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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 10 (15. Februar 1905)
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Wien: Die Plastik-Ausstellung der Sezession
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Rheinische Kunstbestrebungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0175

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Nr. 10


140

in ſonſtigen Expoſitionen die Einheitlichkeit des Ein-
druckes ſtört oder durch farbige Wirkungen den ruhigen
Formenſinn beeinträchtigt, der allein beim plaſtiſchen
Kunſtwerke in Frage kommt. So bereitet die gegen-
wärtige Ausſtellung der Sezeſſion nicht allein durch
ihre Gediegenheit einen beſonders erleſenen Genuß.
Im Dordergrund des künſtleriſchen Intereſſes und der
kritiſchen Diskuſſion ſteht ſelbſtverſtändlich Max Klin ger's
„Drama“. Während die einen ſich an den Vorwurf
halten und ziemlich erfolglos zu ergründen ſuchen,
warum das große und großzügig empfundene Werk
den Titel „Das Drama“ führt, begnügen ſich die
Anderen mit der eminent plaſtiſchen Wirkung und ſtehen
vor dem rein bildhaueriſchen Vorwurf, ohne deſſen
gedankliche Seite zu prüfen, in Verzückung. Es will
mir ſcheinen, daß beide Recht und Unrecht haben.
Mag man an Klinger's Werk das rein Plaſtiſche ins
Auge faſſen, das heißt die großartige Modellirung, die
Durchführung der Akte, die prächtige Gedrungenheit
der männlichen Hauptfigur, den ſanften und doch nicht
weichlichen Formenreiz der beiden weiblichen Akte, —
ſo mag man, ehrlicher Bewunderung voll, dem großen
Können des eigenartigen und bedeutenden Künftlers
volle Anerkennung zollen. Dann tritt das durchaus
bildhaueriſche Empfinden hervor, man wird das Spiel
der Muskel beobachten, ſeine prächtige Kompoſition in
der Auflöſung der Gruppe, das ſinnliche Element ſeine-
künſtleriſchen Temperamentes bewundern, das die ge-
wagteſte Stellung, etwa wie die der ſitzenden weiblichen
Aktfigur, künſtleriſch zu bändigen und zu rein plaſtiſcher
Wirkung zu bringen weiß. Wird man aber ein geiſtiges
Verhältniß zwiſchen dem Gedanken und Gefühlszentrum
des künſtleriſchen Intellekts und der rein bildhaueriſchen
Empfindung ſuchen, dann iſt man wohl berechtigt, von
einem Kunſtwerk nicht allein die formelle Durchführung
der Kompoſition, ſondern in dieſer ſelbſt die ſchöpferiſche
Bewältigung des künſtleriſchen Grundgedankens, der
Idee zu fordern. Und hierin ſcheint mir wohl auch der
ſchwache Punkt des Klinger'ſchen Vorwurfes zu liegen.
Man ahnt wohl, welches ergreifende Spiel der Mächte
der Künſtler in ſeinem Drama zum Ausdruck bringen
wollte, daß in der gewaltig gegen einen Baumſtumpf
ſich ſtemmenden Mannesgeſtalt etwas von der wilden
und ſchönen Gewalt des Lebens zum Ausdruck gelangen
ſollte. Wie aber die beiden Frauengeſtalten, welche
die Seitenwände des mächtigen Blockes einnehmen und
— die Eine ſitzend, die Andere liegend hingeſtreckt —
die Cippen einander nähern, in einen gedanklich klaren
Suſammenhang zu bringen ſind, darüber wird es wohl
mehr Vermuthungen und Meinungen geben, als ver-
nünftige Auslegung. Es iſt ſchade, daß es gerade die
Größten unſerer modernen Künſtler immer wieder zur
myſtiſchen Geſte hinzieht, und gerade ſie wären berufen,
die Rückkehr zur Vernunft oder doch zur Sinnfälligkeit
zu predigen und mit der falſchen Tiefe zu brechen, die
in der Schwerverſtändlichkeit ſchon die Grundlage zur
Bedeutung ſieht.

Ungleich geſünder, unmittelbarer mit dem Leben
verknüpft iſt die herbe Ausdrucksgewalt der Uunſt
eines Meunier. Man kennt ſeine Art ſeit langem.
Seine Arbeitergeſtalten mit ihrer prächtigen Realiſtik,
die ſich nie ins Detail verliert, ihrer wuchtigen Auf-
faſſung, die in karger, man möchte faſt ſagen, wenig
mittgeilſamer Formenſprache eine Prägnanz des Aus-
druckes gewinnt, die von kaum einem zweiten Plaſtiker
erreicht wird. Faſt möchte man glauben, daß die Kunft
des großen Franzoſen es geweſen, die auch Hugo
Lederer in ſeinem „Porträt eines Ringkämpfers“ als
vorbildlich vorſchwebte, ſo ſehr iſt es dem reichbegabten

Bildhauer, deſſen „Fechter“ in einer vorjährigen
Sezeſſionsausſtellung Aufſehen erregte, gelungen, die
einfachſten Wirkungen großen Suges in die markigen
Formen ſeines Modelles zu drängen. Sein „Nauerndes
Mädchen“ iſt dagegen wieder ein Meiſterſtück der
ſchwierigen Modellirung und vortrefflicher Durchbildung
techniſch komplizirter Details, die in der eigenartigen
Poſe des Modelles den Händen des Bildners für den
Laien ungeahnte Schwierigkeiten bereiten mußten.
Falguière iſt durch einen ſtark in der Skizze gebliebenen
Vorwurf „Kain und Abel“ vertreten. Barrias durch
die große Gruppe „Der erſte Tote“. Beides Werke
von durchgebildeter reifer Kunſt, die nicht mehr ſtürmt
und drängt, ſondern ſich mit ſouveräner Beherrſchung
der Ausdrucksmittel ausſpricht.

Durchaus intereſſant und eigenartig iſt Jules
Lagae. In ihm iſt etwas Wechſelndes, Schillerndes,
ein außerordentlicher Reichthum der Empfindungs-
möglichkeiten. Möchte man bei den beiden gefeſſelten
Greiſen „Die Sühne“ an Rodin erinnert werden (etwa
an deſſen berühmte „Bürger von Calais“), ſo liegt
über „Müller und Kind“ ein ſanfter ſtiller Reiz, der
einer völlig anderen Individualität eigen ſcheint und
in ſeinen Porträtbüſten wieder eine Feinheit der pſycho-
logiſchen Beobachtung, eine Eleganz der Durchführung,
die gleichfalls mit dem künſtleriſchen Weſen der übrigen
Werke nicht zu harmoniren ſcheint. Und doch empfindet
man, daß dieſe Vielſeitigkeit der Ausdrucksmittel nicht
etwa dem Mangel einer eigenen Individualität, ſondern
weit eher einem überraſchenden Reichthum der Per-
ſönlichkeit, einer tiefen und vielſeitigen Geiſtes- und
Jugendbildung entſpricht, die für die wechſelndſten
Vorwürfe den entſprechenden Ausdruck ſucht und findet.

Schluß folgt.)

Rheinische Kunskbestrebungen.

12 hinen eigenartigen Verſuch hatte vor Kurzem die
A Wiesbadener Geſellſchaft für bildende
D Kunſt gewagt. Sie arrangirte eine Ausſtellung,
die lediglich porträtiſtiſche Arbeiten bedeutender Künſtler
des In⸗ und Auslandes zur Vorführung brachte. Man
wird zu einer gerechten Würdigung dieſes Verſuchs ge-
langen, wenn man bedenkt, daß eine bürgerliche Bildniß-
kunſt, wie ſie in den alten Niederlanden oder auch bis
heute noch vereinzelt in Paris beſtanden hat, in unſerer
Seit ganz außer Betracht gekommen iſt. Lenbach und
andere Größen malten viele Berühmtheiten und die
Auserwählten der Sehntauſend; doch ein Bedürfniß,
ſich porträtiren zu laſſen, beſteht im heutigen Bürger-
thum nur in Bezug auf die retouchirte Porträtphoto-
graphie. Es ſteht aber außer allem Sweifel, daß mit
einer vermehrten Pflege des gemalten Bildniſſes ein
Seichen zu einem neuen Aufleben ſelbſtändiger künſtle-
riſcher Kultur im Bürgerthum gegeben wäre. Sur Seit
iſt freilich die Saat zu einer derartigen bürgerlichen
Kunſtpflege noch nicht reif. Und die Beſſerung dieſer
Verhältniſſe wird für das künſtleriſche Bildniß durch
ein bedauerliches Mißverhältniß zwiſchen Preis und
Leiſtung erheblich erſchwert. Es iſt unſinnig und ganz
ungerechtfertigt, daß einzelne Modekünſtler hohe Summen
einſtreichen, während „unberühmte“ Maler oder ringende
Talente mit einem oft unwürdigen Lohn ſich zufrieden
 
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