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Sahl mannigfachen Gruppen und Einzelfiguren. Hier
beſtimmt das anmuthige, künſtleriſche Motiv die Wahl
des einzelnen Bildes. So kommt es, daß Wieder-
holungen ein und desſelben Subjekts nicht ſelten ſind.
Wir begegnen als erſten Schöpfungen den Wand-
fresken aus dem Iſistempel und der Villa des
Diomedes. Hier erſchöpft ſich der Maler in einer ſchier
erdrückenden Fülle von ſtets wechſelnden Motiven:
Ranken, Masken, Feſtons, Vaſen, Früchten und Thieren.
Es ſind heitere und liebenswürdige Allegros zu den
nun folgenden Hauptſchöpfungen, die uns mitten in den
Kreis klaſſiſcher Götterwelt verſetzen. Ich nenne aus
der Menge der zahlreichen Bilder drei als die beſten
und meines Erachtens in der Auffaſſung vollendetſten:
die Nerelde, dem Meertiger die Schale reichend; in
der unteren Reihe wird Hylas von Nymphen unter-
getaucht; über dem Felſen ſpäht Herkules, während
Galathea auf einem Delphin naht. Das zweite Haupt-
bild zeigt den Familiengenius mit Weihſchale und
Füllhorn; gegenüber der Flötenſpieler, links der Gpfer-
diener, rechts der Prieſtergehülfe. Unterhalb dieſer
Darſtellungen ſteht der Altar, gegen den ſich zwei
Schlangen ringeln. Es iſt intereſſant, daß ſich Altäre
von der Form, wie ſie hier al kresco abgebildet ſind,
noch jetzt in Pompeji häufig finden und ehedem den
Speiſeopfern der Heerden dienten. Als drittes Haupt-
werk kommt in Betracht die Darſtellung der Medea mit
dem Schwert — ein Werk voll tiefſter, ergreifendſter Tragik.
Im vollen, rauſchenden Gegenſatz ſchlägt die im
Nebenſaal plazirte Darſtellung des trunkenen Herkules
heitere und lebensfreudige Akkorde an. Das Bild, auf
eine Stucktafel zur Einſetzung in die Wand gemalt,
zeigt Herkules, von Priap geſtützt, während Eros dem
Helden mit einer Doppelflöte ins Ohr bläſt und eine
jugendliche Tänzerin ein Tympan ſchlägt. Sur Seite
aber ſteht die ſtolze Omphale, die Beſiegerin des
ſtarken Mannes, der ihretwegen zum Spinnrocken
greift, während ſie ſich mit Löwenfell und Keule
ſchmückt. Das Ganze iſt eine der reizendſten und
ſinnigſten Darſtellungen in der Reihe dieſer, der antiken
Fabelwelt gewidmeten Fresken. In eine gegenſätzliche
Welt voll ernſter, tiefer Gefühle führt uns die maje-
ſtätiſche Darſtellung: Jupiter, dem Juno von Iris
hochzeitlich entgegengeführt wird. Unterhalb des Felſens
ſitzen drei Jünglinge mit Blumen in den Bänden. Die
Nandlung iſt voll großartigen Ernſtes, ein rauſchender
Hymnus auf das Wiedererwachen der Natur. In der
Ausführung der Details laſſen manche dieſer Sujets zu
wünſchen übrig; reſtlos vollendet in dieſem Sinne iſt
vielleicht nur das Mittelbild im zweiten Rezeß: Nephaeſtos
zeigt Thetis den Schild des Achill.
Betrachten wir nun die rein techniſche Behandlung
dieſer und der übrigen, weit über Hundert zählenden
Malereien. Die Bekleidung der Wände beſtand aus
drei Lagen von Sandmörtel und drei Lagen Marmor-
ſtuck; war der letzte Marmorſtuck gelegt, dann begann
die Aufmalung der Felder, auf deren Grundton die
Einzelfiguren und Ornamente aufgeſetzt wurden. Durch
Ueberziehen mit einer dünnen Lage friſchen Marmor-
ſtucks machte man die bereits anziehenden Wandtheile
zum Binden der Waſſerfarben wieder geeignet. Ver-
gleicht man dieſe mühſame und zeitraubende Art der
techniſchen Behandlung mit der leichtflüſſigen Sicherheit
und Kühnheit der Ausführung, ſo muß man den
Dekorationskünſtlern der beiden antiken Städte ein
immenſes Geſchick in ihrem Fache zuerkennen und auch
die Wahl der Farben, die ſich nur ſelten zerſetzten oder
gegenſeitig um ihre Leuchtkraft brachten, läßt auf ein
gründliches Verſtändniß in der Farbenkunde ſchließen.
Eine eigene Abtheilung bilden die Monochrome,
die aus dem Trümmerfeld von Herkulanum ausgegraben
wurden. Herkulanum hatte unter den Verſchüttungen
des eruptirenden Vulkans weit mehr zu leiden als die
Schweſterſtadt; dieſe wurde unter einem Aſchenregen
verſchüttet, während Herkulanum eine tiefe Schicht von
Steinen und Schlacken bedeckte. Auf dieſe Thatſache
gründet ſich die Nypotheſe, daß die Monochromos des
Muſeums nur den Grund von enkauſtiſchen Malereien
darſtellen, welche von der Hitze der Lava zerſtört
wurden. Die Bilder zeigen heute nur mehr röthliche
Umriſſe, die auf Marmorplatten aufgetragen ſind. Der
Name des Künſtlers „Alexander von Athen“ iſt in der
oberen Scke eines der Bilder deutlich zu leſen, und
zweifellos ſtammen auch die übrigen Tafeln von ſeiner
Hand. Einheitlicher Stil und Farbenbehandlung liefern
den Beweis.
Der Saal der Moſaiken enthält meiſt ausſchließ-
lich Werke aus Pompeji und Herkulanum; auch Capua
und Bajage haben ihre muſiviſchen Arbeiten hier ver-
einigt. Nur zwei Werke tragen die Inſchrift ihres
Schöpfers: Swei ſatyriſche Szenen mit dem Namen
„Dioskorides von Samos“. Aus Caſa del Fauno
ſtammt der bacchiſche Dämon Akratos, auf einem Löwen
reitend. Ein Medaillon: „Der durch die Liebe be-
zwungene Löwe“, kam aus Capua, und die Hauptſtadt
Campaniens hat in der Moſaikkunſt ſicherlich eine förm-
liche Schule unterhalten, deren Erzeugniſſe die Moſaiken-
ſammlung des Muſeums freilich nur in einzelnen Stich-
proben wiedergiebt.
Der künſtleriſche Geiſt unter all den Werken,
die aus den Schweſterſtädten und aus Capua
und Bajae im Muſeum von Neapel vereinigt
ſind, tritt in den Schöpfungen aus Herkulanum
am reinſten in die Erſcheinung. eicher und künſtleriſch
durchgebildeter ſtand dieſe Stadt kulturell über dem
kaufmänniſchen Pompeji und über dem üppigen,
ſchlemmeriſchen Capua; Bajae mit ſeinem zügellos aus-
ſchweifenden Badeleben, ſeinen Luſtfahrten auf dem
Averno- und Lucrinoſee war zu oberflächlich, um eine
reine Kunſtblüthe zur Reife zu bringen. So bleibt
Nerkulanum das fleckenloſe, lautere Spiegelbild künſt-
leriſchen Strebens, der Brennpunkt jener ernſten, von
raſtloſem Fleiß getragenen Kultur, die wir im Muſeo
Nazionale auf der Piazza Cavour immer von Neuem
bewundern lernen.
Pietro Canonica.
Von M. Rapfſilber.
5
@ N em Turiner Bildhauer Pietro Canonica blüht in
Berlin ein ſeltenes Glück. Su einer Seit, da er im
— eignen Vaterlande noch nicht nach Gebühr ge-
ſchätzt wurde, ward ihm in Berlin ein ſehr warmer
Empfang zu Cheil und das wirkte auf Italien zurück
und beſchleunigte jene begeiſterte Anerkennung, ohne
welche ein Künſtler und zumal ein Bildhauer nicht zur
vollen Entfaltung ſeiner Schaffenskraft gelangen kann.
Es ſind etwa vier Jahre her, daß Helen Simmern in
dieſen Blättern über die Anfänge Canonica's berichtete,
und das war überhaupt das erſte Mal, daß der Name
Canonica ermuthigt, 1002 die Berliner Ausſtellung zu
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Sahl mannigfachen Gruppen und Einzelfiguren. Hier
beſtimmt das anmuthige, künſtleriſche Motiv die Wahl
des einzelnen Bildes. So kommt es, daß Wieder-
holungen ein und desſelben Subjekts nicht ſelten ſind.
Wir begegnen als erſten Schöpfungen den Wand-
fresken aus dem Iſistempel und der Villa des
Diomedes. Hier erſchöpft ſich der Maler in einer ſchier
erdrückenden Fülle von ſtets wechſelnden Motiven:
Ranken, Masken, Feſtons, Vaſen, Früchten und Thieren.
Es ſind heitere und liebenswürdige Allegros zu den
nun folgenden Hauptſchöpfungen, die uns mitten in den
Kreis klaſſiſcher Götterwelt verſetzen. Ich nenne aus
der Menge der zahlreichen Bilder drei als die beſten
und meines Erachtens in der Auffaſſung vollendetſten:
die Nerelde, dem Meertiger die Schale reichend; in
der unteren Reihe wird Hylas von Nymphen unter-
getaucht; über dem Felſen ſpäht Herkules, während
Galathea auf einem Delphin naht. Das zweite Haupt-
bild zeigt den Familiengenius mit Weihſchale und
Füllhorn; gegenüber der Flötenſpieler, links der Gpfer-
diener, rechts der Prieſtergehülfe. Unterhalb dieſer
Darſtellungen ſteht der Altar, gegen den ſich zwei
Schlangen ringeln. Es iſt intereſſant, daß ſich Altäre
von der Form, wie ſie hier al kresco abgebildet ſind,
noch jetzt in Pompeji häufig finden und ehedem den
Speiſeopfern der Heerden dienten. Als drittes Haupt-
werk kommt in Betracht die Darſtellung der Medea mit
dem Schwert — ein Werk voll tiefſter, ergreifendſter Tragik.
Im vollen, rauſchenden Gegenſatz ſchlägt die im
Nebenſaal plazirte Darſtellung des trunkenen Herkules
heitere und lebensfreudige Akkorde an. Das Bild, auf
eine Stucktafel zur Einſetzung in die Wand gemalt,
zeigt Herkules, von Priap geſtützt, während Eros dem
Helden mit einer Doppelflöte ins Ohr bläſt und eine
jugendliche Tänzerin ein Tympan ſchlägt. Sur Seite
aber ſteht die ſtolze Omphale, die Beſiegerin des
ſtarken Mannes, der ihretwegen zum Spinnrocken
greift, während ſie ſich mit Löwenfell und Keule
ſchmückt. Das Ganze iſt eine der reizendſten und
ſinnigſten Darſtellungen in der Reihe dieſer, der antiken
Fabelwelt gewidmeten Fresken. In eine gegenſätzliche
Welt voll ernſter, tiefer Gefühle führt uns die maje-
ſtätiſche Darſtellung: Jupiter, dem Juno von Iris
hochzeitlich entgegengeführt wird. Unterhalb des Felſens
ſitzen drei Jünglinge mit Blumen in den Bänden. Die
Nandlung iſt voll großartigen Ernſtes, ein rauſchender
Hymnus auf das Wiedererwachen der Natur. In der
Ausführung der Details laſſen manche dieſer Sujets zu
wünſchen übrig; reſtlos vollendet in dieſem Sinne iſt
vielleicht nur das Mittelbild im zweiten Rezeß: Nephaeſtos
zeigt Thetis den Schild des Achill.
Betrachten wir nun die rein techniſche Behandlung
dieſer und der übrigen, weit über Hundert zählenden
Malereien. Die Bekleidung der Wände beſtand aus
drei Lagen von Sandmörtel und drei Lagen Marmor-
ſtuck; war der letzte Marmorſtuck gelegt, dann begann
die Aufmalung der Felder, auf deren Grundton die
Einzelfiguren und Ornamente aufgeſetzt wurden. Durch
Ueberziehen mit einer dünnen Lage friſchen Marmor-
ſtucks machte man die bereits anziehenden Wandtheile
zum Binden der Waſſerfarben wieder geeignet. Ver-
gleicht man dieſe mühſame und zeitraubende Art der
techniſchen Behandlung mit der leichtflüſſigen Sicherheit
und Kühnheit der Ausführung, ſo muß man den
Dekorationskünſtlern der beiden antiken Städte ein
immenſes Geſchick in ihrem Fache zuerkennen und auch
die Wahl der Farben, die ſich nur ſelten zerſetzten oder
gegenſeitig um ihre Leuchtkraft brachten, läßt auf ein
gründliches Verſtändniß in der Farbenkunde ſchließen.
Eine eigene Abtheilung bilden die Monochrome,
die aus dem Trümmerfeld von Herkulanum ausgegraben
wurden. Herkulanum hatte unter den Verſchüttungen
des eruptirenden Vulkans weit mehr zu leiden als die
Schweſterſtadt; dieſe wurde unter einem Aſchenregen
verſchüttet, während Herkulanum eine tiefe Schicht von
Steinen und Schlacken bedeckte. Auf dieſe Thatſache
gründet ſich die Nypotheſe, daß die Monochromos des
Muſeums nur den Grund von enkauſtiſchen Malereien
darſtellen, welche von der Hitze der Lava zerſtört
wurden. Die Bilder zeigen heute nur mehr röthliche
Umriſſe, die auf Marmorplatten aufgetragen ſind. Der
Name des Künſtlers „Alexander von Athen“ iſt in der
oberen Scke eines der Bilder deutlich zu leſen, und
zweifellos ſtammen auch die übrigen Tafeln von ſeiner
Hand. Einheitlicher Stil und Farbenbehandlung liefern
den Beweis.
Der Saal der Moſaiken enthält meiſt ausſchließ-
lich Werke aus Pompeji und Herkulanum; auch Capua
und Bajage haben ihre muſiviſchen Arbeiten hier ver-
einigt. Nur zwei Werke tragen die Inſchrift ihres
Schöpfers: Swei ſatyriſche Szenen mit dem Namen
„Dioskorides von Samos“. Aus Caſa del Fauno
ſtammt der bacchiſche Dämon Akratos, auf einem Löwen
reitend. Ein Medaillon: „Der durch die Liebe be-
zwungene Löwe“, kam aus Capua, und die Hauptſtadt
Campaniens hat in der Moſaikkunſt ſicherlich eine förm-
liche Schule unterhalten, deren Erzeugniſſe die Moſaiken-
ſammlung des Muſeums freilich nur in einzelnen Stich-
proben wiedergiebt.
Der künſtleriſche Geiſt unter all den Werken,
die aus den Schweſterſtädten und aus Capua
und Bajae im Muſeum von Neapel vereinigt
ſind, tritt in den Schöpfungen aus Herkulanum
am reinſten in die Erſcheinung. eicher und künſtleriſch
durchgebildeter ſtand dieſe Stadt kulturell über dem
kaufmänniſchen Pompeji und über dem üppigen,
ſchlemmeriſchen Capua; Bajae mit ſeinem zügellos aus-
ſchweifenden Badeleben, ſeinen Luſtfahrten auf dem
Averno- und Lucrinoſee war zu oberflächlich, um eine
reine Kunſtblüthe zur Reife zu bringen. So bleibt
Nerkulanum das fleckenloſe, lautere Spiegelbild künſt-
leriſchen Strebens, der Brennpunkt jener ernſten, von
raſtloſem Fleiß getragenen Kultur, die wir im Muſeo
Nazionale auf der Piazza Cavour immer von Neuem
bewundern lernen.
Pietro Canonica.
Von M. Rapfſilber.
5
@ N em Turiner Bildhauer Pietro Canonica blüht in
Berlin ein ſeltenes Glück. Su einer Seit, da er im
— eignen Vaterlande noch nicht nach Gebühr ge-
ſchätzt wurde, ward ihm in Berlin ein ſehr warmer
Empfang zu Cheil und das wirkte auf Italien zurück
und beſchleunigte jene begeiſterte Anerkennung, ohne
welche ein Künſtler und zumal ein Bildhauer nicht zur
vollen Entfaltung ſeiner Schaffenskraft gelangen kann.
Es ſind etwa vier Jahre her, daß Helen Simmern in
dieſen Blättern über die Anfänge Canonica's berichtete,
und das war überhaupt das erſte Mal, daß der Name
Canonica ermuthigt, 1002 die Berliner Ausſtellung zu