Nr. 6
dieſer Schleier erſt gelüftet werden, wenn die mannig-
fachen Vorbereitungen abgeſchloſſen ſind, die Sache
alſo für die Akteure völlig reif geworden iſt. Dann ge-
denkt man mit der harmloſeſten Miene von der Welt
an die Begierungsfaktoren plötzlich heranzutreten, in
der Roffnung, den Kultusminiſter ſo zu verblüffen, daß
er zu jenem fragwürdigen Unternehmen ohne Weiteres
ſein Einverſtändniß und ſeinen Segen giebt
Vielleicht aber werden ſich die ehrgeizigen und vor-
ſorglichen Herren in ihren Vorausſetzungen und Er-
wartungen denn doch ein wenig täuſchen und merken,
daß man dort, wo man auf Verblüffung rechnet, gar
ſehr auf der Hut vor derartigen Ueberraſchungen und
nicht geneigt iſt, ſeine Hand zu den kunſtgeſchichtlichen
Experimenten eines Mannes zu bieten, der die Kunſt-
geſchichte offenſichtlich für die Intentionen ſeines
Pariſer Betriebs umarbeitete und natürlich nicht entfernt
daran denkt, der künſtleriſchen Landſchaft von 1800
bis 1870 durch die geplante Schauſtellung diejenige Be-
der betreffenden Epochen für uns Andere wiſſenſchaftlich
berechtigt erſcheint, ſondern der dieſer Landſchaft eine
ſeinem freien perſönlichen Ermeſſen anheim gegebene
Bewerthung nunmehr vor der großen, freilich unmaß-
geblichen Oeffentlichkeit verſchaffen will. Daß jene
Berliner Kunſtpartei wie auch die Leitung der König-
lichen Gallerie mit der ausſchweifenden Kritik des
Pariſer Autors ganz und voll einverſtanden ſind, wird
eben durch die unter ihrer beiderſeitigen Aegide ge-
plante Ausſtellung für Jedermann klar bewieſen.
Von Münchner Kunsthewerbe.
Moch vor Balis if habe ich an dieſer Stelle
trübe genug ausſehe, daß ſchlimme Gärungen
und kaum überbrückbare Gegenſätze ſich zeigten. Be-
greiflich war das in jenen Tagen, da uns das Scheitern
der geplanten Kunſtgewerbeausſtellung und die feindliche
Stellung der beiden kunſtgewerblichen Vereine zu ein-
ander bekannt wurden. Im Laufe eines Jahres hat
ſich viel geändert und gebeſſert. Die feindlichen Spitzen
wurden durch die Dazwiſchenkunft einſichtiger Leute
umgebogen, Nunſtgewerbeverein und „Vereinigte Werk-
ſtätten für Kunſt und Handwerk“ ſtreiten ſich in edlem
Wettbewerb um den Preis, eine ganze Schaar tüchtiger
Leute ſteht bereit, um für das Münchner Kunſtgewerbe
einzutreten. Nur ein paar Namen will ich hierherſetzen:
Riemerſchmied, Bruno Paul, Obriſt, Scharrvogel, Krüger,
Debſchütz, Dunn, die Brüder Rank und Martin Dülfer.
Bei der Ausſtellung der Sezeſſion haben die „Vereinigten
Werkſtätten“ gezeigt, was ſie können. Manchen Leuten,
und es waren nicht die geſchmackloſeſten, haben die
im Parterre an den Wänden hingen. Gern erinnert
man ſich heute noch des impoſanten Feſt⸗ und Muſik-
ſaals, den Bruno Paul geſchaffen, und des Herren-
zimmers, das nach Bernhard Pankok's, eines nach
Stuttgart überſiedelten Münchner Kunſtgewerblers, Ent-
würfen von den „Vereinigten Werkſtätten“ hergeſtellt
worden war.
Ich gebe jenen Recht, die beim Beſuch dieſer
kunſtgewerblichen Ausſtellung meinten, das einzig poſitive
Reſultat, das uns die moderne deutſche Kunſtbewegung
gebracht habe, zeige ſich auf dem Gebiete der an-
gewandten Kunſt, des Kunſtgewerbes. In der Tat,
während auf dem Gebiete der Malerei und der Plaſtik
immer noch ein unentſchloſſenes Taſten, ein zwar ſicher
ernſthaftes, aber doch noch reſultatloſes Streben und
Suchen, auf dem Gebiete der Architektur ein Nach-
ahmen alter Stilarten oder ein ſteriler Eklektizismus
für die Kunſt unſerer Tage typiſch ſind, hat das Kunſt-
gewerbe ſeinen eigenen Stil, ſeine neue Linie in ruhiger
Sicherheit gefunden. Nur obenhin beeinflußt von Em-
pire und neuengliſchem Stil, hat ſich das moderne
deutſche Kunſtgewerbe durchaus originell entwickelt.
Man hat dieſer Tage die neuen hübſchen Räume
des bayeriſchen Kunſtgewerbevereins mit einer glänzenden
Revue über alle Gebiete des Münchner Kunſtgewerbes
eröffnet. Batten die „Vereinigten Werkſtätten“, die
hauptſächlich die jüngeren Künſtler zu ihren Mitarbeitern
zählen, auf der Ausſtellung der Sezeſſion gezeigt, was
ſie können, ſo thun es nun die älteren, abgeklärteren
und ausgereifteren Meiſter in ihrem eigenen Raus.
Und man kann ſich dieſer Ausſtellung herzlich freuen.
Sie bietet in ihrer Geſammtheit ein ſchönes geſchloſſenes
Bild muthiger Arbeit und tüchtigen Könnens. Der
Kunſtgewerbeverein war von jeher eine Rochburg der
„deutſchen Renaiſſance“. Hier wurden in den achtziger
und beginnenden neunziger Jahren jene Möbel nach
ſächſiſchen, fränkiſchen und ſchwäbiſchen Vorbildern
geſchaffen, jene Plafonds, Vertäfelungen und Glas-
gemälde, die heute noch gerade in Münchner Salons
als Prunkſtücke ihrer Art zu finden ſind. Auch jetzt
erfreut ſich bei den konſervativeren Elementen des Vereins
die deutſche Renaiſſance noch einer liebevollen Pflege.
Da ſah ich bei der Ausſtellung in dieſem Stil einen
großen Cüſtre, den der verſtorbene Profeſſor Romeis
entworfen, Büffets, Glasgemälde, Standuhren. Aber
immer mehr dringt auch hier der freie, moderne Zug
durch, den namentlich Riemerſchmied glücklich vertritt.
Welche Fülle von guten Einfällen, von Calent, Ge-
ſchicklichkeit, Laune, Fleiß und Witz bergen die tauſend
und abertauſend Gegenſtände dieſer Ausſtellung, in der
man vom prunkenden Salon bis herunter zur geſchmack-
vollen Aſchenſchale und dem von Künſtlerhand ent-
worfenen Lebkuchen alles nur Denkbare ſehen und
kaufen kann. Dinge, die vor zehn Jahren, noch in
billiger Maſſenproduktion von irgend einer Fabrik, die
von Kunſt um Gotteswillen nichts wiſſen wollte, auf
den Markt geworfen wurden, werden jetzt von Künſtlern
in origineller Weiſe neu geſtaltet, und von fleißigen
und geſchickten Arbeitern würdig hergeſtellt. Alles trägt
ein perſönlicheres Gepräge, in Allem iſt Stil, und ich
müßte mich wohl ſehr täuſchen, wenn nicht in Sukunft
unſer ganzes Leben von dieſer Umwelt in einer günſtigen
Weiſe beeinflußt werden müßte. — ;
Noch eine andere Veranſtaltung kunſtgewerblicher
Art gab es dieſer Tage in München. In der Hohen-
zollernſtraße haben zwei raſtloſe Vorkämpfer für die
künſtleriſche Wiedergeburt des Kunſtgewerbes, Hermann
Obriſt und W. von Debſchütz, eine Schule „für an-
gewandte und freie Kunft errichtet, die allen ähnlichen