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Nr. 16
Münchner Nunstschau.
ſtellt, kann man nach Berlin wenig Neues be-
richten. Er hat ſich nun einmal ſelbſtiſch in ſeiner
Manier feſtgebiſſen, und von ſeinen Grunewaldland-
ſchaften ſieht darum eine ebenſo aus wie die andere —
ſtille, tiefblaue Seen, Kiefern in matter Abendſonne,
ſilhouettenhaft in der Manier des Japaners Hokuſai
vor den Hintergrund geſetzt, ein heller, ſandiger Weg
und ein Stückchen wolkigen Himmels darüber. Neue
Motive brachten nur ein paar Gouachen, die ſtille, ein-
fältige Dörfer zeigen, die ſich an die bewaldeten Hänge
imponirender Berge ſchmiegen. In dieſen Stücken
bieten ſich koloriſtiſche und lineare Reize eigener Art,
doch hat Leiſtikow auch hier, wo ungezügeltes, wildes
und ſtilfernes Sich⸗aus⸗ leben das einzig Richtige geweſen
wäre, ſeine fatal ſtiliſirte dekorative Linie in die Land-
ſchaft hereingezogen. Am beſten wirkt noch ein Hafen-
bild, wo durch pikante und geſchickte Ueberſchneidungen
allerlei gefällige Reize erzielt wurden.
Im nämlichen Salon zeigt Wera von Bartels
ihre Wachsplaſtiken, ſehr geſchickte Darſtellungen von
Thieren, polychrom und darum zuweilen eine frappante
Vaturwirkung erreichend. Allerdings fehlt der große
Sug, der etwa die CThierplaſtiken des Berliners Gaul
auszeichnet, es iſt mehr frauenzimmerlich-liebenswürdige
Spielerei, aber nicht ohne anmuthige Gefälligkeit.
Der Graphiker Gottardo Segantini, der gleich-
falls bei Heinemann ausſtellt, iſt zweifellos ein geſchickter
Techniker. Solange er Radirungen nach den Werken
ſeines großen Vaters Giovanni Segantini vorweiſt,
können wir ihm eine ſchöne Anerkennung nicht verſagen,
ſobald er ſich jedoch an eigene Geſtaltungen macht
(er liebt bibliſche Stoffe darzuſtellen), verſagt ſeine
Kraft, ſein Geſtalten wird zur lächerlichen Grimaſſe.
Der Kunſtverein bot Allerlei in ſeinen Wochen-
ausſtellungen, das einer kurzen Aufzeichnung werth iſt.
Faber du Faure der Jüngere zeigte ſeine tüchtigen Por-
träts vor, er bewies dabei, daß er von Leibl viel ge-
lernt hat (mit einem feinen Einſchlag Marces'ſcher
Fineſſen), daß es ihm auf eine ehrlich nüchterne Porträt-
wirkung, bei der freilich die raumproblematiſchen Er-
wägungen keine kleine Rolle ſpielen, in erſter Linie an-
kommt. Doch kann auch eine ſeeliſche Durcharbeitung
den Bildniſſen nicht abgeſprochen werden. — Walter
Geffcken iſt einer von den „Böcklin-Malern“. Dieſe
neuerdings ſo ſehr in Schwung kommende Nachahmerei
des großen Meiſters hat eine fatale Seite: ſie kann
einem mit der Seit die ganze Richtung, womöglich
ſogar den Meiſter Böcklin ſelber, verleiden. Wie die
Defregger-Kopirerei Manchem den braven, tüchtigen
Meiſter verleidet hat. Um Geffcken iſt es ſchade, daß
er bei dieſem Rummel, den in München ein gewiſſer
Kuſchel beſonders ſchlimm treibt, mitthut. Denn gerade
die feinen Gelwiſchbildchen, übrigens techniſche Meiſter-
ſtücke, die wir im Kunſtverein ſahen, berechtigen zu der
Annahme, daß dieſer Künſtler viel Eigenes, viel Grigi-
nelles zu geben hätte. Alſo weg mit allen Meerjung-
frauen und Seeungeheuern und Fabelweſen, und die
Sügel geſtrafft zu ernſter Selbſtzucht! ;
Ernſt Dargen, der neulich ſchon mit einer Atelier-
ausſtellung hervortrat, zeigt uns in delikaten Aquarell-
bildchen eine Reihe intimer, anheimelnder Städtebilder.
Die Pſyche der altdeutſchen, ſowohl der romaniſchen
als der gothiſchen Stadt hat dieſer talentvolle Künſtler
tief ergründet. Die fränkiſchen, ſchwäbiſchen und bay-
riſchen Städte zumal kennt er genau, mehr noch er
liebt ſie, vertieft, vergräbt ſich in ſie. Er malt ſie nicht
nur, er iſt auch ſozuſagen ihr Hiſtoriker. Denn in dieſen
Aquarellen ſteckt ein Stück Kulturgeſchichte. Man müßte
von Staats wegen Dargen hinſchicken und ihn alle
dieſe reizvollen Stadtbilder, Thürme, Patrizierhäuſer,
Kirchen und vergeſſenen, grünbewachſenen Mauerwinkel
malen laſſen, bevor ſie wie alles Alte, Enge, Traute
dem unrettbaren Untergang, den die gefräßige Groß-
fallen.
Zuletzt noch ein Wort über die Schiller-
Ausſtellung, die vom A. Kupferſtichkabinet veran-
ſtaltet wird. Da ſieht man nicht allein die ſämmtlichen
Schiller⸗Porträts, von Höflinger, Graff, Simanowitz an-
gefangen bis herunter zu den letzten, die Karl Bauer
und — beſonders glücklich wie mir ſcheinen will —
Leo Samberger geſchaffen haben, ſondern auch, und
das iſt wohl das Intereſſantere, eine Serie von Re-
produktionen nach Werken, die das Verhältniß der bil-
denden Kunſt zu den Dichtungen des großen Poeten
zur Anſchauung bringen. Es iſt erſtaunlich, wieviele
Künſtler Schiller's Genius geopfert haben. Namentlich
die „Glocke“ bot ſtets reichen Stoff für den Künſtler.
Ludwig Richter's berühmte Seichnungen zu dieſem Ge-
dichte — 16 an der Sahl — ſind wohl allbekannt,
Nilſon, Adrian Schleich, Liezen⸗Maper, Retzſch — heute
faſt alle vergeſſen — ließen ſich gleichfalls von Schiller's
Genius begeiſtern, Moritz von Schwind, Anton von
Werner, Ramberg, Piloty, Schraudolph, Thumann,
Rethel, Wilhelm von Diez, aber auch erſtaunlicher
Weiſe die Modernen, die doch ſonſt ſo gern die Illu-
ſtrationen zu Klaſſikern mit einem Lächeln abthun,
haben zur Verherrlichung Schiller's beigetragen: es ſeien
hier die Namen Klinger, Erler, Eichler, Rieth, Püttner
und Münzer genannt. So einigt ſich alſo im Namen
und im Geiſte eines überragenden Führers deutſcher
Kultur alte und neue Kunſt in harmoniſcher Eintracht.
Georg Jacob Wolf.
@»N
Unsere Abbildung.
Held Siegfried, der ſich nach Erlegung des böſen „Wurmes“
Fafner im Drachenblut badet, iſt das Motiv dieſer überaus
reizvollen prächtig bewegten Statuette hans Weddo von
Glümer's. Näheres über den begabten Nünſtler, der gegen-
wärtig an einem Denkmal Aaiſer Friedrich's für Magdeburg
arbeitet, brachten wir ſchon bei Gelegenheit der Reproduktion
eines anderen temperamentvollen Werkes, das v. Glümer aus
der Nibelungenſage ſchöpfte, des Ringkampfes von Brunhilde
und Siegfried. Eine edle wahrhaft ſchönſinnige Auffaſſung
und ausgezeichnete Durchbildung des menſchlichen Körpers ver-
Von Glümer ſcheint in der That berufen zu ſein, der „Siegfrieds-
figur“ Haiſer Friedrich's, deſſen bisherige monumentale Dar-
ſtellung bekanntlich noch ſehr zu wünſchen übrig ließ, einmal
wirklich gerecht zu werden. G.
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Nr. 16
Münchner Nunstschau.
ſtellt, kann man nach Berlin wenig Neues be-
richten. Er hat ſich nun einmal ſelbſtiſch in ſeiner
Manier feſtgebiſſen, und von ſeinen Grunewaldland-
ſchaften ſieht darum eine ebenſo aus wie die andere —
ſtille, tiefblaue Seen, Kiefern in matter Abendſonne,
ſilhouettenhaft in der Manier des Japaners Hokuſai
vor den Hintergrund geſetzt, ein heller, ſandiger Weg
und ein Stückchen wolkigen Himmels darüber. Neue
Motive brachten nur ein paar Gouachen, die ſtille, ein-
fältige Dörfer zeigen, die ſich an die bewaldeten Hänge
imponirender Berge ſchmiegen. In dieſen Stücken
bieten ſich koloriſtiſche und lineare Reize eigener Art,
doch hat Leiſtikow auch hier, wo ungezügeltes, wildes
und ſtilfernes Sich⸗aus⸗ leben das einzig Richtige geweſen
wäre, ſeine fatal ſtiliſirte dekorative Linie in die Land-
ſchaft hereingezogen. Am beſten wirkt noch ein Hafen-
bild, wo durch pikante und geſchickte Ueberſchneidungen
allerlei gefällige Reize erzielt wurden.
Im nämlichen Salon zeigt Wera von Bartels
ihre Wachsplaſtiken, ſehr geſchickte Darſtellungen von
Thieren, polychrom und darum zuweilen eine frappante
Vaturwirkung erreichend. Allerdings fehlt der große
Sug, der etwa die CThierplaſtiken des Berliners Gaul
auszeichnet, es iſt mehr frauenzimmerlich-liebenswürdige
Spielerei, aber nicht ohne anmuthige Gefälligkeit.
Der Graphiker Gottardo Segantini, der gleich-
falls bei Heinemann ausſtellt, iſt zweifellos ein geſchickter
Techniker. Solange er Radirungen nach den Werken
ſeines großen Vaters Giovanni Segantini vorweiſt,
können wir ihm eine ſchöne Anerkennung nicht verſagen,
ſobald er ſich jedoch an eigene Geſtaltungen macht
(er liebt bibliſche Stoffe darzuſtellen), verſagt ſeine
Kraft, ſein Geſtalten wird zur lächerlichen Grimaſſe.
Der Kunſtverein bot Allerlei in ſeinen Wochen-
ausſtellungen, das einer kurzen Aufzeichnung werth iſt.
Faber du Faure der Jüngere zeigte ſeine tüchtigen Por-
träts vor, er bewies dabei, daß er von Leibl viel ge-
lernt hat (mit einem feinen Einſchlag Marces'ſcher
Fineſſen), daß es ihm auf eine ehrlich nüchterne Porträt-
wirkung, bei der freilich die raumproblematiſchen Er-
wägungen keine kleine Rolle ſpielen, in erſter Linie an-
kommt. Doch kann auch eine ſeeliſche Durcharbeitung
den Bildniſſen nicht abgeſprochen werden. — Walter
Geffcken iſt einer von den „Böcklin-Malern“. Dieſe
neuerdings ſo ſehr in Schwung kommende Nachahmerei
des großen Meiſters hat eine fatale Seite: ſie kann
einem mit der Seit die ganze Richtung, womöglich
ſogar den Meiſter Böcklin ſelber, verleiden. Wie die
Defregger-Kopirerei Manchem den braven, tüchtigen
Meiſter verleidet hat. Um Geffcken iſt es ſchade, daß
er bei dieſem Rummel, den in München ein gewiſſer
Kuſchel beſonders ſchlimm treibt, mitthut. Denn gerade
die feinen Gelwiſchbildchen, übrigens techniſche Meiſter-
ſtücke, die wir im Kunſtverein ſahen, berechtigen zu der
Annahme, daß dieſer Künſtler viel Eigenes, viel Grigi-
nelles zu geben hätte. Alſo weg mit allen Meerjung-
frauen und Seeungeheuern und Fabelweſen, und die
Sügel geſtrafft zu ernſter Selbſtzucht! ;
Ernſt Dargen, der neulich ſchon mit einer Atelier-
ausſtellung hervortrat, zeigt uns in delikaten Aquarell-
bildchen eine Reihe intimer, anheimelnder Städtebilder.
Die Pſyche der altdeutſchen, ſowohl der romaniſchen
als der gothiſchen Stadt hat dieſer talentvolle Künſtler
tief ergründet. Die fränkiſchen, ſchwäbiſchen und bay-
riſchen Städte zumal kennt er genau, mehr noch er
liebt ſie, vertieft, vergräbt ſich in ſie. Er malt ſie nicht
nur, er iſt auch ſozuſagen ihr Hiſtoriker. Denn in dieſen
Aquarellen ſteckt ein Stück Kulturgeſchichte. Man müßte
von Staats wegen Dargen hinſchicken und ihn alle
dieſe reizvollen Stadtbilder, Thürme, Patrizierhäuſer,
Kirchen und vergeſſenen, grünbewachſenen Mauerwinkel
malen laſſen, bevor ſie wie alles Alte, Enge, Traute
dem unrettbaren Untergang, den die gefräßige Groß-
fallen.
Zuletzt noch ein Wort über die Schiller-
Ausſtellung, die vom A. Kupferſtichkabinet veran-
ſtaltet wird. Da ſieht man nicht allein die ſämmtlichen
Schiller⸗Porträts, von Höflinger, Graff, Simanowitz an-
gefangen bis herunter zu den letzten, die Karl Bauer
und — beſonders glücklich wie mir ſcheinen will —
Leo Samberger geſchaffen haben, ſondern auch, und
das iſt wohl das Intereſſantere, eine Serie von Re-
produktionen nach Werken, die das Verhältniß der bil-
denden Kunſt zu den Dichtungen des großen Poeten
zur Anſchauung bringen. Es iſt erſtaunlich, wieviele
Künſtler Schiller's Genius geopfert haben. Namentlich
die „Glocke“ bot ſtets reichen Stoff für den Künſtler.
Ludwig Richter's berühmte Seichnungen zu dieſem Ge-
dichte — 16 an der Sahl — ſind wohl allbekannt,
Nilſon, Adrian Schleich, Liezen⸗Maper, Retzſch — heute
faſt alle vergeſſen — ließen ſich gleichfalls von Schiller's
Genius begeiſtern, Moritz von Schwind, Anton von
Werner, Ramberg, Piloty, Schraudolph, Thumann,
Rethel, Wilhelm von Diez, aber auch erſtaunlicher
Weiſe die Modernen, die doch ſonſt ſo gern die Illu-
ſtrationen zu Klaſſikern mit einem Lächeln abthun,
haben zur Verherrlichung Schiller's beigetragen: es ſeien
hier die Namen Klinger, Erler, Eichler, Rieth, Püttner
und Münzer genannt. So einigt ſich alſo im Namen
und im Geiſte eines überragenden Führers deutſcher
Kultur alte und neue Kunſt in harmoniſcher Eintracht.
Georg Jacob Wolf.
@»N
Unsere Abbildung.
Held Siegfried, der ſich nach Erlegung des böſen „Wurmes“
Fafner im Drachenblut badet, iſt das Motiv dieſer überaus
reizvollen prächtig bewegten Statuette hans Weddo von
Glümer's. Näheres über den begabten Nünſtler, der gegen-
wärtig an einem Denkmal Aaiſer Friedrich's für Magdeburg
arbeitet, brachten wir ſchon bei Gelegenheit der Reproduktion
eines anderen temperamentvollen Werkes, das v. Glümer aus
der Nibelungenſage ſchöpfte, des Ringkampfes von Brunhilde
und Siegfried. Eine edle wahrhaft ſchönſinnige Auffaſſung
und ausgezeichnete Durchbildung des menſchlichen Körpers ver-
Von Glümer ſcheint in der That berufen zu ſein, der „Siegfrieds-
figur“ Haiſer Friedrich's, deſſen bisherige monumentale Dar-
ſtellung bekanntlich noch ſehr zu wünſchen übrig ließ, einmal
wirklich gerecht zu werden. G.
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