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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 20 (15. Juli 1905)
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Wolf, Georg Jacob: München: IX. Internationale Kunstausstellung, 2
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Rapsilber, Maximilian: Zweite Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0355

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Nr. 20


509

Man brauchte keine Namen nennen; die man als
Schöpfer weſentlicherer Gemälde anführen kann, die
kennt Jeder, und ihre Art, in ſich gefeſtigt und über-
reif, hat ſich kaum geändert. Nur daß bei Manchem
leiſe das Greiſenalter heranſchleicht und die Farben
ſtumpf, die Ecken weich macht, daß Mancher, der einſt
kühn und muthig und kraftvoll ſeine Bilder herunter-
ſtrich, heute zag und vorſichtig und mit zitterig ſpitzigem
Pinſel vor ſeiner Leinwand ſteht und Augen und
Wünſche nicht weiter gehen läßt als bis zu dem, was
in ſeiner nächſten Umgebung liegt.

Die alten Landſchafter ſind mir immer noch die
liebſten, ſie ſind treue, willkommene Freunde. Als einer der
tüchtigſten, der poeſievollſten unter ihnen gilt mir Ludwig
Willroider, der mich oft in ſeinen Motiven an Calame ſer-
innert, und deſſen Farben heute noch voll des inneren
Leuchtens ſind, der eine Landſchaft groß auffaßt und
breit und feſt auf die Leinwand hinſetzt. Er iſt einer
der Beſten und Geſündeſten der alten Richtung, er hat
die große Kunſt der Tiefe und Weite, die Lier's beſte
Gabe war und dieſem Anreger einer neuen Auffaſſung
der Landſchaft auf immer unvergeſſen ſein wird. Canal
erfaßt auch die Landſchaft groß und breit wie Will-
roider, doch iſt er anſpruchsvoller in der Wahl ſeiner
Motive. Die Niederlande, die Gegenden an der Becht,
Brügge beſonders, liebt er und er weiß den ſtillen, ver-
ſonnenen Eindruck dieſer Landſchaft nicht übel wieder-
zugeben. Sonſt nenne ich von Landſchaftern der Ge-
noſſenſchaft noch Wopfner, Strützel, der übrigens auch
ein paar allzu träge Pferde da hat, Fink, Kühles, der
an der Grenze von Landſchaft und Architekturbild
pendelt, und den vornehm in ſich geſchloſſenen Heinrich
Raſch, bei deſſen Landſchaften übrigens auch die
Staffage eine bedeutende Rolle ſpielt.

Ein paar Auswärtige ſind Gäſte der Genoſſen-
ſchaft: Landſchafter ſind davon Schönleber, der mir jetzt
ein bißchen glätter und platter erſcheint als in ſeinen
früheren, beſſeren Seiten, Kallmorgen, der auch die
Marine zu malen weiß, und beſonders der Holſteiner
Jacob Alberts, deſſen wunderbare, in feinem Both
„blühende Hallig“, ein Bild voll Mai und Freude, un-
begreiflicher Weiſe an einem der ſchlechteſten Plätze der
Ausſtellung ein unbeachtetes Daſein friſten muß.

Sine Spezialität der Landſchaft, die Marine, ver-
tritt Hans von Peterſen in ſeiner bekannten und ein-
wandsfreien Weiſe. Seno Diemer, als Illuſtrator und
Schöpfer intimer Aquarellbildchen eingeweihteren Kunſt-
kreiſen längſt bekannt, hat ſich nun gleichfalls an ein
größeres Marineſtück gemacht, denn als Wellen- und
Waſſermalerei, nicht als ein religiöſes Gemälde faſſe
ich ſeinen großzügigen „Seeſturm“ (Marc. 4, 58) auf.
Bachmann wirkt in ſeinem „Mondaufgang an der
Nordſee“ durch die von ihm ſo ſehr beliebten Beleuch-
tungs⸗Effekte und durch eine verblüffende, faſt ornamental
wirkende Linienführung. Sinding, Schönchen, Böhme,
dann die ſchon genannten Schönleber und Kallmorgen
haben gleichfalls tüchtige Marinen gebracht.

Im Porträt glänzt Georg Papperitz. Er malt zumeiſt
Frauen, er malt alle ſchön, er giebt jeder ein klein
wenig Seele und alle haben ſie verheißungsvoll blitzende
Augen und ſüße Lippen und alle ſind ſich ihrer Reize
ſtolz bewußt. Schade, daß ſie ſo wenig Individualität
beſitzen und daß ſie alle ſo auf den Durchſchnitt zuge-
ſtutzt ſind. Armer Künſtler, dem keine intereſſanteren
Modelle zur Verfügung ſtanden, der ſeinen Pinſel in
Syrup tauchen mußte, um jenen, denen der Geiſt fehlt,
wenigſtens eine etwas ſüßlich⸗dicke Allerweltsſchönheit
anzumalen. Pernat's Porträts ſind guter Durchſchnitt, auch
Fuk⸗, der beliebte Honoratiorenmaler, erhebt ſich in

einem diesmal mehr intim als repräſentabel aufgefaßten
Offiziersporträt zu keiner beſonderen Höhe. Und Simm
vollends, der als Fein⸗ und Kleinmaler mit ſeinen
Empireſtückchen ſchon manche gute Wirkung heraus-
brachte, hätte den Ausflug ins Porträtfach kecklich unter-
laſſen dürfen. .

Im Figurenbild und Genre thun ſich diesmal
Knopf und Lindenſchmit hervor, ohne daß ſie indeß
durch beſonders neue Wendungen zu überraſchen ver-
möchten. Seiler, Gaißer, Linderum haben ihre deli-
katen Kleinmalereien von der bekannten Qualität da.
Defregger iſt in drei Bildern erſtaunlich friſch, ein
junges Bauerndirndl, das er gemalt, iſt ſo luſtig
und lebensvoll, daß man kaum glauben kann, daß dieſe-
friſche Bild aus der Hand eines Siebzigjährigen her-
vorgegangen iſt. O, daß doch alle „Genoſſenſchaftler“
ſo frei wären von Senilität! Schon ſpürt man die in
den Arbeiten von Defregger's Freund, Altersgenoſſen
und Landsmann Mathias Schmid; wie ein grauer
Schleier zieht es ſich über ſeine Bilder, Alles wirkt
ſchwach, alt, wenn auch die hohe Stufe künſtleriſcher
Kultur, auf der der greiſe Maler ſteht, heute noch un-
verkennbar iſt. Schtler hat in ſeinem Bild „Agonie“,
dem man einen hervorragenden Platz mit wenig Recht
einräumte, durch widerliche Theatermätzchen Effekte er-
zielt, die ein kunſtarmes Publikum vielleicht anziehen
können, jeden feiner Empfindenden aber bedenklich
zurückſchrecken müſſen, und ebenſo ſind die koloriſtiſchen
Mittel, mit denen Hermann Uaulbach für ſein gut ge-
maltes Bild „Vita humana“ Beſchauer anlockt, hart an
der Grenze, die man ohne Voth nicht überſchreiten
ſollte. Man darf für ein Bild nicht Reklame machen,
ebenſowenig darf ein Bild durch Mittel, die nicht mit
zwingender Vothwendigkeit ſich aus dem Bild ſelbſt er-
geben, den Beſchauer anlocken. Ein gutes Bild findet
ſein Publikum, ohne daß man dieſes durch eine auf-
dringliche Mache herbeizuziehen braucht.

Nier bin ich am Ende. Wohl wäre noch mancher
Name und manches Bild zu nennen, aber es hätte doch
keinen rechten Sweck. Es wäre kaum etwas Anderes
zu ſagen, als über die ganze Richtung, die ſich in der
Künſtlergenoſſenſchaft verkörpert: Viel Können, viel
Fleiß, aber eine Ueberreife, eine Stagnation. Und das
erſte Geſetz der Kunſt heißt doch, wie überall: Ent-
wicklung. Wo Entwicklung nicht iſt, da mögen viel-
leicht, geſtützt und gegründet auf ſtarke und tüchtige
Perſönlichkeiten, ein paar Jahre ruhigen, nicht un-
ſchönen Abendfriedens möglich ſein, aber dann haſtet
die Seit über die Stehengebliebenen hinweg und es
läuten Sterbeglocken. Ein altes Wort heißt: Was reif
iſt, muß fallen! Georg Jacob Wolf.

Zweite Jusstellung
des Deutschen NKünsklerbundes.

1

V' einem Panoptikum oder ſonſt einer Schaubude
Y niederer Art ſtößt der ehrſame Spießbürger oft
unverſehens auf eine ſogenannte Schreckenskammer
oder ein anatomiſches Kabinet, vor deſſen Pforten ein
Fräulein an einer beſonderen Kaſſe ſitzt und auf die
hinter dem Vorhang zu ſchauenden Morithaten und
Frivolitäten aufmerkſam macht. Aehnlich hat die Berliner
 
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