Nr. 9
Angeſichts ſolcher Vorgänge erſchien es uns nur
als Pflicht, ſo nachdrücklich wie möglich zu warnen.
Den deutſchen Künſtlern aller Richtungen und Parteien,
gleichgültig ob von rechts, von links oder vom Sentrum,
empfehlen wir gegen dieſe geplante Vergewaltigung
des Geſchmacks, der Ehrlichkeit und der Vernunft ihre
Stimme zu erheben.
G. G.
Franz Stassen.
Von Lothar Brieger-Waſſervogel, Weimar.
Hierzu eine Abbildung.
F. nter den ſehr zahlreichen Künſtlern, die ſich in
unſerer Seit den Aufgaben der Illuſtration ge-
widmet haben, iſt Franz Staſſen unſtreitig einer
der populärſten, deſſen Schöpfungen in ſehr weiten
Kreiſen Anklang und in viele ſonſt der Kunſt nicht allzu
zugängliche Kreiſe eingang gefunden haben. Das iſt
ein wenig räthſelhaft. Denn das Viele, was Staſſen
ſozuſagen für den Tagesverbrauch ſchuf, ſeine Illuſtra-
tionen für beliebte illuſtrirte Seitſchriften und Aehnliches
iſt ſehr mittelmäßig, künſtleriſch recht belanglos. Der
Künſtler Staſſen, den auch Ernſtes Fordernde lieben
und hochſchätzen, offenbart ſich in ſeinen großen Syklen,
in einzelnen ſeiner Lithographien und Gemälde und
nicht zum wenigſten in den liebevollen Illuſtrationen,
die er für einige recht abſeits vom Wege liegende
Bücher, wie die feinen Märchen Vollbehr's, Nord-
hauſen's Ars amandi und ähnliche Unternehmungen,
zeichnete. Und gerade dieſer Künſtler iſt eine ſehr be-
deutend anmuthende, eigenartige Perſönlichkeit — ihre
volle Kraft Hat ſie vielleicht am ungebundenſten in den
Ex libris offenbart —, aber er iſt ein harter und nicht
all und jedem zugänglicher Grübler, und er iſt vor
Allem nichts weniger als — modern.
Nehme ich die zeichneriſchen Schöpfungen Staſſen's
zur Hand und ſuche mit ſinnenden Augen hinter ſie zu
blicken, ſo empfange ich den Eindruck eines außer-
ordentlich leidenſchaftlichen Künſtlers, dem die Frau
offenbar die Angel des Weltalls bildet. Neben
dieſem genußſüchtigen Lebensluſtigen aber hockt ein
kleines, graues Männchen, der berühmte Nietzſche'ſche
Swerg vom Thorweg, und legt dem jungen Stürmer
die ſchwerſten und dunkelſten Daſeinsfragen vor. Und
der hält dann ſtille und verſinkt in tiefes Sinnen. Ein
Schatten vom Kreuze, das auf Golgatha ſtand, fällt
aufs heitere Gaſtmahl Plato's und läßt die lebens-
munteren Griechengeſtalten jäh zuſammenfröſteln.
Mit anderen Worten: Franz Staſſen iſt ein
germaniſcher Dichter des Stiftes. Er hat die ganze
ungebändigte Kraft des Gothen, der in die italienſſchen
Gefilde niederſtieg und ſich an Südlandsminne be-
rauſchte. Aber er beſitzt auch die ganze germaniſche
Seelenreinheit, die ſich von der äußeren Erotik an-
gewidert fühlt und nun die Liebe immer mehr zu ver-
edeln und zu vertiefen ſucht. Für Staſſen, den Seichner,
iſt das Mittel zu dieſem Swecke die Kontur. Ein
frühgriechiſches Schönheitsideal ſchwebte ihm in herber
Strenge vor, nachdem er ſich aus dem Renaiſſance-
taumel der Linien ſeiner Frühwerke emporgerungen
hatte. Jetzt iſt er bereits bei altgriechiſchen Vaſen-
bildern angelangt, deren primitive Formengebung ſeinem
Künſtlerauge höchſte Schönheiten vorzuahnen ſcheint.
Vielleicht geht er darin etwas zu weit. Seine letzten
Werke ſind bereits ein wenig nüchtern in ihrer Strenge,
und zu ſeeliſch verklärt ſcheinen ſie ein wenig Sehnſucht
nach dem Fleiſche zu empfinden, das der Künftler ſeinen
Geſtalten früher ſo reichlich ſpendete.
Die zweite Grundſtrömung in Franz Staſſen's
Weſen iſt die chriſtliche, in ihr tritt das gedankliche,
grübleriſche Element des germaniſchen Geiſtes in Er-
ſcheinung. Und auch eine gewiſſe ſchöne und deutſche
Heiterkeit, wenn in einem lieblichen Gemälde der liebe
Herrgott, die Blumen ſegnend, durch die Felder ſchreitet.
Daneben dann der tiefe und düſtere Ernſt der Kreuzigung,
die den Sonnenuntergang der prächtigen Griechenwelt
bedeutet, welche die andere Seele Staſſen's ſo liebt.
Auch eine gewiſſe deutſch-gründliche Wiſſenſchaftlichkeit
fehlt dem letzten Bilde nicht. Die Anordnung der
Menſchen richtet ſich nach den Worten der Bibel, und
nach Klinger's Beiſpiel ſind die Kreuze niedrig gehalten,
und die Gekreuzigten ſitzen auf Pflöcken, wie es die
geſchichtliche Forſchung angiebt. Es iſt ein zweifellos
gutes Bild und ein Bild, dem es nicht an Stimmung
fehlt.
Die Verſöhnung von Heidenthum und Chriſtenthum
iſt indeſſen Franz Staſſen nie geglückt. In weiſer Selbſt-
beſchränkung hat er auf dieſen letzten Verſuch denn
auch meiſtens verzichtet. Nur einmal nahm er ſolchen
Flug, in letzter Seit in ſeinen Illuſtrationen zum zweiten
Theile von Goethe's Fauſt. Und dieſer Verſuch iſt
leider mißglückt. Aus den Abſtraktionen iſt kein Leben
geworden.
Franz Staſſen iſt am 12. Februar 1860 zu Hanau
am Main geboren, ſteht alſo jetzt noch in der erſten
Blüthe ſeines Schaffens und vermäöchte durch allerlei
Ueberraſchungen und Wandlungen den Propheten
Lügen zu ſtrafen, der ihn bereits künſtleriſch einordnen
wollte. Nachdem er die dortige Seichenſchule bis zu
ſeinem J. Lebensjahre beſucht hatte, bezog er die
Berliner Kunſtakademie und verbrachte daſelbſt weitere
ſechs Jahre. Dann ſtellte er ſich mit den üblichen
Schwierigkeiten, denen kein junger Künſtler entgeht,
auf die eigenen Füße, lebte vorübergehend in München
und in Italien, kehrte aber doch immer wieder nach
Berlin zurück, wo er denn ſchließlich auch ſeßhaft
wurde und ja Wirkung und Anerkennung zur Genüge
gefunden hat. Nur im Sommer pflegt er die Reichs-
Hauptſtadt zu verlaſſen und nach der Heimat zu pilgern,
deren landſchaftlichen Reizen wir eine Anzahl ſeiner
feinſten Oelſchilderungen verdanken.
Sein Erſtlingswerk, ein „Todtentanz“, erregte als
Aeußerung eines ſchätzenswerthen Talentes ſtarke Be-
achtung, ſtieß aber auch andererſeits nicht mit Unrecht
durch die allzu grelle Gedanklichkeit und eine noch
ſtarke zeichneriſche Unſelbſtſtändigkeit in einzelnen Blättern
ab. Völlig gefunden hat er ſich aber bereits in ſeinen
ſehr ſchönen Bildern zu „Triſtan und Iſolde“, unſtreitig
ſeinem beſten und bleibendſten Werke und einer Meiſter-
ſchöpfung moderner Illuſtrationskunſt überhaupt, und
in dem freilich weſentlich ſchwächeren „Parſifal“. Daß
ſich ſeine Künſtlernatur von Richard Wagner's Ton-
ſchöpfungen ſtark angezogen fühlte, läßt ſich nach allem
Vorhergeſagten begreifen, man muß es ihm aber auch
laſſen, daß er nicht zum Sklaven des übermächtigen
Genies wurde, ſondern ſich neben ihm eine immerhin
ſehr reſpektable Selbſtſtändigkeit bewahrte. Wenigſten-
in „Triſtan und Iſolde“. Dieſer Zyklus iſt hoher Ge-
danken und tiefer Gefühle ſo voll, daß er jede Abhängig-
keit von der Tonſchöpfung gänzlich verliert und an ſich
durch die ihm innewohnende überzeugende Kraft ergreift
Angeſichts ſolcher Vorgänge erſchien es uns nur
als Pflicht, ſo nachdrücklich wie möglich zu warnen.
Den deutſchen Künſtlern aller Richtungen und Parteien,
gleichgültig ob von rechts, von links oder vom Sentrum,
empfehlen wir gegen dieſe geplante Vergewaltigung
des Geſchmacks, der Ehrlichkeit und der Vernunft ihre
Stimme zu erheben.
G. G.
Franz Stassen.
Von Lothar Brieger-Waſſervogel, Weimar.
Hierzu eine Abbildung.
F. nter den ſehr zahlreichen Künſtlern, die ſich in
unſerer Seit den Aufgaben der Illuſtration ge-
widmet haben, iſt Franz Staſſen unſtreitig einer
der populärſten, deſſen Schöpfungen in ſehr weiten
Kreiſen Anklang und in viele ſonſt der Kunſt nicht allzu
zugängliche Kreiſe eingang gefunden haben. Das iſt
ein wenig räthſelhaft. Denn das Viele, was Staſſen
ſozuſagen für den Tagesverbrauch ſchuf, ſeine Illuſtra-
tionen für beliebte illuſtrirte Seitſchriften und Aehnliches
iſt ſehr mittelmäßig, künſtleriſch recht belanglos. Der
Künſtler Staſſen, den auch Ernſtes Fordernde lieben
und hochſchätzen, offenbart ſich in ſeinen großen Syklen,
in einzelnen ſeiner Lithographien und Gemälde und
nicht zum wenigſten in den liebevollen Illuſtrationen,
die er für einige recht abſeits vom Wege liegende
Bücher, wie die feinen Märchen Vollbehr's, Nord-
hauſen's Ars amandi und ähnliche Unternehmungen,
zeichnete. Und gerade dieſer Künſtler iſt eine ſehr be-
deutend anmuthende, eigenartige Perſönlichkeit — ihre
volle Kraft Hat ſie vielleicht am ungebundenſten in den
Ex libris offenbart —, aber er iſt ein harter und nicht
all und jedem zugänglicher Grübler, und er iſt vor
Allem nichts weniger als — modern.
Nehme ich die zeichneriſchen Schöpfungen Staſſen's
zur Hand und ſuche mit ſinnenden Augen hinter ſie zu
blicken, ſo empfange ich den Eindruck eines außer-
ordentlich leidenſchaftlichen Künſtlers, dem die Frau
offenbar die Angel des Weltalls bildet. Neben
dieſem genußſüchtigen Lebensluſtigen aber hockt ein
kleines, graues Männchen, der berühmte Nietzſche'ſche
Swerg vom Thorweg, und legt dem jungen Stürmer
die ſchwerſten und dunkelſten Daſeinsfragen vor. Und
der hält dann ſtille und verſinkt in tiefes Sinnen. Ein
Schatten vom Kreuze, das auf Golgatha ſtand, fällt
aufs heitere Gaſtmahl Plato's und läßt die lebens-
munteren Griechengeſtalten jäh zuſammenfröſteln.
Mit anderen Worten: Franz Staſſen iſt ein
germaniſcher Dichter des Stiftes. Er hat die ganze
ungebändigte Kraft des Gothen, der in die italienſſchen
Gefilde niederſtieg und ſich an Südlandsminne be-
rauſchte. Aber er beſitzt auch die ganze germaniſche
Seelenreinheit, die ſich von der äußeren Erotik an-
gewidert fühlt und nun die Liebe immer mehr zu ver-
edeln und zu vertiefen ſucht. Für Staſſen, den Seichner,
iſt das Mittel zu dieſem Swecke die Kontur. Ein
frühgriechiſches Schönheitsideal ſchwebte ihm in herber
Strenge vor, nachdem er ſich aus dem Renaiſſance-
taumel der Linien ſeiner Frühwerke emporgerungen
hatte. Jetzt iſt er bereits bei altgriechiſchen Vaſen-
bildern angelangt, deren primitive Formengebung ſeinem
Künſtlerauge höchſte Schönheiten vorzuahnen ſcheint.
Vielleicht geht er darin etwas zu weit. Seine letzten
Werke ſind bereits ein wenig nüchtern in ihrer Strenge,
und zu ſeeliſch verklärt ſcheinen ſie ein wenig Sehnſucht
nach dem Fleiſche zu empfinden, das der Künftler ſeinen
Geſtalten früher ſo reichlich ſpendete.
Die zweite Grundſtrömung in Franz Staſſen's
Weſen iſt die chriſtliche, in ihr tritt das gedankliche,
grübleriſche Element des germaniſchen Geiſtes in Er-
ſcheinung. Und auch eine gewiſſe ſchöne und deutſche
Heiterkeit, wenn in einem lieblichen Gemälde der liebe
Herrgott, die Blumen ſegnend, durch die Felder ſchreitet.
Daneben dann der tiefe und düſtere Ernſt der Kreuzigung,
die den Sonnenuntergang der prächtigen Griechenwelt
bedeutet, welche die andere Seele Staſſen's ſo liebt.
Auch eine gewiſſe deutſch-gründliche Wiſſenſchaftlichkeit
fehlt dem letzten Bilde nicht. Die Anordnung der
Menſchen richtet ſich nach den Worten der Bibel, und
nach Klinger's Beiſpiel ſind die Kreuze niedrig gehalten,
und die Gekreuzigten ſitzen auf Pflöcken, wie es die
geſchichtliche Forſchung angiebt. Es iſt ein zweifellos
gutes Bild und ein Bild, dem es nicht an Stimmung
fehlt.
Die Verſöhnung von Heidenthum und Chriſtenthum
iſt indeſſen Franz Staſſen nie geglückt. In weiſer Selbſt-
beſchränkung hat er auf dieſen letzten Verſuch denn
auch meiſtens verzichtet. Nur einmal nahm er ſolchen
Flug, in letzter Seit in ſeinen Illuſtrationen zum zweiten
Theile von Goethe's Fauſt. Und dieſer Verſuch iſt
leider mißglückt. Aus den Abſtraktionen iſt kein Leben
geworden.
Franz Staſſen iſt am 12. Februar 1860 zu Hanau
am Main geboren, ſteht alſo jetzt noch in der erſten
Blüthe ſeines Schaffens und vermäöchte durch allerlei
Ueberraſchungen und Wandlungen den Propheten
Lügen zu ſtrafen, der ihn bereits künſtleriſch einordnen
wollte. Nachdem er die dortige Seichenſchule bis zu
ſeinem J. Lebensjahre beſucht hatte, bezog er die
Berliner Kunſtakademie und verbrachte daſelbſt weitere
ſechs Jahre. Dann ſtellte er ſich mit den üblichen
Schwierigkeiten, denen kein junger Künſtler entgeht,
auf die eigenen Füße, lebte vorübergehend in München
und in Italien, kehrte aber doch immer wieder nach
Berlin zurück, wo er denn ſchließlich auch ſeßhaft
wurde und ja Wirkung und Anerkennung zur Genüge
gefunden hat. Nur im Sommer pflegt er die Reichs-
Hauptſtadt zu verlaſſen und nach der Heimat zu pilgern,
deren landſchaftlichen Reizen wir eine Anzahl ſeiner
feinſten Oelſchilderungen verdanken.
Sein Erſtlingswerk, ein „Todtentanz“, erregte als
Aeußerung eines ſchätzenswerthen Talentes ſtarke Be-
achtung, ſtieß aber auch andererſeits nicht mit Unrecht
durch die allzu grelle Gedanklichkeit und eine noch
ſtarke zeichneriſche Unſelbſtſtändigkeit in einzelnen Blättern
ab. Völlig gefunden hat er ſich aber bereits in ſeinen
ſehr ſchönen Bildern zu „Triſtan und Iſolde“, unſtreitig
ſeinem beſten und bleibendſten Werke und einer Meiſter-
ſchöpfung moderner Illuſtrationskunſt überhaupt, und
in dem freilich weſentlich ſchwächeren „Parſifal“. Daß
ſich ſeine Künſtlernatur von Richard Wagner's Ton-
ſchöpfungen ſtark angezogen fühlte, läßt ſich nach allem
Vorhergeſagten begreifen, man muß es ihm aber auch
laſſen, daß er nicht zum Sklaven des übermächtigen
Genies wurde, ſondern ſich neben ihm eine immerhin
ſehr reſpektable Selbſtſtändigkeit bewahrte. Wenigſten-
in „Triſtan und Iſolde“. Dieſer Zyklus iſt hoher Ge-
danken und tiefer Gefühle ſo voll, daß er jede Abhängig-
keit von der Tonſchöpfung gänzlich verliert und an ſich
durch die ihm innewohnende überzeugende Kraft ergreift