Nr. 16
einzige Sorge. Die größten Intereſſen dieſer Welt
ſcheinen ihm nichtsſagende Kleinigkeiten im Vergleich
mit ſeiner eigenen Angelegenheit, und er würde ſich
leicht überreden, daß von den Sternen bis zu den
Menſchen und Pflanzen das geſammte Weltall nur und
allein geſchaffen ſei, um Stoff für den Dichter, An-
deutungen für den Architekten oder Motive für den
Muſiker zu liefern.
Etliche Seit hernach aber wird dieſer erhitzte
Träumer ein ganz anderer Menſch. Er hat mit der
Ausführung begonnen; er iſt am erſten Entwurf ſeines
Werkes, und von da an mißtraut er ſeiner Begei-
ſterung, ſeinem Fieber und ſeinen Nerven. Er giebt ſich
Mühe, ſeinen Geiſt ſich ſetzen zu laſſen, ſeinen Puls zur
Ruhe zu bringen. Er überlegt, urtheilt, er vergleicht,
er berechnet. Was immer ſein Gegenſtand iſt, —
muß er ihn den Geſetzen ſeiner Kunſt anpaſſen, und
wenn jede Kunſt ihre beſondere Logik beſitzt, und ihre
beſonderen Regeln, ſo will dagegen ein ihnen allen ge-
meinſames Geſetz, daß jedes Werk kunſtgerecht zu-
ſammengeſtellt ſei, — das will ſagen: daß es ein Ganzes
bilde, daß ſeine Suſammenordnung zugleich natürlich
und ſachkundig ſei, daß die Theile wohl auseinander
gehalten, die Linien wohl vertheilt, die Maſſen wohl
abgewogen ſeien, daß ein richtiges Verhältniß im De-
tail und in den Ornamenten obwalte. Solches aber
ſetzt große Anſtrengung und eine lange Arbeit des
Geiſtes voraus. „Improviſiren! ja wohl!“ — ſo ſchrieb
Delacroir — das heißt: entwerfen und abſchließen zu
gleicher Seit, mit demſelben Wurf und im gleichen
Athemzug ſowohl der Einbildung wie der Veberlegung
ein Genüge thun, — das wäre für einen Sterblichen
ſoviel wie die Götterſprache als ſeine alltägliche Sprache
reden. Weiß man denn wirklich, was das Talent an
Nilfsmitteln beſitzt, um ſeine Anſtrengungen zu ver-
bergen d. Was man im allerbeſten Fall beim
Maler „improviſiren“ nennen könnte, wäre ein Trieb
zur Ausführung ohne nochmalige Ueberarbeitung und
ohne Bedauern, dieſem Antrieb gefolgt zu ſein. Aber
ohne den fachgemäßen und in Abſicht der endgültigen
Vollendung zum voraus berechneten Entwurf wäre ein
ſolcher Gewaltſtreich ſelbſt dem mächtigſten Maler un-
möglich; denn ſchon von den erſten Grundlinien des
Gemäldes an liegt in der Auffaſſung des Ganzen die
entſcheidende Eigenſchaft des Künſtlers: „Da iſt es, wo
er im Ernſt gearbeitet hat.“
S
Kunst und Naturwissenschaft.
D. American Muſeum of Natural Hiſtory in New-
vork hat in ſeiner Abtheilung für Präparate eine
neue künſtleriſche Methode der Darſtellung wilder
Thiere angenommen. Man könnte dieſelbe faſt eine
revolutionäre nennen, denn ſie ſtößt alle alten, bisher
En a S - z Z Sn
feftitehenden Regeln der Taxidermie vollſtändig um.
Nach dem neuen Verfahren wird, wie Walter L. Beasley
im „Scient. Am.“ berichtet, der Körper des Thieres ganz
aus Thon modellirt, und zwar genau ſo ſorgſam, wie
ein Bildhauer eine menſchliche Geſtalt oder ein Geſicht
behandeln würde. Daher iſt das vollendete Werk auch
nicht ein Ergebniß überlieferter Regeln, ſondern mehr
der Fähigkeit des Künſtlers, ſeiner idealen Vorſtellung
von dem Tiere, wie er ſie durch eigene Beobachtung
und Vergleich mit den beſten Darſtellungen erworben
hat, in Thon Ausdruck zu geben. Ein bloßer Hand-
werker genügt hierfür nicht mehr; dieſe Kunſt kann nur
ein Bildhauer ausüben, der mit ſchöpferiſchem Talent
begabt iſt.
Man hat von verſchiedenen Chierforſchern, welche
Reiſen in abgelegene Theile von Sibirien, Britiſch
Columbia, Mexiko und in das arktiſche Amerika unter-
nommen haben, eine bedeutende Anzahl ſeltener Felle
erworben, deren einige bisher unbekannten Arten an-
gehören. Dieſe ſollen nach der neuen Methode montirt
werden und in der noch nicht eröffneten Säugethierhalle
des Muſeums zur Aufſtellung gelangen. Bier wird man
die größte Sammlung von wilden Thieren der Vereinig-
ten Staaten ſehen.
J. F. Clark ſchuf unter anderem eine große, künſt-
leriſch ſchöne Gruppe von Elchen (Cervus canadensis
occidentalis) aus Britiſch⸗-Columbia und Waſhington.
Die aus fünf Figuren beſtehende Gruppe zeigt den
Elch in charakteriſtiſchen Stellungen: ruhend, weidend
und ſpähend. Sie erhält eine Größe von 22 zu J] Fuß.
Herr Clark hat ſich in ſeinem Werk als ſorgſamer,
künſtleriſch arbeitender Thonbildner erwieſen, der das
Thier lebensvoll und realiſtiſch nachzubilden weiß. Der
Vorzug einer ſochen Darſtellung vor den ſtarren, ſeelen-
loſen Erzeugniſſen der alten Methode iſt natürlich augen-
fällig.
Das Montiren großer Thiere iſt zu einer Kunft
geworden, und der mit der Seit fortgeſchrittene Caxi-
dermiſt iſt jetzt ein Thierbildhauer; das primitive Aus-
ſtopfen iſt jetzt ein überwundener Standpunkt. Vörper-
form, Muskelentwicklung, koniſche Form der Beine,
alles wird ſo geſchickt in Thon nachgeformt, daß man
im erſten Augenblick glauben kann, das lebende Thier
vor ſich zu haben. Die Genauigkeit der kleinſten Details,
die charakteriſtiſche Haltung und die Feinheiten der ana-
tomiſchen Abſtufungen werden hauptſächlich dadurch er-
möglicht, daß das Fell probeweiſe übergezogen werden
kann, ehe die Haut endgültig befeſtigt wird. Nach der
die richtige Geſtalt erzielt zu haben glaubte, ſo wurde
das Fell über die harte Gipsdecke der Glieder genäht,
und die feſten, ſteifen Extremitäten geſtatteten keinerlei
Aenderung in der Haltung des Thieres. Wies das
fertige Modell falſche Verhältniſſe oder fehlerhafte Kon-
ſtruktion auf, ſo mußte der Gips mühſam weggemeißelt
werden. Sine nachträgliche Veränderung der Haltung
wäre gleichbedeutend mit völliger Vernichtung der ge-
ſammten Grundform geweſen. Alle dieſe Schwierig-
keiten beſeitigt das neue Verfahren. Der Ausſtopfer
hatte ſeine Werkzeuge, Muſter und Vorſchriften, und
brachte handwerksmäßig ſein Werk zuſtande. Kunſtſinn
und ſchöpferiſches Talent waren kaum vonnöthen. Bei
dem Thonmedelliren kann der Künſtler noch während
der Arbeit dem Kopfe und jedem Gliede nach ſeinem
Gefallen und ſo oft er will, eine andere Haltung geben.
Herr Clark unterſtützt die Natnurtreue ſeiner Arbeit
Momentaufnahmen, die er in zoologiſchen Gärten und
Parks macht. Er weiß beſonders reizvolle, oft zufällige
einzige Sorge. Die größten Intereſſen dieſer Welt
ſcheinen ihm nichtsſagende Kleinigkeiten im Vergleich
mit ſeiner eigenen Angelegenheit, und er würde ſich
leicht überreden, daß von den Sternen bis zu den
Menſchen und Pflanzen das geſammte Weltall nur und
allein geſchaffen ſei, um Stoff für den Dichter, An-
deutungen für den Architekten oder Motive für den
Muſiker zu liefern.
Etliche Seit hernach aber wird dieſer erhitzte
Träumer ein ganz anderer Menſch. Er hat mit der
Ausführung begonnen; er iſt am erſten Entwurf ſeines
Werkes, und von da an mißtraut er ſeiner Begei-
ſterung, ſeinem Fieber und ſeinen Nerven. Er giebt ſich
Mühe, ſeinen Geiſt ſich ſetzen zu laſſen, ſeinen Puls zur
Ruhe zu bringen. Er überlegt, urtheilt, er vergleicht,
er berechnet. Was immer ſein Gegenſtand iſt, —
muß er ihn den Geſetzen ſeiner Kunſt anpaſſen, und
wenn jede Kunſt ihre beſondere Logik beſitzt, und ihre
beſonderen Regeln, ſo will dagegen ein ihnen allen ge-
meinſames Geſetz, daß jedes Werk kunſtgerecht zu-
ſammengeſtellt ſei, — das will ſagen: daß es ein Ganzes
bilde, daß ſeine Suſammenordnung zugleich natürlich
und ſachkundig ſei, daß die Theile wohl auseinander
gehalten, die Linien wohl vertheilt, die Maſſen wohl
abgewogen ſeien, daß ein richtiges Verhältniß im De-
tail und in den Ornamenten obwalte. Solches aber
ſetzt große Anſtrengung und eine lange Arbeit des
Geiſtes voraus. „Improviſiren! ja wohl!“ — ſo ſchrieb
Delacroir — das heißt: entwerfen und abſchließen zu
gleicher Seit, mit demſelben Wurf und im gleichen
Athemzug ſowohl der Einbildung wie der Veberlegung
ein Genüge thun, — das wäre für einen Sterblichen
ſoviel wie die Götterſprache als ſeine alltägliche Sprache
reden. Weiß man denn wirklich, was das Talent an
Nilfsmitteln beſitzt, um ſeine Anſtrengungen zu ver-
bergen d. Was man im allerbeſten Fall beim
Maler „improviſiren“ nennen könnte, wäre ein Trieb
zur Ausführung ohne nochmalige Ueberarbeitung und
ohne Bedauern, dieſem Antrieb gefolgt zu ſein. Aber
ohne den fachgemäßen und in Abſicht der endgültigen
Vollendung zum voraus berechneten Entwurf wäre ein
ſolcher Gewaltſtreich ſelbſt dem mächtigſten Maler un-
möglich; denn ſchon von den erſten Grundlinien des
Gemäldes an liegt in der Auffaſſung des Ganzen die
entſcheidende Eigenſchaft des Künſtlers: „Da iſt es, wo
er im Ernſt gearbeitet hat.“
S
Kunst und Naturwissenschaft.
D. American Muſeum of Natural Hiſtory in New-
vork hat in ſeiner Abtheilung für Präparate eine
neue künſtleriſche Methode der Darſtellung wilder
Thiere angenommen. Man könnte dieſelbe faſt eine
revolutionäre nennen, denn ſie ſtößt alle alten, bisher
En a S - z Z Sn
feftitehenden Regeln der Taxidermie vollſtändig um.
Nach dem neuen Verfahren wird, wie Walter L. Beasley
im „Scient. Am.“ berichtet, der Körper des Thieres ganz
aus Thon modellirt, und zwar genau ſo ſorgſam, wie
ein Bildhauer eine menſchliche Geſtalt oder ein Geſicht
behandeln würde. Daher iſt das vollendete Werk auch
nicht ein Ergebniß überlieferter Regeln, ſondern mehr
der Fähigkeit des Künſtlers, ſeiner idealen Vorſtellung
von dem Tiere, wie er ſie durch eigene Beobachtung
und Vergleich mit den beſten Darſtellungen erworben
hat, in Thon Ausdruck zu geben. Ein bloßer Hand-
werker genügt hierfür nicht mehr; dieſe Kunſt kann nur
ein Bildhauer ausüben, der mit ſchöpferiſchem Talent
begabt iſt.
Man hat von verſchiedenen Chierforſchern, welche
Reiſen in abgelegene Theile von Sibirien, Britiſch
Columbia, Mexiko und in das arktiſche Amerika unter-
nommen haben, eine bedeutende Anzahl ſeltener Felle
erworben, deren einige bisher unbekannten Arten an-
gehören. Dieſe ſollen nach der neuen Methode montirt
werden und in der noch nicht eröffneten Säugethierhalle
des Muſeums zur Aufſtellung gelangen. Bier wird man
die größte Sammlung von wilden Thieren der Vereinig-
ten Staaten ſehen.
J. F. Clark ſchuf unter anderem eine große, künſt-
leriſch ſchöne Gruppe von Elchen (Cervus canadensis
occidentalis) aus Britiſch⸗-Columbia und Waſhington.
Die aus fünf Figuren beſtehende Gruppe zeigt den
Elch in charakteriſtiſchen Stellungen: ruhend, weidend
und ſpähend. Sie erhält eine Größe von 22 zu J] Fuß.
Herr Clark hat ſich in ſeinem Werk als ſorgſamer,
künſtleriſch arbeitender Thonbildner erwieſen, der das
Thier lebensvoll und realiſtiſch nachzubilden weiß. Der
Vorzug einer ſochen Darſtellung vor den ſtarren, ſeelen-
loſen Erzeugniſſen der alten Methode iſt natürlich augen-
fällig.
Das Montiren großer Thiere iſt zu einer Kunft
geworden, und der mit der Seit fortgeſchrittene Caxi-
dermiſt iſt jetzt ein Thierbildhauer; das primitive Aus-
ſtopfen iſt jetzt ein überwundener Standpunkt. Vörper-
form, Muskelentwicklung, koniſche Form der Beine,
alles wird ſo geſchickt in Thon nachgeformt, daß man
im erſten Augenblick glauben kann, das lebende Thier
vor ſich zu haben. Die Genauigkeit der kleinſten Details,
die charakteriſtiſche Haltung und die Feinheiten der ana-
tomiſchen Abſtufungen werden hauptſächlich dadurch er-
möglicht, daß das Fell probeweiſe übergezogen werden
kann, ehe die Haut endgültig befeſtigt wird. Nach der
die richtige Geſtalt erzielt zu haben glaubte, ſo wurde
das Fell über die harte Gipsdecke der Glieder genäht,
und die feſten, ſteifen Extremitäten geſtatteten keinerlei
Aenderung in der Haltung des Thieres. Wies das
fertige Modell falſche Verhältniſſe oder fehlerhafte Kon-
ſtruktion auf, ſo mußte der Gips mühſam weggemeißelt
werden. Sine nachträgliche Veränderung der Haltung
wäre gleichbedeutend mit völliger Vernichtung der ge-
ſammten Grundform geweſen. Alle dieſe Schwierig-
keiten beſeitigt das neue Verfahren. Der Ausſtopfer
hatte ſeine Werkzeuge, Muſter und Vorſchriften, und
brachte handwerksmäßig ſein Werk zuſtande. Kunſtſinn
und ſchöpferiſches Talent waren kaum vonnöthen. Bei
dem Thonmedelliren kann der Künſtler noch während
der Arbeit dem Kopfe und jedem Gliede nach ſeinem
Gefallen und ſo oft er will, eine andere Haltung geben.
Herr Clark unterſtützt die Natnurtreue ſeiner Arbeit
Momentaufnahmen, die er in zoologiſchen Gärten und
Parks macht. Er weiß beſonders reizvolle, oft zufällige