtorbenen Illuſtra-
tors Fedor Czabran zu ſehen geweſen: wer es nicht
ſchon wußte, konnte hier ſehen, daß Czabran auf dieſem
Spezialgebiet einer der beſten Künſtler war, und die
Naturſtudien zeigten einen für einen vielbeſchäftigten
Illuſtrator ſeltenen Ernſt der Arbeit.
Die Kunſthandlung Arnold Gutbier hatte, an-
knüpfend daran, daß ein Bild von Toni Stadler auf
der letzten hieſigen großen Kunſtausſtellung die große
goldene Plakette erhalten hatte und dann für die
Gallerie angekauft worden war, eine Separat-Ausſtellung
von Bildern und Studien Stadler's veranſtaltet. Jeder
Klarſehende mußte ſich vergangenen Sommer ſagen,
daß dieſes Bild, dem die höchſten Ehren widerfahren
waren, vor zehn, ja vielleicht noch vor ſechs Jahren
gar keinen Erfolg gehabt haben würde, wenn es über-
haupt eine Jury paſſirt hätte. So raſch ändern ſich
die Seiten und die Anſchauungen. Jedenfalls iſt es
erfreulich, daß die feine, anſpruchsloſe, gediegene Art
dieſes Künſtlers jetzt nach ihrem Werth anerkannt wird:
die etwas ſpröde, aber immer reizvolle Durchbildung
des Details auf den Bildern iſt in den Studien, die in
ihrem ſchönen, eminent maleriſch empfundenen Geſammt-
ton an die beſten Schotten erinnern, nicht zu finden.
Wir finden aber kleine Stücke, die ſo groß geſehen und
ſo wuchtig hingeſtrichen ſind, daß man ſich den Beizen
einer ſolchen urſprünglichen Hünſtlerſchaft mit inniger
Freude hingiebt. Veben ſolchen ſchlechtweg meiſterlichen
Sachen haben die Werke von Erich Kubierſchky in ihrer
zaghaften Eintönigkeit einen ſchweren Stand. Die
tonig ſehr feinen Bilder eines hier noch unbekannten
Künſtlers Sdouward Ellen machten einen ſehr guten
Eindruck.
Bei Smil Richter⸗Holſt ſahen wir einige Por-
träts von Oskar Swintſcher, für den ſeit ſeinem vor-
jährigen Porträt ſeiner Frau allgemeines Intereſſe vor-
handen iſt. Seigte er ſeine intereſſant ausſehende
Lebensgefährtin damals im ſchwärzlichen Dunkel eines
Simmers, das noch durch den Ausblick auf eine be-
ſchneite Stadt geſteigert wurde, ſo hat er ſie diesmal
in hellfarbiges Gewand gekleidet auf einen weißen
Bohrſtuhl im Garten oder auf eine Veranda vor eine
Epheuwand geſetzt. Etwas eigenartig muthet das
Bildniß des in Schwarz gekleideten Mädchens auf ſehr
dunklem Grunde mit einer Cigarrette in der Hand an:
auch ein Mädchenporträt in ganzer Figur vor einem
weißen Kachelofen iſt eine intereſſante Leiſtung, während
der auf glattem Marmor liegende nackte „Jüngling mit
Lilie“ weder zeichneriſch und koloriſtiſch, noch inhaltlich
befriedigt. Das kleinere Kabinet füllten Bilder und
Studien eines jungen Dresdners, Namens Walter
Wäntig, die ſchon eine gute koloriſtiſche Reife be-
kundeten und friſches Sugreifen beim Naturſtudium,
aber noch ſo wenig eigenes künſtleriſches Weſen boten,
eine ſo große Abhängigkeit vom Erlernten und von dem
beim Meiſter Geſehenen, daß man eine Kollektiv⸗Aus-
ſtellung für verfrüht erklären muß.
Sbenſo iſt es wohl verfrüht, wenn Carli Sohn-
Bethel mit ſeinen beiden älteren Brüdern Alfred und Otto
zuſammen, ſchon jetzt vor die Oeffentlichkeit tritt. Er
bringt nur Akademieſtudien verſchiedenen Werthes,
während ſeine beiden Brüder doch ſelbſtſtändige Leiſtungen
bieten: der gewandtere ſcheint Alfred zu ſein, der tiefere,
aber äußerlich unbeholfenere iſt Otto Sohn Rethel, von
dem übrigens nur wenig Arbeiten da ſind, die be-
weiſen, daß ſeine Stärke auf dem Gebiete der Seich-
nung liegt. Alfred Sohn-Bethel verbindet mit ſehr
feinfühliger Seichnung oft auch ein feines Kolorit, aber
er ſchwankt noch deutlich erkennbar zwiſchen ver-
ſchiedenen Einflüſſen hin und her: das eine Mal iſt er
Pariſer Hellmaler, das andere Mal ſcheint er Schuſter-
Woldan nachzuſtreben, dann wieder gemahnt er an
Schwind. Sehr ſchön ſind ſeine Seichnungen, deren
Vorwürfe er meiſt ſeiner Häuslichkeit entlehnt.
Julius Günther.
Münchner Kunst 1870 1880.
e und feinſinnig ausgewählte retroſpektive Aus-
D
— ſſtellungen haben ihren unbeſtreitbaren Werth. Sie
I . geben uns Späteren hocherwünſchten Aufſchluß über
das Woher der Fahrt, ſie eröffnen weite Perſpektiven.
In Staatsgallerien und Privatſammlungen, die allgemein zu-
gänglich ſind, iſt häufig nicht gerade das beſte und charakte-
riſtiſchſte Material vereinigt, bei Staatseinkäufen beſonders
ſprechen ja oft Momente mit, die mehr auf menſchlicher als
auf künſtleriſcher Baſis beruhen. Findet ſich nun aber ein
kundiger Liebhaber oder ein feinſinniger Hunſthändler, der uns
eine charakteriſtiſche Reihe von Werken einer intereſſanten
Hunſtperiode vorführt, die im Privatbeſitz oder Handel zer-
ſtreut und in allen Weltgegenden verzettelt ſind, ſo müſſen wir
ihm dafür beſonderen Dank wiſſen. Die Hofkunſthandlung
E. A. Fleiſchmann in München veranſtaltet augenblicklich
eine retroſpektive Ausſtellung von Werken Münchner Künftler
aus den Jahren 1870-1880 (man darf das Datum aber nicht
auf den Tag nehmen), gewiß ein ſchönes und verdienſtvolles
Unternehmen. Dieſes Jahrzehnt bedeutet viel für die Münchner
Malerei, denn es zeigte noch einmal voll und kräftig kon-
zentrirt die verſchiedenen Richtungen der Münchner Malerei,
wenige Jahre ſpäter treten ſchon die Kennzeichen jener inneren
Spaltungen zu Tage, die in ihrem Verlauf zur Trennung der
Hünſtlerſchaft und zur Gründung der Sezeſſion führten. Die
Ausſtellung macht auf Vollſtändigkeit keinen Anſpruch. In
meiſt aus Skizzen und Studien beſtehende Kollektion vor allem
bezwecke, ſpeziell der jüngeren Generation eine Darſtellung der
für ſich ſpezifiſchen Maltechnik jener Seit zu geben.
Nun muß ich aber doch feſtſtellen, daß noch ein ganz
anderes Intereſſe als das techniſche wach wird beim Durch-
wandeln der Säle, die etwa hundertfünfzig Hunſtwerke be-
herbergen. Dieſe Kollektion hat geradezu einen Kulturwerth.
Die Bilder, die unſere heutigen Künſtler malen — ach, wie
oft ſind ſie voll Unraſt, voll Nervoſität; mit welchem allzu
willfährigen Vergnügen ahmt man franzöſiſche Vorbilder nach,
welchen gefährlichen Einfluß hat beſonders die neuraſtheniſche
Richtung eines Toulouſe-Lautrec auf unſere Kunſt gewonnen!
Die Münchner Maler der ſiebziger Jahre waren da doch
andere Kerle. Keine haſtigen, überſpannten, abgerackerten und
gehetzten Großſtadtmenſchen, keine Franzoſenimitatoren, ſondern
beſchauliche, beruhigte, gefeſtigte Perſönlichkeiten, voll deutſcher
Hraft und Treuherzigkeit, dabei keineswegs in banauſtſcher
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ſetzungslos und naiv mit techniſcher Vollendung, aber
ohne Bravour, die oft ſo ſtörend ſich zwiſchen den
Hünſtler und ſein Werk drängt, das Motiv mit feiner
Empfindung für die farbigen Reize der reichen Natur
gemalt hat, ſchienen das Beſte: wie ſo oft bei größeren
Kollektionen hatte man auch hier das Gefühl, datz
weniger mehr geweſen wäre. Einige friſche Land-
ſchaften von Siegfried Berndt, einem vielverſprechenden
Talent, ſchlagen ähnliche Töne an, wie die von
Palmié. Sonſt ſeien noch Landſchaften von Gertrud
Staats, denen man immer gern begegnet, einige ſehr
fein geſtimmte und ſchön geſchmackvoll durchgeführte
Interieurs von G. Kilz⸗Friedenau und das reizvolle
Bild von Angelo Jank, die Märchen von der Prin-
zeſſin und dem Schweinehirten behandelnd, mit Aus-
zeichnung genannt. In den Kl. Vabinetten endlich iſt
der Nachlaß des leider ſehr jung verſtorbenen Illuſtra-
tors Fedor Czabran zu ſehen geweſen: wer es nicht
ſchon wußte, konnte hier ſehen, daß Czabran auf dieſem
Spezialgebiet einer der beſten Künſtler war, und die
Naturſtudien zeigten einen für einen vielbeſchäftigten
Illuſtrator ſeltenen Ernſt der Arbeit.
Die Kunſthandlung Arnold Gutbier hatte, an-
knüpfend daran, daß ein Bild von Toni Stadler auf
der letzten hieſigen großen Kunſtausſtellung die große
goldene Plakette erhalten hatte und dann für die
Gallerie angekauft worden war, eine Separat-Ausſtellung
von Bildern und Studien Stadler's veranſtaltet. Jeder
Klarſehende mußte ſich vergangenen Sommer ſagen,
daß dieſes Bild, dem die höchſten Ehren widerfahren
waren, vor zehn, ja vielleicht noch vor ſechs Jahren
gar keinen Erfolg gehabt haben würde, wenn es über-
haupt eine Jury paſſirt hätte. So raſch ändern ſich
die Seiten und die Anſchauungen. Jedenfalls iſt es
erfreulich, daß die feine, anſpruchsloſe, gediegene Art
dieſes Künſtlers jetzt nach ihrem Werth anerkannt wird:
die etwas ſpröde, aber immer reizvolle Durchbildung
des Details auf den Bildern iſt in den Studien, die in
ihrem ſchönen, eminent maleriſch empfundenen Geſammt-
ton an die beſten Schotten erinnern, nicht zu finden.
Wir finden aber kleine Stücke, die ſo groß geſehen und
ſo wuchtig hingeſtrichen ſind, daß man ſich den Beizen
einer ſolchen urſprünglichen Hünſtlerſchaft mit inniger
Freude hingiebt. Veben ſolchen ſchlechtweg meiſterlichen
Sachen haben die Werke von Erich Kubierſchky in ihrer
zaghaften Eintönigkeit einen ſchweren Stand. Die
tonig ſehr feinen Bilder eines hier noch unbekannten
Künſtlers Sdouward Ellen machten einen ſehr guten
Eindruck.
Bei Smil Richter⸗Holſt ſahen wir einige Por-
träts von Oskar Swintſcher, für den ſeit ſeinem vor-
jährigen Porträt ſeiner Frau allgemeines Intereſſe vor-
handen iſt. Seigte er ſeine intereſſant ausſehende
Lebensgefährtin damals im ſchwärzlichen Dunkel eines
Simmers, das noch durch den Ausblick auf eine be-
ſchneite Stadt geſteigert wurde, ſo hat er ſie diesmal
in hellfarbiges Gewand gekleidet auf einen weißen
Bohrſtuhl im Garten oder auf eine Veranda vor eine
Epheuwand geſetzt. Etwas eigenartig muthet das
Bildniß des in Schwarz gekleideten Mädchens auf ſehr
dunklem Grunde mit einer Cigarrette in der Hand an:
auch ein Mädchenporträt in ganzer Figur vor einem
weißen Kachelofen iſt eine intereſſante Leiſtung, während
der auf glattem Marmor liegende nackte „Jüngling mit
Lilie“ weder zeichneriſch und koloriſtiſch, noch inhaltlich
befriedigt. Das kleinere Kabinet füllten Bilder und
Studien eines jungen Dresdners, Namens Walter
Wäntig, die ſchon eine gute koloriſtiſche Reife be-
kundeten und friſches Sugreifen beim Naturſtudium,
aber noch ſo wenig eigenes künſtleriſches Weſen boten,
eine ſo große Abhängigkeit vom Erlernten und von dem
beim Meiſter Geſehenen, daß man eine Kollektiv⸗Aus-
ſtellung für verfrüht erklären muß.
Sbenſo iſt es wohl verfrüht, wenn Carli Sohn-
Bethel mit ſeinen beiden älteren Brüdern Alfred und Otto
zuſammen, ſchon jetzt vor die Oeffentlichkeit tritt. Er
bringt nur Akademieſtudien verſchiedenen Werthes,
während ſeine beiden Brüder doch ſelbſtſtändige Leiſtungen
bieten: der gewandtere ſcheint Alfred zu ſein, der tiefere,
aber äußerlich unbeholfenere iſt Otto Sohn Rethel, von
dem übrigens nur wenig Arbeiten da ſind, die be-
weiſen, daß ſeine Stärke auf dem Gebiete der Seich-
nung liegt. Alfred Sohn-Bethel verbindet mit ſehr
feinfühliger Seichnung oft auch ein feines Kolorit, aber
er ſchwankt noch deutlich erkennbar zwiſchen ver-
ſchiedenen Einflüſſen hin und her: das eine Mal iſt er
Pariſer Hellmaler, das andere Mal ſcheint er Schuſter-
Woldan nachzuſtreben, dann wieder gemahnt er an
Schwind. Sehr ſchön ſind ſeine Seichnungen, deren
Vorwürfe er meiſt ſeiner Häuslichkeit entlehnt.
Julius Günther.
Münchner Kunst 1870 1880.
e und feinſinnig ausgewählte retroſpektive Aus-
D
— ſſtellungen haben ihren unbeſtreitbaren Werth. Sie
I . geben uns Späteren hocherwünſchten Aufſchluß über
das Woher der Fahrt, ſie eröffnen weite Perſpektiven.
In Staatsgallerien und Privatſammlungen, die allgemein zu-
gänglich ſind, iſt häufig nicht gerade das beſte und charakte-
riſtiſchſte Material vereinigt, bei Staatseinkäufen beſonders
ſprechen ja oft Momente mit, die mehr auf menſchlicher als
auf künſtleriſcher Baſis beruhen. Findet ſich nun aber ein
kundiger Liebhaber oder ein feinſinniger Hunſthändler, der uns
eine charakteriſtiſche Reihe von Werken einer intereſſanten
Hunſtperiode vorführt, die im Privatbeſitz oder Handel zer-
ſtreut und in allen Weltgegenden verzettelt ſind, ſo müſſen wir
ihm dafür beſonderen Dank wiſſen. Die Hofkunſthandlung
E. A. Fleiſchmann in München veranſtaltet augenblicklich
eine retroſpektive Ausſtellung von Werken Münchner Künftler
aus den Jahren 1870-1880 (man darf das Datum aber nicht
auf den Tag nehmen), gewiß ein ſchönes und verdienſtvolles
Unternehmen. Dieſes Jahrzehnt bedeutet viel für die Münchner
Malerei, denn es zeigte noch einmal voll und kräftig kon-
zentrirt die verſchiedenen Richtungen der Münchner Malerei,
wenige Jahre ſpäter treten ſchon die Kennzeichen jener inneren
Spaltungen zu Tage, die in ihrem Verlauf zur Trennung der
Hünſtlerſchaft und zur Gründung der Sezeſſion führten. Die
Ausſtellung macht auf Vollſtändigkeit keinen Anſpruch. In
meiſt aus Skizzen und Studien beſtehende Kollektion vor allem
bezwecke, ſpeziell der jüngeren Generation eine Darſtellung der
für ſich ſpezifiſchen Maltechnik jener Seit zu geben.
Nun muß ich aber doch feſtſtellen, daß noch ein ganz
anderes Intereſſe als das techniſche wach wird beim Durch-
wandeln der Säle, die etwa hundertfünfzig Hunſtwerke be-
herbergen. Dieſe Kollektion hat geradezu einen Kulturwerth.
Die Bilder, die unſere heutigen Künſtler malen — ach, wie
oft ſind ſie voll Unraſt, voll Nervoſität; mit welchem allzu
willfährigen Vergnügen ahmt man franzöſiſche Vorbilder nach,
welchen gefährlichen Einfluß hat beſonders die neuraſtheniſche
Richtung eines Toulouſe-Lautrec auf unſere Kunſt gewonnen!
Die Münchner Maler der ſiebziger Jahre waren da doch
andere Kerle. Keine haſtigen, überſpannten, abgerackerten und
gehetzten Großſtadtmenſchen, keine Franzoſenimitatoren, ſondern
beſchauliche, beruhigte, gefeſtigte Perſönlichkeiten, voll deutſcher
Hraft und Treuherzigkeit, dabei keineswegs in banauſtſcher