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geben müſſen. Ehe dieſes Mißverhältniß, das viel zur
„Verwirrung der Kunſtbegriffe“ beiträgt, nicht be-
friedigend gelöſt iſt, dürfte ſich kaum ein neues Auf-
leben der Bildnißpflege einſtellen.
Nach dieſen allgemeinen Ausführungen, die den
Kern der ganzen Sache berühren, können wir uns über
die einzelnen Werke der Wiesbadener Kunſtſchau kurz
faſſen. Bezeichnend iſt, daß die Revue keinen Lenbach
enthält: ein erſtklaſſiges Werk des Meiſters konnte nicht
beſchafft werden, und ein minderwerthiges wollte man
nicht einfügen. Aber ein Hauch vom Geiſte Lenbach'ſcher
Kunſt iſt dennoch zu ſpüren. Der Ungar Cäszlô malt
nicht nur ganz in der Art des „Seelenbeſchwörers“ —
er ſetzt auch Lenbach'ſche Preiſe an: Papſt Leo XIII.
= 20000 Mark, Rampolla = 14 000 Mark. Und da-
neben ſehen wir Werke von däniſchen, holländiſchen
und deutſchen Malern. Robert Sterl-Dresden, Schneider-
Didam-Düſſeldorf, Theo Molkenboer-Amſterdam u. A.,
die ſich beſcheiden mit einer zwölffach kleineren Summe
begnügen. Dabei ſind Läszlö's künſtleriſche Qualitäten
nicht über jeden Sweifel erhaben, ſo ſehr er auch durch
virtuoſe Mache zu blenden verſteht. Rein und groß
ſteht neben dieſer Modekunſt die Malerei eines Rroyer,
eines Knaus — dieſer als der Vertreter des älteren
deutſchen Porträts, jener als einer der brillanteſten
Techniker, den die zeitgenöſſiſche Bildnißmalerei kennt.
Auch ſonſt ſteht die nordiſche und die deutſche Porträt-
kunſt weit über der romaniſchen Schule. Die Italiener
fehlen ganz, ebenſo die Spanier mit Ausnahme
Suloaga's, und ihre leeren Fanfaronaden vermißt
man gern, zudem ſie in den Pariſern Delvaille,
Gandara, Lucien Simon, Blanche beſſere Vertreter ihrer
Art beſitzen. Im ſchärfſten Gegenſatz zu dieſer auf
äußerliche Eleganz und mondainen Geſchmack abzielen-
den Kunft ſtehen die Deutſchen: Thoma mit dem ale-
maniſch-primitiven Bildniß eines jungen Mädchens;
Albert Welti mit ein paar ähnlichen Arbeiten, Karl
Bantzer mit dem Porträt der Katharina Dörrbecker —
ein Stück Bauernkunſt von exquiſiter Art. Rob. Weiſe,
Sumbuſch, Nardorff, Jank, Kalkreuth, Erler, Eltze,
Breyer u. A. wären ebenfalls hervorzuheben. Von den
Engländern ſehen wir Laverp's weichen, verträumten
Farbenton, von den Spaniern den ſchon genannten
Suloaga mit dem Porträt der Schauſpielerin Conſuelo,
zu welchem Goya und Velasquez ihren Segen gegeben
haben. Auch an einzelnen unerfreulichen Nummern
fehlt es nicht, und ſie ſtammen von Namen, für die
eine gewiſſe Art von Kritik das Sprungbrett zu ihrer
Berühmtheit gab. —
Ein zweites beachtenswerthes Ausſtellungsunter-
nehmen ſtellt die Wanderausſtellung dar, die vom
Verband der Kunſtfre unde der Länder am Rhein
(mit dem Sitz in Darmſtadt) ins Leben gerufen wurde.
Der kunſtſinnige Großherzog Ernſt Ludwig, der das
Protektorat führt, hat etwa 80 Rünſtler der in Betracht
kommenden ſüdweſtdeutſchen Kunſtzentren perſönlich ein-
geladen, und in der That begegnen wir einer guten
Kunſt, die ſich in einzelnen Leiſtungen zu einer erſt-
klaſſigen erhebt. Die Düſſeldorfer zumal zeigen, daß
endgültig die Seiten vorüber ſind, wo man ſich unter
Düſſeldorfer Kunſt nur Genrebilder mit allerlei gut
gemaltem, dankbar arrangirtem Koſtüm⸗Schnickſchnack
vorzuſtellen pflegte. Die Werke eines Lieſegang, Dierks
u. A. geben landſchaftliche Proben, der junge Jodokus
Schmitz ſandte das größte Bild der ganzen Serie, ein
Triptychon, das Sinnenfreude und harte Arbeit in
etwas harter und gewaltthätiger Tendenz gegeneinander
ſtellt. Aber die Malerei iſt gut, und gut ſind auch die
derben Kirmeſſen Gerhardt Janſſen's gemalt. Wilh.
Schmurr hat den lebensgroßen Frauenakt ausgeſtellt,
der „die ſchöne Linie“ darſtellt , .. Sahlreich ſind die
Karlsruher vertreten, beſonders Ferdinand Keller, der
dekorativ-prunkvolle Koloriſt, gegen den Thoma ganz
ſeltſam anmuthet, und Schönleber. Pötzelberger's „Blick
über den Bodenſee“, der etwas an die Kamera ge-
mahnt, iſt dennoch ein feines Bildchen geworden.
Viktor Weishaupt's großes, treffliches Thierſtück
lenkt zur Gruppe der Stuttgarter über; hier ſtehen
Kalckreuth, Rob. Haug und Carlos Grethe an der
Spitze; aber auch eine Reihe Jüngerer kann ſich neben
dieſen Führern ſehen laſſen. Von Frankfurter Malern
iſt eine kleinere Gruppe vertreten, die in den einzelnen
Richtungen ſehr intereſſant und vielſeitig wirkt, aber
man möchte eine gewaltige, impulſive Hand herbei-
wünſchen, die dieſe ſchönen Kräfte zu einem einheit-
lichen Streben zuſammenführt. Da ſind Ferd. Brütt's
„Leſezimmer“ und Steinhauſen's Abendlandſchaft“ —
zwei Kunſtrichtungen, die getrennt marſchiren, aber
vereint ſchlagen. Dann die guten Porträts von Schraeple,
von Oppenheim, Harnier u. A. Eine von Liebermann's
Geiſt beſchattete Freilichtſtudie Nußbaum's; Landſchaften
von Rob. Hoffmann, Paul Klimſch, Ninsley u. A. m.
Daneben nimmt die Gruppe Darmſtädter nur einen
kleinen Raum ein, aber ein gewiſſes einheitliches Streben
macht ſich hier wohlthuend bemerkbar. Wenn wir
hinzufügen, daß ſich an die Gruppe der Maler noch
eine Serie Graphik und eine kleine intereſſante Ab-
theilung Skulpturen anſchließt, ſo darf man die
Wanderausſtellung nicht nur als reichhaltig, ſondern
auch als vielſeitig bezeichnen. Sur Förderung des
rheiniſchen Runſtlebens wird das Unternehmen von
Nutzen ſein. ;
M. Bodmer.
Dresdner Kunstbericht.
F nſere Kunſthändler pflegen um Weihnachten eine
ſeltſame Metamorphoſe durchzumachen: von
Januar bis November üben ſie für ihre Kunft-
ſalons ſtrenge Juryv aus. Um Weihnachten erweitert
ſich indeß ihr Kunſt⸗ und Geſchäftsherz um ein Er-
kleckliches, ihre Ausſtellungen bringen „für jeden Ge-
ſchmack etwas“, die Vielſeitigkeit wird beweglich ge-
rühmt und in den Anzeigen findet man Künſtler-
namen, die dieſer „Ehre“ während der übrigen Seit
des Jahres nicht für würdig gehalten werden.
So brachte auch der Kunſtverein im neuen Jahr
zwar recht intereſſante Ausſtellungen, doch ſchien mir
die Aufnahme⸗Jury nicht überall mit gleichem Maße
gemeſſen zu haben. Sunächſt iſt eine ſehr gute
Kollektion holländiſcher Bilder zu erwähnen; ſie brachte
keine Senſation, aber auch nichts Minderwerthiges, und
man hatte das Gefühl, ſich hier in gediegener Geſell-
ſchaft zu befinden.
Eine Reihe von Werken des Dresdner C. v. Ledebur
feſſelte in einigen Stücken, vor Allem, wo er ſchlicht und
mit ernſtem Eifer der Natur nachgegangen war: ſo
ſind einige Porträts, das des jungen Paſtors v. Bodel-
ſchwingh z. B., ſehr gut, ebenſo einige Landſchaften, die
Abenddämmerung mitden dem Trauerhauſe zuf chreitenden
Figuren und eine Mondnacht im Dorfe. Weiter hat
Charles Palmié-München nahe an 100 Bilder und
Studien ausgeſtellt: ein älteres Herbſt⸗Waldbild und
eine Reihe von Naturſtudien, in denen er ganz voraus-
Nr. 10
geben müſſen. Ehe dieſes Mißverhältniß, das viel zur
„Verwirrung der Kunſtbegriffe“ beiträgt, nicht be-
friedigend gelöſt iſt, dürfte ſich kaum ein neues Auf-
leben der Bildnißpflege einſtellen.
Nach dieſen allgemeinen Ausführungen, die den
Kern der ganzen Sache berühren, können wir uns über
die einzelnen Werke der Wiesbadener Kunſtſchau kurz
faſſen. Bezeichnend iſt, daß die Revue keinen Lenbach
enthält: ein erſtklaſſiges Werk des Meiſters konnte nicht
beſchafft werden, und ein minderwerthiges wollte man
nicht einfügen. Aber ein Hauch vom Geiſte Lenbach'ſcher
Kunſt iſt dennoch zu ſpüren. Der Ungar Cäszlô malt
nicht nur ganz in der Art des „Seelenbeſchwörers“ —
er ſetzt auch Lenbach'ſche Preiſe an: Papſt Leo XIII.
= 20000 Mark, Rampolla = 14 000 Mark. Und da-
neben ſehen wir Werke von däniſchen, holländiſchen
und deutſchen Malern. Robert Sterl-Dresden, Schneider-
Didam-Düſſeldorf, Theo Molkenboer-Amſterdam u. A.,
die ſich beſcheiden mit einer zwölffach kleineren Summe
begnügen. Dabei ſind Läszlö's künſtleriſche Qualitäten
nicht über jeden Sweifel erhaben, ſo ſehr er auch durch
virtuoſe Mache zu blenden verſteht. Rein und groß
ſteht neben dieſer Modekunſt die Malerei eines Rroyer,
eines Knaus — dieſer als der Vertreter des älteren
deutſchen Porträts, jener als einer der brillanteſten
Techniker, den die zeitgenöſſiſche Bildnißmalerei kennt.
Auch ſonſt ſteht die nordiſche und die deutſche Porträt-
kunſt weit über der romaniſchen Schule. Die Italiener
fehlen ganz, ebenſo die Spanier mit Ausnahme
Suloaga's, und ihre leeren Fanfaronaden vermißt
man gern, zudem ſie in den Pariſern Delvaille,
Gandara, Lucien Simon, Blanche beſſere Vertreter ihrer
Art beſitzen. Im ſchärfſten Gegenſatz zu dieſer auf
äußerliche Eleganz und mondainen Geſchmack abzielen-
den Kunft ſtehen die Deutſchen: Thoma mit dem ale-
maniſch-primitiven Bildniß eines jungen Mädchens;
Albert Welti mit ein paar ähnlichen Arbeiten, Karl
Bantzer mit dem Porträt der Katharina Dörrbecker —
ein Stück Bauernkunſt von exquiſiter Art. Rob. Weiſe,
Sumbuſch, Nardorff, Jank, Kalkreuth, Erler, Eltze,
Breyer u. A. wären ebenfalls hervorzuheben. Von den
Engländern ſehen wir Laverp's weichen, verträumten
Farbenton, von den Spaniern den ſchon genannten
Suloaga mit dem Porträt der Schauſpielerin Conſuelo,
zu welchem Goya und Velasquez ihren Segen gegeben
haben. Auch an einzelnen unerfreulichen Nummern
fehlt es nicht, und ſie ſtammen von Namen, für die
eine gewiſſe Art von Kritik das Sprungbrett zu ihrer
Berühmtheit gab. —
Ein zweites beachtenswerthes Ausſtellungsunter-
nehmen ſtellt die Wanderausſtellung dar, die vom
Verband der Kunſtfre unde der Länder am Rhein
(mit dem Sitz in Darmſtadt) ins Leben gerufen wurde.
Der kunſtſinnige Großherzog Ernſt Ludwig, der das
Protektorat führt, hat etwa 80 Rünſtler der in Betracht
kommenden ſüdweſtdeutſchen Kunſtzentren perſönlich ein-
geladen, und in der That begegnen wir einer guten
Kunſt, die ſich in einzelnen Leiſtungen zu einer erſt-
klaſſigen erhebt. Die Düſſeldorfer zumal zeigen, daß
endgültig die Seiten vorüber ſind, wo man ſich unter
Düſſeldorfer Kunſt nur Genrebilder mit allerlei gut
gemaltem, dankbar arrangirtem Koſtüm⸗Schnickſchnack
vorzuſtellen pflegte. Die Werke eines Lieſegang, Dierks
u. A. geben landſchaftliche Proben, der junge Jodokus
Schmitz ſandte das größte Bild der ganzen Serie, ein
Triptychon, das Sinnenfreude und harte Arbeit in
etwas harter und gewaltthätiger Tendenz gegeneinander
ſtellt. Aber die Malerei iſt gut, und gut ſind auch die
derben Kirmeſſen Gerhardt Janſſen's gemalt. Wilh.
Schmurr hat den lebensgroßen Frauenakt ausgeſtellt,
der „die ſchöne Linie“ darſtellt , .. Sahlreich ſind die
Karlsruher vertreten, beſonders Ferdinand Keller, der
dekorativ-prunkvolle Koloriſt, gegen den Thoma ganz
ſeltſam anmuthet, und Schönleber. Pötzelberger's „Blick
über den Bodenſee“, der etwas an die Kamera ge-
mahnt, iſt dennoch ein feines Bildchen geworden.
Viktor Weishaupt's großes, treffliches Thierſtück
lenkt zur Gruppe der Stuttgarter über; hier ſtehen
Kalckreuth, Rob. Haug und Carlos Grethe an der
Spitze; aber auch eine Reihe Jüngerer kann ſich neben
dieſen Führern ſehen laſſen. Von Frankfurter Malern
iſt eine kleinere Gruppe vertreten, die in den einzelnen
Richtungen ſehr intereſſant und vielſeitig wirkt, aber
man möchte eine gewaltige, impulſive Hand herbei-
wünſchen, die dieſe ſchönen Kräfte zu einem einheit-
lichen Streben zuſammenführt. Da ſind Ferd. Brütt's
„Leſezimmer“ und Steinhauſen's Abendlandſchaft“ —
zwei Kunſtrichtungen, die getrennt marſchiren, aber
vereint ſchlagen. Dann die guten Porträts von Schraeple,
von Oppenheim, Harnier u. A. Eine von Liebermann's
Geiſt beſchattete Freilichtſtudie Nußbaum's; Landſchaften
von Rob. Hoffmann, Paul Klimſch, Ninsley u. A. m.
Daneben nimmt die Gruppe Darmſtädter nur einen
kleinen Raum ein, aber ein gewiſſes einheitliches Streben
macht ſich hier wohlthuend bemerkbar. Wenn wir
hinzufügen, daß ſich an die Gruppe der Maler noch
eine Serie Graphik und eine kleine intereſſante Ab-
theilung Skulpturen anſchließt, ſo darf man die
Wanderausſtellung nicht nur als reichhaltig, ſondern
auch als vielſeitig bezeichnen. Sur Förderung des
rheiniſchen Runſtlebens wird das Unternehmen von
Nutzen ſein. ;
M. Bodmer.
Dresdner Kunstbericht.
F nſere Kunſthändler pflegen um Weihnachten eine
ſeltſame Metamorphoſe durchzumachen: von
Januar bis November üben ſie für ihre Kunft-
ſalons ſtrenge Juryv aus. Um Weihnachten erweitert
ſich indeß ihr Kunſt⸗ und Geſchäftsherz um ein Er-
kleckliches, ihre Ausſtellungen bringen „für jeden Ge-
ſchmack etwas“, die Vielſeitigkeit wird beweglich ge-
rühmt und in den Anzeigen findet man Künſtler-
namen, die dieſer „Ehre“ während der übrigen Seit
des Jahres nicht für würdig gehalten werden.
So brachte auch der Kunſtverein im neuen Jahr
zwar recht intereſſante Ausſtellungen, doch ſchien mir
die Aufnahme⸗Jury nicht überall mit gleichem Maße
gemeſſen zu haben. Sunächſt iſt eine ſehr gute
Kollektion holländiſcher Bilder zu erwähnen; ſie brachte
keine Senſation, aber auch nichts Minderwerthiges, und
man hatte das Gefühl, ſich hier in gediegener Geſell-
ſchaft zu befinden.
Eine Reihe von Werken des Dresdner C. v. Ledebur
feſſelte in einigen Stücken, vor Allem, wo er ſchlicht und
mit ernſtem Eifer der Natur nachgegangen war: ſo
ſind einige Porträts, das des jungen Paſtors v. Bodel-
ſchwingh z. B., ſehr gut, ebenſo einige Landſchaften, die
Abenddämmerung mitden dem Trauerhauſe zuf chreitenden
Figuren und eine Mondnacht im Dorfe. Weiter hat
Charles Palmié-München nahe an 100 Bilder und
Studien ausgeſtellt: ein älteres Herbſt⸗Waldbild und
eine Reihe von Naturſtudien, in denen er ganz voraus-