327
Traum.“ Dieſer alte Philoſoph, der, den Bart in die
Hand ſtützend, über das Leben nachſinnt, iſt fürwahr
ein ins Göttliche geſteigerter Menſchentypus. J. Van-
hamme beobachtete einen Armen, wohl einen Blinden,
beim Eſſen und brachte das Sitterige der Bewegung
vorzüglich zum Ausdruck. ; r
Unter den franzöſiſchen Plaſtikern ſteht A SBar
tholomé, der Meiſter des Todtenmonumentes auf dem
Pariſer Friedhofe Perè-Lachaiſe, obenan. Ein Fragment
dieſes ergreifenden Schickſalsdenkmals, ferner die
rührend wahre Statuette eines weinenden Mädchens
und eine „Badende“ ſind als Muſter ſeines Stiles aus-
geſtellt. E. Dagouet ſtellt das „Verlorene Paradies“
zugleich ſehr lebensvoll und dabei ſein Können geſchickt
offenbarend, als zuſammengekauerte Aktfigur dar. Den
Schmerz verkörpert J. Sscoula durch einen keuſchen
Frauenkopf, der wie geiſtesabweſend, verhärmt, zur
Seite ſchaut. Ganz großartig in der dramatiſchen Be-
lebung des Vorwurfes iſt E. Fremiet's Gorilla ge-
lungen. Das wildpfauchende Tier, das trotz ſeiner
Verwundung noch Steine auf ſeine Verfolger ſchleudert,
iſt ergreifend zu der hilfloſen Frau, die er fortſchleppt,
kontraſtirt. Etwas äutzerlich muthet Guilloux's „Eva,
die Leiche Abel's findend“ an. Ein Meiſterſtück da-
gegen iſt Labatut's „Märtprer“: ein Kind, das ge-
feſſelt, den wilden Thieren vorgeworfen werden ſoll.
Der halbreife Körper des Knaben iſt ebenſo trefflich
modellirt, wie der Ausdruck der willenloſen Reſignation
tief erfühlt! Sbenſo ausgezeichnet traf Villeneuve
bei ſeinem, der Schindung durch Apoll harrenden
Marſpas die Darſtellung ohnmächtiger Wuth. Das
CTypiſcheſte leiſten indeß die Franzoſen als Bildhauer in
der polychromen Kleinplaſtik: Rivière-⸗Theodore's
„Triumph der Courtiſane“, Lafont!s „Geiſt der
Ruinen“ — das iſt echte franzöſiſche Plaſtik!
München:
IA. Internationale Kunstausstellung.
$ A. v. Kaulbach-⸗Ausſtellung. — Cuitpold-
Gruppe.
8 it der gewohnten Verſpätung iſt Fritz Auguſt
0 von Kaulbach in den Glaspalaſt eingezogen.
Go Man hat ihm für ſeine, fünfzehn Gemälde
umfaſſende Kollektion ein eigenes Sälchen eingeräumt,
nicht ferne von jenem, das heute noch das Lenbach-
Kabinet genannt wird. Die Wände des Vaulbach-
Saales ſind mit ſchöner, weinrother Seide beſpannt,
Spiegel. Möbel und Teppiche im Stil der Hoch-
Renaiſſance verleihen dem Raume eine ihn vor allen
anderen auszeichnende Traulichkeit.
Lenbach iſt todt — es lebe Kaulbach! Das ſcheint
die neue Deviſe der konſervativ geſinnten Münchner
Künſtlerſchaft zu ſein. Man braucht einen Führer, mit
dem man prunken kann, der einen „herausreißt“, denn
man hat ſonſt ſo herzlich wenig, womit man Prunk
machen kann. Nun, Kaulbach hat gewiß etwas Hin-
reißendes und ſeine Kunſt iſt prunkend und höfiſchwor-
nehm. Aehnlich wie Lenbach, landete er beim Frauen-
porträt, das er repräſentativ, ſchmiegſam, pikant, das
Repertoire als Damenmaler umfaßt die endloſe Skala
von der Fürſtin bis zur Tänzerin. Und ob es die eine,
ob es die andere iſt — Kaulbach iſt der begeiſterte,
ſchwärmeriſche Verehrer ihrer Schönheit, der allenfalls
ſeinen Huldigungen durch einige Retouchen eventueller
Schönheitsfehler mehr innere Berechtigung zu geben
Gleich Lenbach lehnt er ſich zuweilen gern
an kunſthiſtoriſche Vorbilder; Bordone, Tizian, Sebaſtiano
del Piombo, Bronzino und neuerdings die großen Eng-
länder, Gainsborouggh und Romney, Hoppner und
Lawrence, haben ſeiner Runſt manche Anregung ge-
geben. Die Engländer hauptſächlich nach der Seite
hin, daß er nun gern ein wenig Candſchaft auf ſeinen
Porträts anbringt. So erinnert auf der gegenwärtigen
Ausſtellung das koloriſtiſch ſehr pikante, auch geiſtig fein
wenig an Francis Cotes' Porträt der Miß Strafford.
Und auch ſeine neuerliche und neueſte Spezialität, das
Kinderporträt, läßt an Arbeiten Romnep's, Reynold's
und Raeburn's denken. .
In beſonders feiner und freier Weiſe iſt ein in
ziemlich tiefe Perſpektive gerückter landſchaftlicher Binter-
grund auf dem Bild behandelt, das eine Dame in tief-
violettem Kleid mit grünen Aermeln darſtellt: hier ſteckt
etwas Giorgioneskes in der landſchaftlichen Darſtellung.
Auch das Porträt an ſich iſt hier ſehr gut gelungen.
Den Schmelz der Haare, das wunderſam funkelnde
Augenpaar — wahrhaftig Lenbach, der ja gerade auf
dieſe Dinge ſeine große künſtleriſche Kraft warf, hätte
das nicht beſſer, nicht ſüßer herausgebracht. Ein Porträt
von des Künſtlers Gemahlin ſieht ein wenig nach der
Schablone aus, die ſich Kaulbach dafür ein für alle
Mal angelegt hat; ein Bildniß der Tänzerin Cleo iſt
meines Erachtens zu vornehm-würdig, zu ruhig gehalten
herausgekommen, auch eine Dame in weißem Kleid mit
Hund riecht ein wenig nach Konvention, aber ſonſt ſind
die Bilder, unter denen ſich übrigens auch ein in den
Farben ſehr gut zuſammengehendes Blumen-⸗Stillleben
befindet, durchaus erfreulich und ein Zeichen dafür, daß
Kaulbach's Kunſt noch nicht in einer ganz verbiſſenen
und verbohrten Manier ſich feſtgelegt hat, ſondern noch
Entwicklungsmöglichkeiten trotz aller Reife in ſich trägt.
Fritz Auguſt von Kaulbach iſt heute fünfundfünfzig⸗—
jährig. Auf einem würdig kraftvollen Selbſtporträt
hat er ſich mit großer Ehrlicheit und Gffenheit dar-
geſtellt — ein wenig angegraut, aber mit blitzender
Kraft in den etwas kleinen, ſcharfen Augen, halb
eleganter Weltmann, halb unbeſorgter Künſtler, vor
Allem aber ein energiſcher Mann, der nun, da die
Bahn für ihn frei iſt, da er der unbeſtrittene Führer
des konſervativeren Theiles der Münchner Künſtlerſchaft
iſt, ſein eben und ſeine Kunſt erſt mit neuer Luſt und
neuer Kraft in die Hand nehmen wird, der, ſo wollen
wir hoffen, ſich nicht an ſtarre und gefrorene Traditionen
und Vonventionen wird binden laſſen, ſondern auch
helläugig die Vortheile der neuen künſtleriſchen Er-
rungenſchaften wird anerkennen und anwenden wollen.
Denkt Kaulbach ſeiner künſtleriſchen Thätigkeit, wie ſich
ja wohl aus manchen kleinen und halbverſteckten, aber
trotzdem untrüglichen Anzeichen ſchließen läßt, in Su-
kunft eine freiere, aller Manier bare Richtung zu geben,
freuen haben. Und zu Ruhm und Ehr' der deutſchen
Kunſt wird er ſo manches Meiſterwerk zu ſchaffen in
der Lage ſein. ;
Die Luitpold⸗Gruppe bildet ein Bindeglied zwiſchen
Künſtlergenoſſenſchaft und Sezeſſion, für die eine zu
revolutionär, für die andere zu konſervativ, hält ſie ſich
lachend in der goldenen Mitte. M
Traum.“ Dieſer alte Philoſoph, der, den Bart in die
Hand ſtützend, über das Leben nachſinnt, iſt fürwahr
ein ins Göttliche geſteigerter Menſchentypus. J. Van-
hamme beobachtete einen Armen, wohl einen Blinden,
beim Eſſen und brachte das Sitterige der Bewegung
vorzüglich zum Ausdruck. ; r
Unter den franzöſiſchen Plaſtikern ſteht A SBar
tholomé, der Meiſter des Todtenmonumentes auf dem
Pariſer Friedhofe Perè-Lachaiſe, obenan. Ein Fragment
dieſes ergreifenden Schickſalsdenkmals, ferner die
rührend wahre Statuette eines weinenden Mädchens
und eine „Badende“ ſind als Muſter ſeines Stiles aus-
geſtellt. E. Dagouet ſtellt das „Verlorene Paradies“
zugleich ſehr lebensvoll und dabei ſein Können geſchickt
offenbarend, als zuſammengekauerte Aktfigur dar. Den
Schmerz verkörpert J. Sscoula durch einen keuſchen
Frauenkopf, der wie geiſtesabweſend, verhärmt, zur
Seite ſchaut. Ganz großartig in der dramatiſchen Be-
lebung des Vorwurfes iſt E. Fremiet's Gorilla ge-
lungen. Das wildpfauchende Tier, das trotz ſeiner
Verwundung noch Steine auf ſeine Verfolger ſchleudert,
iſt ergreifend zu der hilfloſen Frau, die er fortſchleppt,
kontraſtirt. Etwas äutzerlich muthet Guilloux's „Eva,
die Leiche Abel's findend“ an. Ein Meiſterſtück da-
gegen iſt Labatut's „Märtprer“: ein Kind, das ge-
feſſelt, den wilden Thieren vorgeworfen werden ſoll.
Der halbreife Körper des Knaben iſt ebenſo trefflich
modellirt, wie der Ausdruck der willenloſen Reſignation
tief erfühlt! Sbenſo ausgezeichnet traf Villeneuve
bei ſeinem, der Schindung durch Apoll harrenden
Marſpas die Darſtellung ohnmächtiger Wuth. Das
CTypiſcheſte leiſten indeß die Franzoſen als Bildhauer in
der polychromen Kleinplaſtik: Rivière-⸗Theodore's
„Triumph der Courtiſane“, Lafont!s „Geiſt der
Ruinen“ — das iſt echte franzöſiſche Plaſtik!
München:
IA. Internationale Kunstausstellung.
$ A. v. Kaulbach-⸗Ausſtellung. — Cuitpold-
Gruppe.
8 it der gewohnten Verſpätung iſt Fritz Auguſt
0 von Kaulbach in den Glaspalaſt eingezogen.
Go Man hat ihm für ſeine, fünfzehn Gemälde
umfaſſende Kollektion ein eigenes Sälchen eingeräumt,
nicht ferne von jenem, das heute noch das Lenbach-
Kabinet genannt wird. Die Wände des Vaulbach-
Saales ſind mit ſchöner, weinrother Seide beſpannt,
Spiegel. Möbel und Teppiche im Stil der Hoch-
Renaiſſance verleihen dem Raume eine ihn vor allen
anderen auszeichnende Traulichkeit.
Lenbach iſt todt — es lebe Kaulbach! Das ſcheint
die neue Deviſe der konſervativ geſinnten Münchner
Künſtlerſchaft zu ſein. Man braucht einen Führer, mit
dem man prunken kann, der einen „herausreißt“, denn
man hat ſonſt ſo herzlich wenig, womit man Prunk
machen kann. Nun, Kaulbach hat gewiß etwas Hin-
reißendes und ſeine Kunſt iſt prunkend und höfiſchwor-
nehm. Aehnlich wie Lenbach, landete er beim Frauen-
porträt, das er repräſentativ, ſchmiegſam, pikant, das
Repertoire als Damenmaler umfaßt die endloſe Skala
von der Fürſtin bis zur Tänzerin. Und ob es die eine,
ob es die andere iſt — Kaulbach iſt der begeiſterte,
ſchwärmeriſche Verehrer ihrer Schönheit, der allenfalls
ſeinen Huldigungen durch einige Retouchen eventueller
Schönheitsfehler mehr innere Berechtigung zu geben
Gleich Lenbach lehnt er ſich zuweilen gern
an kunſthiſtoriſche Vorbilder; Bordone, Tizian, Sebaſtiano
del Piombo, Bronzino und neuerdings die großen Eng-
länder, Gainsborouggh und Romney, Hoppner und
Lawrence, haben ſeiner Runſt manche Anregung ge-
geben. Die Engländer hauptſächlich nach der Seite
hin, daß er nun gern ein wenig Candſchaft auf ſeinen
Porträts anbringt. So erinnert auf der gegenwärtigen
Ausſtellung das koloriſtiſch ſehr pikante, auch geiſtig fein
wenig an Francis Cotes' Porträt der Miß Strafford.
Und auch ſeine neuerliche und neueſte Spezialität, das
Kinderporträt, läßt an Arbeiten Romnep's, Reynold's
und Raeburn's denken. .
In beſonders feiner und freier Weiſe iſt ein in
ziemlich tiefe Perſpektive gerückter landſchaftlicher Binter-
grund auf dem Bild behandelt, das eine Dame in tief-
violettem Kleid mit grünen Aermeln darſtellt: hier ſteckt
etwas Giorgioneskes in der landſchaftlichen Darſtellung.
Auch das Porträt an ſich iſt hier ſehr gut gelungen.
Den Schmelz der Haare, das wunderſam funkelnde
Augenpaar — wahrhaftig Lenbach, der ja gerade auf
dieſe Dinge ſeine große künſtleriſche Kraft warf, hätte
das nicht beſſer, nicht ſüßer herausgebracht. Ein Porträt
von des Künſtlers Gemahlin ſieht ein wenig nach der
Schablone aus, die ſich Kaulbach dafür ein für alle
Mal angelegt hat; ein Bildniß der Tänzerin Cleo iſt
meines Erachtens zu vornehm-würdig, zu ruhig gehalten
herausgekommen, auch eine Dame in weißem Kleid mit
Hund riecht ein wenig nach Konvention, aber ſonſt ſind
die Bilder, unter denen ſich übrigens auch ein in den
Farben ſehr gut zuſammengehendes Blumen-⸗Stillleben
befindet, durchaus erfreulich und ein Zeichen dafür, daß
Kaulbach's Kunſt noch nicht in einer ganz verbiſſenen
und verbohrten Manier ſich feſtgelegt hat, ſondern noch
Entwicklungsmöglichkeiten trotz aller Reife in ſich trägt.
Fritz Auguſt von Kaulbach iſt heute fünfundfünfzig⸗—
jährig. Auf einem würdig kraftvollen Selbſtporträt
hat er ſich mit großer Ehrlicheit und Gffenheit dar-
geſtellt — ein wenig angegraut, aber mit blitzender
Kraft in den etwas kleinen, ſcharfen Augen, halb
eleganter Weltmann, halb unbeſorgter Künſtler, vor
Allem aber ein energiſcher Mann, der nun, da die
Bahn für ihn frei iſt, da er der unbeſtrittene Führer
des konſervativeren Theiles der Münchner Künſtlerſchaft
iſt, ſein eben und ſeine Kunſt erſt mit neuer Luſt und
neuer Kraft in die Hand nehmen wird, der, ſo wollen
wir hoffen, ſich nicht an ſtarre und gefrorene Traditionen
und Vonventionen wird binden laſſen, ſondern auch
helläugig die Vortheile der neuen künſtleriſchen Er-
rungenſchaften wird anerkennen und anwenden wollen.
Denkt Kaulbach ſeiner künſtleriſchen Thätigkeit, wie ſich
ja wohl aus manchen kleinen und halbverſteckten, aber
trotzdem untrüglichen Anzeichen ſchließen läßt, in Su-
kunft eine freiere, aller Manier bare Richtung zu geben,
freuen haben. Und zu Ruhm und Ehr' der deutſchen
Kunſt wird er ſo manches Meiſterwerk zu ſchaffen in
der Lage ſein. ;
Die Luitpold⸗Gruppe bildet ein Bindeglied zwiſchen
Künſtlergenoſſenſchaft und Sezeſſion, für die eine zu
revolutionär, für die andere zu konſervativ, hält ſie ſich
lachend in der goldenen Mitte. M