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die in Erſtaunen ſetzen. Eine ganz eigene, tiefe Natur-
auffaſſung, ein merkwürdig fremder landſchaftlicher
Rhytmus neben naiven Banalitäten. Hier hat einer
noch viel an ſich zu arbeiten, ſtrengſte Selbſtzucht und
Selbſtkritik zu üben, aber vielleicht kann er uns dann
ein paar Landſchaften in wirklich großzügiger Auf-
faſſung geben.
Ernſt Müller⸗ Bernburg, der uns ſchon bei der
Frühjahrsausſtellung der Sezeſſion begegnete, ſtellt unter
der Aegide des akademiſchen Vereins für bildende
Kunſt ſein Landſchafts⸗- Werk aus. Er iſt einer von
denen, die auf die Erſchöpfung des Stimmungsgehaltes
einer einzigen Gegend ihre ganze Kraft werfen: ihm iſt
das Iſarthal oberhalb Grünwald eine Gffenbarung
der ſeltſamſten Reize einer abwechſelungsreichen Land-
ſchaft. In jeder Jahreszeit ſucht er hier Schönheiten
zu finden, die aparten Färbungen des Herbſtes ſcheinen
ihm beſonders zu gefallen. Seinen Bildern eignet ein
großer, geſchloſſener Zug, die rhytmiſche Linie ſchön-
geſchwungener Höhen hält er mit einer gewiſſen innigen
Andacht feſt. Daß die Farbe noch zu dick und ſchwer
auf der Leinwand ſitzt, mache ich dem Künſtler nicht zum
Vorwurf. Er gehört ja zweifellos noch zu den Jüngeren
und größere Uebung wird ihm auch größere techniſche
Geſchicklichkeit bringen. Seine Aquarelle, die leicht
und duftig hingeſetzt ſind, zeigen ein paar feine Stim-
mungsbilder vom Chiemſee, namentlich das Bild
einiger hoher, alter Bäume hart am Ufer iſt gut
gelungen. Ein paar Badirungen erfreuen durch die
intime, ſtimmungsvolle Wirkung, die mir die erſte und
wichtigſte Vorausſetzung für jede Radirung, die auf
Werth Anſpruch macht, zu ſein ſcheint.
Die Ausſtelluug, die hans Neumann jun. in
Krauſe's Kunſtſalon veranſtaltet, weiſt hauptſächlich
Originalfarbenholzſchnitte auf. Neumann beſticht
namentlich durch ſeine Technik, die ſich von den Banden
des Japanismus, in denen der Farbenholzſchnitt bisher
gelegen, frei zu machen ſtrebt. Namentlich in den
Tönen findet Neumann aparte NVüancirungen. Ein
tieferer ſeeliſcher Gehalt freilich ſpricht aus dieſen Arbeiten
nicht, alle Kraft und alle Luſt konzentrirte ſich ſcheinbar
aufs Techniſche.
Sum Schluß ein paar Worte über die Ausſtellung
des Kunſtvereins. Da waren die Künſtler der Münch-
ner Wochenſchrift „Jugend“ zu ſehen, die ſich in
übermüthigen Kapriolen gefielen. Sum großen Theil
waren es Arbeiten, die in dem genannten Blatt ſchon
veröffentlicht wurden und die nächſtens verauktionirt
werden ſollen. Die Arbeiten von Eichler und Diez haben
am beſten gefallen. Die folgende Woche brachte uns
Gäſte aus Dresden: „Die Elbier“. Ich hatte mir
darunter etwas Aehnliches vorgeſtellt wie die „Worps-
weder“ oder „Die Scholle“ — alſo Leute, die durch
Gemeinſamkeit des Strebens oder des Bodens, auf dem
ihre Kunſt erwächſt, vereinigt ſind. Aber es iſt nicht
ſo, vielmehr ein luſtiges, verwirrendes Durcheinander
verſchiedenſter Individualitäten, die nur das gemeinſam
haben, daß ſie alle miteinander ſtark von G. Kuehl —
wenigſtens nach der techniſchen Seite hin — beeinflußt
ſind.
Auch von dem verſtorbenen, einſam ringenden und
nahe am Siel unterlegenen Moritz Weinholdt, deſſen
ich ſchon bei früherem Anlaß gedacht habe, brachte
die nämliche Woche eine Reihe nachgelaſſener Arbeiten,
darunter namentlich eine Anzahl ſehr markiger Studien-
köpfe in Kohle und ein intereſſantes Selbſtporträt.
Georg Jacob Wolf.
“
Zerliner Kunstschau.
F ö ſer moderne Menſch räumt dem Bildniß wieder
5 den Ehrenplatz ein, welchen die Landſchaft, der
Matador der naturaliſtiſchen Epoche, erfolgreich
beſtritten hatte. So war den Berliniſchen Bildniſſen
im Künſtlerhauſe ein nicht geringer künſtleriſcher wie
geſellſchaftlicher Erfolg beſchieden, und noch reger war
der Sulauf zu der Internationalen Porträt-
Ausſtellung bei Keller u. Reiner. Hier handelte
es ſich nicht eigentlich darum, berühmte oder ſchöne
Menſchen im Bilde vorzuführen. was ja auch einen
beſonderen Reiz gehabt hätte, ſondern mehr um einen
Ueberblick über das gegenwärtige Niveau der Porträt-
malerei in aller Herren Länder. Nach dem Tode
Lenbach's wird die Streitfrage, welchem von den drei
Nauptvölkern im Bildniß die Palme zuzuerkennen ſei,
unentſchieden bleiben müſſen. Aber wenn die Franzoſen
in der Darſtellung der Dame den erſten Kang ein-
nehmen, ſo vermögen die Deutſchen mehr als Andere,
ſelbſt mehr als die Engländer, die geiſtige Tiefe des
männlichen Bildniſſes zu meiſtern. Allerdings hat das
Joachim-Bildniß von Sargent keinen deutſchen Konkur-
renten zu fürchten, höchſtens iſt ihm das Bechſtein-
Porträt von Nerkomer an die Seite zu ſtellen. Sonſt
veranſchaulichen John Lavery, Harrington Mann,
Spencer Watſon die engliſche Raſſemalerei. Unter den
franzöſiſchen Damenmalereien ſtehen die Bilder von
Claude Moret und Antonio de la Gandara ohne
Sweifel am höchſten, dort iſt es die große Haltung der
Dame und hier die damenhafte Koketterie des Weibes,
was wohl keine andere Nation ſo ſchlagend in Er-
ſcheinung ſetzen kann. Die deutſchen Bildniſſe ſind in
allen möglichen Abſchattirungen von älterer und
moderner Kunſt vertreten. Auf der einen Seite figuriren
Knaus, A. v. Werner, Reinhold Begas, Noſter, Schöner,
Fechner, Kaulbach, Meyerheim, Batzka, Steinhauſen,
Thoma, auf der anderen Liebermann, Ury, Slevogt,
Hierl⸗Deronco, Olde, Skarbina, Spiro, Trübner durch-
weg mit bereits bekannten Malereien, welche die er-
ſtaunliche Vielfältigkeit deutſchen Weſens in Szene ſetzen.
Den Sweck einer internationalen Grientirung hat die
vielbeſuchte Ausſtellung vollauf erfüllt.
In einer Ausſtellung im Künſtlerhauſe ſtand ein
modernes Problem auf der Tagesordnung. Nämlich
die Farbigkeit des graphiſchen Kunſtwerkes. Schon vor
langen Jahren hatte Klinger mehrfache Verſuche an-
geſtellt, die Radirung durch einen dezenten Farben-
auftrag, der ſich meiſtens nicht über die ganze Platte
verbreitete, pikant zu beleben. Neuerdings hat der
Ruhm der japaniſchen Farbenholzſchnitte die Franzoſen
nicht ſchlafen laſſen. Sie ereifern ſich, in farbigen
Radirungen ein Gegenſtück zu ſchaffen. Derartige
Blätter wurden in Berlin ſchon wiederholt gezeigt,
wenn auch nicht in ſo großem Umfange wie im
Künſtlerhauſe. Inzwiſchen ſind die impreſſionslüſternen
franzöſiſchen Radirer zu feſtumriſſenen Ergebniſſen ge-
langt und ſtreifen auch wohl ſchon die Grenze des
Möglichen. Boutet de Mouvel, Eugene Delätre,
Maurice Tasquoy, Raffaelli, Baleſtrieri, Gaſton La
Touche, Godin, Nuard, Pinchon ſind die führenden
Namen auf dieſem heiklen Gebiet. Sie variiren natür-
lich das Thema, aber einig ſind ſie ſich darin, daß die
Farbe in der Graphik nicht Endzweck, ſondern nur
Nebenumſtand iſt, was vielleicht erweiſen dürfte, daß
die Kolorirung einen überflüſſigen Luxus oder gar einen
Barbarismus bei der Radirung bedeutet. Aber die
Freude des Laien an der Farbe forderte ein Su-
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die in Erſtaunen ſetzen. Eine ganz eigene, tiefe Natur-
auffaſſung, ein merkwürdig fremder landſchaftlicher
Rhytmus neben naiven Banalitäten. Hier hat einer
noch viel an ſich zu arbeiten, ſtrengſte Selbſtzucht und
Selbſtkritik zu üben, aber vielleicht kann er uns dann
ein paar Landſchaften in wirklich großzügiger Auf-
faſſung geben.
Ernſt Müller⸗ Bernburg, der uns ſchon bei der
Frühjahrsausſtellung der Sezeſſion begegnete, ſtellt unter
der Aegide des akademiſchen Vereins für bildende
Kunſt ſein Landſchafts⸗- Werk aus. Er iſt einer von
denen, die auf die Erſchöpfung des Stimmungsgehaltes
einer einzigen Gegend ihre ganze Kraft werfen: ihm iſt
das Iſarthal oberhalb Grünwald eine Gffenbarung
der ſeltſamſten Reize einer abwechſelungsreichen Land-
ſchaft. In jeder Jahreszeit ſucht er hier Schönheiten
zu finden, die aparten Färbungen des Herbſtes ſcheinen
ihm beſonders zu gefallen. Seinen Bildern eignet ein
großer, geſchloſſener Zug, die rhytmiſche Linie ſchön-
geſchwungener Höhen hält er mit einer gewiſſen innigen
Andacht feſt. Daß die Farbe noch zu dick und ſchwer
auf der Leinwand ſitzt, mache ich dem Künſtler nicht zum
Vorwurf. Er gehört ja zweifellos noch zu den Jüngeren
und größere Uebung wird ihm auch größere techniſche
Geſchicklichkeit bringen. Seine Aquarelle, die leicht
und duftig hingeſetzt ſind, zeigen ein paar feine Stim-
mungsbilder vom Chiemſee, namentlich das Bild
einiger hoher, alter Bäume hart am Ufer iſt gut
gelungen. Ein paar Badirungen erfreuen durch die
intime, ſtimmungsvolle Wirkung, die mir die erſte und
wichtigſte Vorausſetzung für jede Radirung, die auf
Werth Anſpruch macht, zu ſein ſcheint.
Die Ausſtelluug, die hans Neumann jun. in
Krauſe's Kunſtſalon veranſtaltet, weiſt hauptſächlich
Originalfarbenholzſchnitte auf. Neumann beſticht
namentlich durch ſeine Technik, die ſich von den Banden
des Japanismus, in denen der Farbenholzſchnitt bisher
gelegen, frei zu machen ſtrebt. Namentlich in den
Tönen findet Neumann aparte NVüancirungen. Ein
tieferer ſeeliſcher Gehalt freilich ſpricht aus dieſen Arbeiten
nicht, alle Kraft und alle Luſt konzentrirte ſich ſcheinbar
aufs Techniſche.
Sum Schluß ein paar Worte über die Ausſtellung
des Kunſtvereins. Da waren die Künſtler der Münch-
ner Wochenſchrift „Jugend“ zu ſehen, die ſich in
übermüthigen Kapriolen gefielen. Sum großen Theil
waren es Arbeiten, die in dem genannten Blatt ſchon
veröffentlicht wurden und die nächſtens verauktionirt
werden ſollen. Die Arbeiten von Eichler und Diez haben
am beſten gefallen. Die folgende Woche brachte uns
Gäſte aus Dresden: „Die Elbier“. Ich hatte mir
darunter etwas Aehnliches vorgeſtellt wie die „Worps-
weder“ oder „Die Scholle“ — alſo Leute, die durch
Gemeinſamkeit des Strebens oder des Bodens, auf dem
ihre Kunſt erwächſt, vereinigt ſind. Aber es iſt nicht
ſo, vielmehr ein luſtiges, verwirrendes Durcheinander
verſchiedenſter Individualitäten, die nur das gemeinſam
haben, daß ſie alle miteinander ſtark von G. Kuehl —
wenigſtens nach der techniſchen Seite hin — beeinflußt
ſind.
Auch von dem verſtorbenen, einſam ringenden und
nahe am Siel unterlegenen Moritz Weinholdt, deſſen
ich ſchon bei früherem Anlaß gedacht habe, brachte
die nämliche Woche eine Reihe nachgelaſſener Arbeiten,
darunter namentlich eine Anzahl ſehr markiger Studien-
köpfe in Kohle und ein intereſſantes Selbſtporträt.
Georg Jacob Wolf.
“
Zerliner Kunstschau.
F ö ſer moderne Menſch räumt dem Bildniß wieder
5 den Ehrenplatz ein, welchen die Landſchaft, der
Matador der naturaliſtiſchen Epoche, erfolgreich
beſtritten hatte. So war den Berliniſchen Bildniſſen
im Künſtlerhauſe ein nicht geringer künſtleriſcher wie
geſellſchaftlicher Erfolg beſchieden, und noch reger war
der Sulauf zu der Internationalen Porträt-
Ausſtellung bei Keller u. Reiner. Hier handelte
es ſich nicht eigentlich darum, berühmte oder ſchöne
Menſchen im Bilde vorzuführen. was ja auch einen
beſonderen Reiz gehabt hätte, ſondern mehr um einen
Ueberblick über das gegenwärtige Niveau der Porträt-
malerei in aller Herren Länder. Nach dem Tode
Lenbach's wird die Streitfrage, welchem von den drei
Nauptvölkern im Bildniß die Palme zuzuerkennen ſei,
unentſchieden bleiben müſſen. Aber wenn die Franzoſen
in der Darſtellung der Dame den erſten Kang ein-
nehmen, ſo vermögen die Deutſchen mehr als Andere,
ſelbſt mehr als die Engländer, die geiſtige Tiefe des
männlichen Bildniſſes zu meiſtern. Allerdings hat das
Joachim-Bildniß von Sargent keinen deutſchen Konkur-
renten zu fürchten, höchſtens iſt ihm das Bechſtein-
Porträt von Nerkomer an die Seite zu ſtellen. Sonſt
veranſchaulichen John Lavery, Harrington Mann,
Spencer Watſon die engliſche Raſſemalerei. Unter den
franzöſiſchen Damenmalereien ſtehen die Bilder von
Claude Moret und Antonio de la Gandara ohne
Sweifel am höchſten, dort iſt es die große Haltung der
Dame und hier die damenhafte Koketterie des Weibes,
was wohl keine andere Nation ſo ſchlagend in Er-
ſcheinung ſetzen kann. Die deutſchen Bildniſſe ſind in
allen möglichen Abſchattirungen von älterer und
moderner Kunſt vertreten. Auf der einen Seite figuriren
Knaus, A. v. Werner, Reinhold Begas, Noſter, Schöner,
Fechner, Kaulbach, Meyerheim, Batzka, Steinhauſen,
Thoma, auf der anderen Liebermann, Ury, Slevogt,
Hierl⸗Deronco, Olde, Skarbina, Spiro, Trübner durch-
weg mit bereits bekannten Malereien, welche die er-
ſtaunliche Vielfältigkeit deutſchen Weſens in Szene ſetzen.
Den Sweck einer internationalen Grientirung hat die
vielbeſuchte Ausſtellung vollauf erfüllt.
In einer Ausſtellung im Künſtlerhauſe ſtand ein
modernes Problem auf der Tagesordnung. Nämlich
die Farbigkeit des graphiſchen Kunſtwerkes. Schon vor
langen Jahren hatte Klinger mehrfache Verſuche an-
geſtellt, die Radirung durch einen dezenten Farben-
auftrag, der ſich meiſtens nicht über die ganze Platte
verbreitete, pikant zu beleben. Neuerdings hat der
Ruhm der japaniſchen Farbenholzſchnitte die Franzoſen
nicht ſchlafen laſſen. Sie ereifern ſich, in farbigen
Radirungen ein Gegenſtück zu ſchaffen. Derartige
Blätter wurden in Berlin ſchon wiederholt gezeigt,
wenn auch nicht in ſo großem Umfange wie im
Künſtlerhauſe. Inzwiſchen ſind die impreſſionslüſternen
franzöſiſchen Radirer zu feſtumriſſenen Ergebniſſen ge-
langt und ſtreifen auch wohl ſchon die Grenze des
Möglichen. Boutet de Mouvel, Eugene Delätre,
Maurice Tasquoy, Raffaelli, Baleſtrieri, Gaſton La
Touche, Godin, Nuard, Pinchon ſind die führenden
Namen auf dieſem heiklen Gebiet. Sie variiren natür-
lich das Thema, aber einig ſind ſie ſich darin, daß die
Farbe in der Graphik nicht Endzweck, ſondern nur
Nebenumſtand iſt, was vielleicht erweiſen dürfte, daß
die Kolorirung einen überflüſſigen Luxus oder gar einen
Barbarismus bei der Radirung bedeutet. Aber die
Freude des Laien an der Farbe forderte ein Su-