Nr. 18
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nicht zu ſcheuen brauchen. Und das beunruhigt ſchon
jetzt die braven Herren, die unermüdlich im Dienſte der
ſezeſſioniſtiſchen Konkurrenz arbeiten und wühlen, ſo
arg, daß ſie ihren Groll offen gegen Alles, was ſich
im Moabiter Glaspalaſt zuſammengefunden, ſchleudern.
Anathema sit! .
Auch die andern Vollektionen, z. B. der Berliner
Maler Hans Herrmann, W. Hamacher, F. Skarbina
N Jakob, enthalten Arbeiten, die ſich am beſten
Orte ſehen laſſen können. Sin Raum mit feinen
liebenswürdigen Aquarellen gilt dem Andenken des
kürzlich verſtorbenen Wiener Neſtors Rudolf von
Alt, den man an der Donau in begrefflicher lokal-
patriotiſcher Ueberſchätzung in einem Athem gar mit
unſerm Menzel nannte. Sonſt haben wir von aus-
wärtigen Künſtlern und Gruppen vor allem die Düſſel-
dorfer und Münchener Freunde zu begrüßen, denen
ſich dieſes Mal die Dresdener „Elbier“ anreihen-
Leider tritt in den beiden ſchönen Düſſeldorfer Sälen,
die noch immer das Sentrum der Anlage bilden, kein
einziger Schlager aus der Maſſe. Ebenſowenig ſtehen
die reichlichen Beiträge der Münchener Genoſſenſchaft
auf der Höhe des altbewährten Münchener Könnens,
während man bei der Luitpold-Gruppe einer An-
zahl prächtiger Stücke begegnet. Den Seichnern, Bau-
künſtlern und Kunſtgewerblern ſind wie alljährlich einige
Hallen und Säle im Vordertheile des Gebäudes zu
ihren Swecken und theilweiſe wieder recht aufwand-
reichen Arrangements, bei welchen die Moderne zu
ihrem Rechte gelangt, überwieſen worden.
Doch auch in den übrigen Sälen haftet der Blick
intereſſirt an vielen reſpektablen Leiſtungen. Die Menge
der Surückgewieſenen ſoll dieſes Mal die Sahl der
Sugelaſſenen übertroffen haben. Ich will im Singangs-
ſaale von zwei Lenbach's (darunter ein Bismarckporträt
von 1880) nicht weiter reden. Aber der frappant echt
wirkende Greiſenkopf Menzel's von Schulte im Hofe
und eine koloriſtiſch köſtliche beſchneite Rieſengebirgs-
Szenerie von F. Hoffmann- Fallersleben verdienen u. A.
volle Aufmerkſamkeit. Von den heutigen Königsbergern
ſind zwei der künſtleriſchen Häupter, L. Dettmann
und OG. Heichert, nach ihren hier vorgeführten Frei-
luftbildern zu urtheilen, ſich koloriſtiſch ziemlich ähnlich
geworden. Unter den jungen Berliner Talenten bieten
uns hier der ideale Franz Staſſen, beſonders in
ſeinem märchenhaften farbenſatten „Baum der Er-
kenntniß“, A. Achtenhagen, der ſich in das fleiſch-
frohe Gebiet munterer Nymphen hineinwagte, und
Erich Eltze, der mit breiteſtem Pinſel einen Licht und
Ra umeffekt gab, Anlaß zu lohnender Betrachtung.
Die Plaſtik tritt dieſes Mal erheblicher als im
Vorjahre gegen die Schweſterkunſt zurück. Im Garten
übt F. Heinemann's geduckt fliehender Kain durch
den Ausdruck ungeſtümer Bewegung in Bronze noch
eine ſtärkere Wirkung aus als der vorjährige Gips-
abguß. Sine eminente wuchtige Leiſtung iſt Guſtav
ESberlein's marmorne Roloſſalgruppe Gottvater's, der
Adam ſeinen Odem durch den Mund einflößt; und
wenn auch deſſelben Künſtlers ſterbender Goethe, welcher
weit vorgebeugt im Lehnſtuhl ſitzt, wohl kaum ein
plaſtiſches Motiv iſt, um das man den Meiſter ehrlich
beglückwünſchen kann, ſo muß man doch die tiefbeſeelte
Schönheit des wahrhaft durchgeiſtigten greiſen Dichter-
antlitzes, deſſen leuchtender Blick gleichſam ſchon die
Räthſel des Jenſeits durchdringt, unbedingt bewundern.
Doch — wie geſagt: Anathema sit!
.
Von Londoner Kunst.
Von Bertha Thomas, London.
0 ſaß uns die zweite Hälfte dieſes Winters nicht
5 weniger als vier bedeutende Ausſtellungen
— moderner Malereien brachte — ungerechnet
eine Anzahl kleinerer Veranſtaltungen —, legt unbedingt
Seugniß ab für das auch hier hochgeſteigerte Kunſt-
leben. Den Anfang machte die Royal Academy mit
einer ebenſo reichhaltigen, wie denkwürdigen Leih-
ausſtellung des verewigten G. F. Watts, die dieſen
Künſtler in allen Phaſen ſeiner ſiebenzigjährigen Lauf-
bahn repräſentirte. In der Grafton-Gallerie fand als-
dann eine wohlbeſchickte Ausſtellung lebender und ver-
ſtorbener franzöſiſcher Meiſter der impreſſioniſtiſchen
Schule ſtatt, womit einem wirklichen Mangel abgeholfen
wurde, da die Bekanntſchaft des engliſchen Publikums
mit den Werken Manet's und ſeiner Anhänger trotz
endloſer Erörterungen und Geredes darüber nur eine
recht geringe und beſchränkte war. In der New
Gallery hat die Internationale Geſellſchaft ihre jähr-
liche Ausſtellung gehalten, die aber bald ſchon einer
anderen Platz machte, nämlich der zum Gedächtniß des
erſten Präſidenten der Vereinigung James M.
Whiſtler vorgeführten Sonderaußſtellung.
Von Watts' Lebenswerk iſt das meiſte ſo gut be-
kannt, daß jetzt noch kaum etwas darüber geſagt werden
braucht. Der Eindruck, den die Geſammtmuſterung er-
gab, war der einer impoſanten Beſtätigung der Größe
ſeines Schaffens, wie des bleibenden Werthes ſeiner
beſten Erzeugniſſe. Es iſt erſtaunlich, wie wenig alle
künſtleriſchen Revolutionen, Neuerungen und wechſelnden
Geſchmacksrichtungen der Seit gegen dieſes Künftlers
Attraktionskraft vermocht haben. Sein Schaffen er-
man die Motive gern aus dem höheren Geiſtesleben
des 19. Jahrhunderts ſchöpfte und nach einem male-
riſchen Ausdruck für die idealen Intereſſen ſtrebte.
Watts' Ruhm baſirte bisher ſo weſentlich auf ſeinen
Leiſtungen in der Bildnißmalerei und auf ſeinen allego-
riſchen Gemälden, daß ſeine großartigen und höchſt
charakteriſtiſchen Candſchaften hier jetzt förmlich eine
Ueberraſchung darboten.
Die Internationale fiel diesmal trotz zweier be-
deutender Beiträge ihres Präſidenten Rodin, „Femme
Couchée“ und „La main de Dieu“, wie einiger ſeiner
Skizzen, gegen die vorherigen Ausſtellungen etwas ab.
Ein gute Ausſtellung von modernen Werken aus allen
Ländern iſt gewiß ein lobenswerthes Unternehmen, aber
(wie wir ſchon früher an dieſer Stelle ſagten) ein ſolches,
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nicht zu ſcheuen brauchen. Und das beunruhigt ſchon
jetzt die braven Herren, die unermüdlich im Dienſte der
ſezeſſioniſtiſchen Konkurrenz arbeiten und wühlen, ſo
arg, daß ſie ihren Groll offen gegen Alles, was ſich
im Moabiter Glaspalaſt zuſammengefunden, ſchleudern.
Anathema sit! .
Auch die andern Vollektionen, z. B. der Berliner
Maler Hans Herrmann, W. Hamacher, F. Skarbina
N Jakob, enthalten Arbeiten, die ſich am beſten
Orte ſehen laſſen können. Sin Raum mit feinen
liebenswürdigen Aquarellen gilt dem Andenken des
kürzlich verſtorbenen Wiener Neſtors Rudolf von
Alt, den man an der Donau in begrefflicher lokal-
patriotiſcher Ueberſchätzung in einem Athem gar mit
unſerm Menzel nannte. Sonſt haben wir von aus-
wärtigen Künſtlern und Gruppen vor allem die Düſſel-
dorfer und Münchener Freunde zu begrüßen, denen
ſich dieſes Mal die Dresdener „Elbier“ anreihen-
Leider tritt in den beiden ſchönen Düſſeldorfer Sälen,
die noch immer das Sentrum der Anlage bilden, kein
einziger Schlager aus der Maſſe. Ebenſowenig ſtehen
die reichlichen Beiträge der Münchener Genoſſenſchaft
auf der Höhe des altbewährten Münchener Könnens,
während man bei der Luitpold-Gruppe einer An-
zahl prächtiger Stücke begegnet. Den Seichnern, Bau-
künſtlern und Kunſtgewerblern ſind wie alljährlich einige
Hallen und Säle im Vordertheile des Gebäudes zu
ihren Swecken und theilweiſe wieder recht aufwand-
reichen Arrangements, bei welchen die Moderne zu
ihrem Rechte gelangt, überwieſen worden.
Doch auch in den übrigen Sälen haftet der Blick
intereſſirt an vielen reſpektablen Leiſtungen. Die Menge
der Surückgewieſenen ſoll dieſes Mal die Sahl der
Sugelaſſenen übertroffen haben. Ich will im Singangs-
ſaale von zwei Lenbach's (darunter ein Bismarckporträt
von 1880) nicht weiter reden. Aber der frappant echt
wirkende Greiſenkopf Menzel's von Schulte im Hofe
und eine koloriſtiſch köſtliche beſchneite Rieſengebirgs-
Szenerie von F. Hoffmann- Fallersleben verdienen u. A.
volle Aufmerkſamkeit. Von den heutigen Königsbergern
ſind zwei der künſtleriſchen Häupter, L. Dettmann
und OG. Heichert, nach ihren hier vorgeführten Frei-
luftbildern zu urtheilen, ſich koloriſtiſch ziemlich ähnlich
geworden. Unter den jungen Berliner Talenten bieten
uns hier der ideale Franz Staſſen, beſonders in
ſeinem märchenhaften farbenſatten „Baum der Er-
kenntniß“, A. Achtenhagen, der ſich in das fleiſch-
frohe Gebiet munterer Nymphen hineinwagte, und
Erich Eltze, der mit breiteſtem Pinſel einen Licht und
Ra umeffekt gab, Anlaß zu lohnender Betrachtung.
Die Plaſtik tritt dieſes Mal erheblicher als im
Vorjahre gegen die Schweſterkunſt zurück. Im Garten
übt F. Heinemann's geduckt fliehender Kain durch
den Ausdruck ungeſtümer Bewegung in Bronze noch
eine ſtärkere Wirkung aus als der vorjährige Gips-
abguß. Sine eminente wuchtige Leiſtung iſt Guſtav
ESberlein's marmorne Roloſſalgruppe Gottvater's, der
Adam ſeinen Odem durch den Mund einflößt; und
wenn auch deſſelben Künſtlers ſterbender Goethe, welcher
weit vorgebeugt im Lehnſtuhl ſitzt, wohl kaum ein
plaſtiſches Motiv iſt, um das man den Meiſter ehrlich
beglückwünſchen kann, ſo muß man doch die tiefbeſeelte
Schönheit des wahrhaft durchgeiſtigten greiſen Dichter-
antlitzes, deſſen leuchtender Blick gleichſam ſchon die
Räthſel des Jenſeits durchdringt, unbedingt bewundern.
Doch — wie geſagt: Anathema sit!
.
Von Londoner Kunst.
Von Bertha Thomas, London.
0 ſaß uns die zweite Hälfte dieſes Winters nicht
5 weniger als vier bedeutende Ausſtellungen
— moderner Malereien brachte — ungerechnet
eine Anzahl kleinerer Veranſtaltungen —, legt unbedingt
Seugniß ab für das auch hier hochgeſteigerte Kunſt-
leben. Den Anfang machte die Royal Academy mit
einer ebenſo reichhaltigen, wie denkwürdigen Leih-
ausſtellung des verewigten G. F. Watts, die dieſen
Künſtler in allen Phaſen ſeiner ſiebenzigjährigen Lauf-
bahn repräſentirte. In der Grafton-Gallerie fand als-
dann eine wohlbeſchickte Ausſtellung lebender und ver-
ſtorbener franzöſiſcher Meiſter der impreſſioniſtiſchen
Schule ſtatt, womit einem wirklichen Mangel abgeholfen
wurde, da die Bekanntſchaft des engliſchen Publikums
mit den Werken Manet's und ſeiner Anhänger trotz
endloſer Erörterungen und Geredes darüber nur eine
recht geringe und beſchränkte war. In der New
Gallery hat die Internationale Geſellſchaft ihre jähr-
liche Ausſtellung gehalten, die aber bald ſchon einer
anderen Platz machte, nämlich der zum Gedächtniß des
erſten Präſidenten der Vereinigung James M.
Whiſtler vorgeführten Sonderaußſtellung.
Von Watts' Lebenswerk iſt das meiſte ſo gut be-
kannt, daß jetzt noch kaum etwas darüber geſagt werden
braucht. Der Eindruck, den die Geſammtmuſterung er-
gab, war der einer impoſanten Beſtätigung der Größe
ſeines Schaffens, wie des bleibenden Werthes ſeiner
beſten Erzeugniſſe. Es iſt erſtaunlich, wie wenig alle
künſtleriſchen Revolutionen, Neuerungen und wechſelnden
Geſchmacksrichtungen der Seit gegen dieſes Künftlers
Attraktionskraft vermocht haben. Sein Schaffen er-
man die Motive gern aus dem höheren Geiſtesleben
des 19. Jahrhunderts ſchöpfte und nach einem male-
riſchen Ausdruck für die idealen Intereſſen ſtrebte.
Watts' Ruhm baſirte bisher ſo weſentlich auf ſeinen
Leiſtungen in der Bildnißmalerei und auf ſeinen allego-
riſchen Gemälden, daß ſeine großartigen und höchſt
charakteriſtiſchen Candſchaften hier jetzt förmlich eine
Ueberraſchung darboten.
Die Internationale fiel diesmal trotz zweier be-
deutender Beiträge ihres Präſidenten Rodin, „Femme
Couchée“ und „La main de Dieu“, wie einiger ſeiner
Skizzen, gegen die vorherigen Ausſtellungen etwas ab.
Ein gute Ausſtellung von modernen Werken aus allen
Ländern iſt gewiß ein lobenswerthes Unternehmen, aber
(wie wir ſchon früher an dieſer Stelle ſagten) ein ſolches,